Das Ergebnis der Evolution können wir sehr wohl beobachten. Es reicht dafür meist schon aus, wenn wir einfach in den Spiegel schauen. Je nach Region haben zwischen 10 und 60 % der Bevölkerung einen Darwinhöcker. Bis zu 40 % der Männer haben Hornzipfel und manche Menschen haben eine zusätzliche Brustwarze (Polythelie) oder Halsfisteln. Diese Atavismen genannten Merkmale sind spontan auftretende Merkmale, die unsere Vorfahren einst besaßen und in unserer Stammesgeschichte eigentlich verlorengingen. Auch Rudimente, also Merkmale, die im Lauf der Entwicklungsgeschichte zurückgebildet wurden, finden wir an unserem eigenen Körper. Das Steißbein etwa ist ein Überrest des Schwanzes, den die in Bäumen lebenden Vorfahren der Menschen noch hatten und der Wurmfortsatz ist Teil eines kläglichen Überrestes unseres Blinddarms, der bei unseren Vorfahren noch hut entwickelt war und ihnen beim Verdauen von Cellulose half.
Wir können das Wirken der Evolution auch direkt sehen, wenn wir Brückenorganismen betrachten. Das sind Lebewesen, die noch eine Reihe ursprünglicher (plesiomorpher) Merkmale ihrer Vorfahren besitzen, aber auch schon abgeleitete Merkmale (Apomorphien) der Nachfahren. Prägnantestes Beispiel hierfür sind die Kloakentiere (Monotremata), zu denen das Schnabeltier und die Schnabeligel gehören. Es sind echte Säugetiere, die ein Fell besitzen, Milchdrüsen haben, drei Gehörknochen im Mittelohr und ein sekundäres Kiefergelenk - alles typische Apomorphien der Säugetiere. Wie ihre "reptilienähnlichen" Vorfahren legen sie aber noch Eier und ihre Harn- und Geschlechtsorgane sowie der Darm münden in einem gemeinsamen Gang, der Kloake. Und auch der Bau des Schulterblatts mit einem vollständig ausgebildeten Rabenschnabelbein entspricht dem Bau der "Reptilien".
Wir können die Evolution auch sehen, wenn wir uns morphologische Stufenreihen anschauen: anhand der verschiedenen Weichtiergruppen können wir z. B. die Entwicklung des Auges von "primitiven" Augenflecken bis hin zum "komplexen" Linsenauge nachvollziehen. Und wir können den Evolutionsprozess nachvollziehen, wenn wir fossile Stufenreihen betrachten. Unsere eigene Evolution ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Wenn wir uns verschieden alte Fossilien unserer Vorfahren ansehen, können wir deutlich sehen, wie aus eher kleinen Baumbewohnern Schritt fûr Schritt auf zwei Beinen gehende Bodenbewohner wurden.
Der Evolutionsprozess selbstt entzieht sich meist einer direkten Beobachtung. Das liegt daran, dass er in den meisten Fällen ein sehr langsamer Prozess ist. Die Veränderungen werden erst in Zeiträumen ersichtlich, die ein einzelnes menschliches Leben weit übersteigen. Das heißt aber nicht, dass Evolution nicht nachweisbar wäre - denn die Auswirkungen des Evolutionsprozesses können wir ja sehr wohl sehen. Und in manchen Fällen vollzieht sich der Evolutionsprozess quasi im Zeitraffer, sodass wir eben doch mitunter dabei zusehen können. Mary und Peter Grant z. B. haben auf der zum Galápagos-Archipel geh9renden Insel Daphne Major über Jahrzehnte hinweg die Schnabellängen der Mittleren Grundfink Jahr für Jahr gemessen und dokumentiert. Sie konnten mit ihrer Arbeit eindeutig zeigen, wie die Schnabellänge sich bei Unweltveränderungen veränderte und an die neuen Gegebenheiten anpasste. Ein anderes Beispiel für Evolution im Zeitraffer ist das bis heute fortgeführte Long Term Evolution Experiment an E. coli. Und auch die Covid-19-Pandemie hat uns erlaubt, der Entwicklung und Entstehung neuer Virusvarianten sozusagen im Live Ticker zuzuschauen, wie etliche Studien belegen, z. B. Garcia-Cremades et al. 2021, Markov et al. 2023, Han et al. 2023.