Was ist das für ein Fahrradmodel?

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Das ist schon ein besonderes Schätzchen, ein Hercules Rennsportrad, nach meiner Einschätzung bis auf die Leufräder weitgehend im Originalzustand, von ca. 1983.

Solche Preziosen erzielen in diesem Zustand gute Preise auf Ebay Kleinanzeigen, allerdings ist die große Rahmengröße nur für lange Kerls geeignet (ca. 62 oder 63 cm der Höhe des Steuerrohrs nach zu schließen).

Es ist kein Rennrad im allerengsten Sinne wegen den Gewindeösen für fest montierte Schutzbleche und Gepäckträger. Auch die Durchlaßhöhe für die Reifen von Rahmen und Gabel (mindestens 28, wenn nicht spgar 32mm) ist so groß, dass breitere Reifen als bei reinrassigen Rennrädern passen.

Damals in den frühen 80ern waren solche Rennsporträder sowohl ohne als auch mit Vollausstattung zu haben, also Licht, Reflektoren, Schutzblech und Gepäckträger mein Bruder hatte zur fraglichen Zeit ein Winora und ich ein Neckermann Tokaido mit edem technisch exotischen Shimano Frontfreilauf (die Kette drehte sich ständig mit auch wenn die Pedale still standen).

Letzteres hatte aber die dämliche Laufradgröße 27 Zoll, die sinnigerweise größer (!) war als 28" (630mm Reifen-Innendurchmesser statt 622mm Innendurchmesser) sonst höchstens in Frankreich verbreitet war. Jaja, es gab einmal einen Zeit als die Franzosen im Fahrradbereich kopiert wurden...

Zur Sache: Dein Rad muss um die 800 oder 900 D-Mark gelegen haben. Hercules galt allgemein unter den deutschen Markenrädern als das Beste und Hochwertigste, und die Fertigung im Hochlohnland Deutschland ware natürlich alles andere als günstig.

Ganz typisch für die Zeit ist die bescheuerte Geometrie:

  • das Steuerrohr steht sehr steil wie bei einem "echten" Rennrad
  • die Gabelscheiden sind jedoch weit vorgebogen wie bei einem Tourenrad
  • dadurch hat das Rad kaum Nachlauf und lässt sich kaum freihändig fahren, verhält sich auch in der Kurve komisch

Ebenso typisch: der Komponenten-Mix in dieser Preisklasse:

  • die Schaltung sieht nach dem französischen Hersteller HURET aus, der später in SACHS aufging. Kann es sein dass die Schaltheben beim nach vorne drücken ein tickerndes Geräusch machen? Dann sind das HURET Retrofriction Schaltheben mit einer Ausgleichsfeder im Inneren die der Rückstellkraft von Umwerfer (vorn) und Schaltwerk (hinten) entgegen wirken soll.
  • Die Kurbelgarnitur ist ebenfalls französisch, meines Wissens von NERVAR, geschmiedete Aluminium-Leichtmetall-Legierung. Die Franzosen waren die Pioniere bei bezahlbaren Aluminium-Kurbelgarnituren, bis sie wenig später die Rolle an die Japaner verloren, vor allem an SAKAE.
  • Die Laufräder müssen nachgerüstet worden sein, bzw. es wurden neue Felgen eingespeicht. Man sieht leider die Naben nicht. Der MAVIC Felgenaufkleber ist aber definitiv zu neu, eher Anfang 90er Jahre.
  • Die Bremsen sieht man leiter nicht. Könnte CLB aus Frankreich sein.

Noch ein Wort zum Rahmenmaterial:

Die Rohre sind REYNOLDS 501 single butted Chrom-Molybdän-Rohre, traditionell in Muffen gelötet. Diese Rohre waren auf einer Seite endverstärkt, das war im deutschen Rahmenbau damals schon etwas richtig Besonderes, damals verbaute man, auch Herfcules, die sprichwörtlichen "Wasserrohre". Selbst ohne Aufkleber würde man den Unterschied am Maß für die Sattelstütze feststellen:

  • Hollandräder und alte deutsche Tourenräder der 50er/60er: Wandstärke 1.6mm, Sattelstützmaß Innendurchmesser 25.4mm
  • deutsche Tourenräder und Rennsporträder der 70er und 80er: Wandstärke 1.4 mm, Sattelstützmaß Innendurchmesser 25.8 mm
  • REYNOLDS 501: Wandstärke mittig 0.8mm, einseitig auf 1.0 endverstärkt, Sattelstützmaß 26.4 oder 26.6 das konnte ich nicht genau ermitteln. Zieh die Stütze mal raus und lies ab was als Maß drauf steht falls noch lesbar, würde mich wirklich interessieren

Die Rohre sind aber nur die halbe Miete.

  • Die Verarbeitung erfolgte in typischen, relativ groben Muffen wie sie beiDas deutschen Rädern üblich waren. Solche einfachen Muffen waren keine Leichtgewichte, schwerer wog aber dass aufgrund ihrer Formungenauigkeiten das Lot nicht immer gleichmäßig den Lötspalt ausfüllte. Um zu fließen benötigt Lot einen relativ genau bemessenen Lötspalt. Bei einer Untersuchung der Firma BAYER währen der 80er Jahre stellte man fest, dass ein hoher Prozentsatz der Werks-Räder ungenügend geflossenes Lot in den Muffen aufwies. Das Problem: Weil die Muffe drüber ist sieht man es nicht. Bei einer Schweißnaht kann das Ergebnis viel besser kontrolliert werden.
  • Damals erfolgte das Löten mit auf Löt-Straßen, wo die zu lötenden Rohre erst mal mit großen Gasbrenner vorgeheizt wurden.
  • Das für den Lötvorgang erforderliche Flußmittel, was die Lötstelle bei Erreichen der Löttemperatur oxidfrei halten soill (ohne kommt kein Fließen des Lotes zustande) wurde mit der großen Schöpfkelle aufgetragen :)
  • Der eigentliche Lötvorgang erfolgte dann von immer von Hand. Insofern war es Kappes wenn auf dem Rahmen "handmade" drauf stand, denn keiner Firma war es während der 80er Jahre oder später gelungen automatisiert Rahmen zu löten. Koga Miyate hat es zwar Mitte der 80er Jahre versucht, gab es jedoch (vermutlich wegen wegen zu viel manueller Nacharbeit) wieder auf
  • Die Löttemperatur bei Verwendung des üblichen Messinglots lag mal eben bei um die 900°, metallurgisch nicht gerade schonend für Chrom-.Molybdän-Stahlrohre und weit entfernt von den ca. 580° bei Verwendung eines 52%igen Silberlots

ghost40  22.02.2023, 12:28

Da kennt sich aber einer aus im Rahmenbau. Schön, dass es auch noch solche richtigen Fachleute gibt! Wünsch dir alles Gute!

Schönes Rad mit einem sehr großen Rahmen. Könnte ein 62er sein. Leider kann ich nicht alles lesen, was auf dem kleinen Aufkleber steht, nur 501 Chrommolybdän, aber nicht den Hersteller dieses Rohrsatzes. Mannesmann?

Ich sehe auch nicht, welche Schaltung das ist. Mit dem genauen Namen kann man dann das ungefähre Baujahr ergoogeln. Auch die Mavic-Felgen kenne ich. Die müssten aus den 80ern stammen. Sie scheinen noch nicht sonderlich abgefahren zu sein.

Die Reifen passen nicht. Da gehören echte Rennradreifen drauf. Die Eingelenk-Bremsen sind nichts besonderes. Da gibt es heute Besseres. Aber wenn sie gut ziehen und ein guter Name draufsteht: bitteschön. Dann haben auch die einen gewissen Wert.

Einen Namen für das Modell brauchst du nicht. Hercules-Rennrad, 62er Chrommoly-Rahmen, Baujahr, Schaltung - das reicht. Sehr gepflegt sieht das Rad nicht gerade aus, aber es stellt doch einen ganz guten Wert da. Liebhaber zahlen einige Hunderter für so etwas.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Erfahrung mit Fahrrädern.

ghost40  19.02.2023, 15:03

Das ist ganz sicher ein Reynolds 501 Rohrsatz.

ZuGenuege  20.02.2023, 07:47

501 war ein preiswerter single butted Rohrsatz von Reynolds.

Bei 80er Jahre Hercules war aber durchaus üblich dass sie einen Namen hatten, z.B. Alassio

FelixLingelbach  20.02.2023, 09:52
@ZuGenuege

Ja, wenn er das Baujahr raus bekommen hat, das wäre ja anhand der Schaltung und der Gravuren auf den Naben durchaus möglich, müsste sich auch der Modellname finden lassen.

Hauptsache, der Rohrsatz ist überhaupt ausgezeichnet. Erst damit wird so ein alter Bock zu einem begehrten Vintage-Rennrad.