Warum nutzte das NS-Regime Schiller als Machtinstrument?

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Macht-Instrumente waren vor allem die Partei-Organisation, SA, Gestapo und SS.

Zur Macht-Legitimation, also zur Rechtfertigung des Regierungs-Handelns und der zugrunde liegenden Ideologien,

nahm man gern auch anerkannte große Geister, obwohl die selbst sich gegen Obrigkeiten und Schreckensherrschaften ausgesprochen hatten - wie Schiller etwa rund 200 Jahre vor der Nazi-Herrschaft, siehe seine Werke "Wilhelm Tell" (Rechtfertigung von Tyrannen-Mord), "Egmont" (Rechtfertigung des Freiheitskampfes eines unterdrückten Volkes) und so weiter.

Wenn es darum ging, nicht nur ungebildete Arbeiter, Angestellte und Bauern zu ködern, sondern auch gebildete, und vor allem auch das gebildete Bürgertum,

nutzte man gerne den Ruf von "Deutschland als Land der Dichter und Henkter", auch wenn man es zum Land der Richter und Henker dekonstruierte, in Anlehnung an den

"Satiriker Karl Kraus, der in Die letzten Tage der Menschheit den „Nörgler“ (sein literarisches Alter Ego) vom „Volk der Richter und Henker“ sprechen ließ: „Die deutsche Bildung ist kein Inhalt, sondern ein Schmückedeinheim, mit dem sich das Volk der Richter und Henker seine Leere ornamentiert.“ ( Quelle)

(Und weiter heißt es ebenda: "Und Erwin Chargaff führte 1962 aus: „Das Volk der Richter und Henker machte Platz dem Volk der Wächter und Schlächter.“[28]")

So wird auch gerne "von einer bestimmten Stadt der Dichter und Denker gesprochen, darunter Weimar[2], Jena[3] oder Tübingen.[4]" (Quelle)

Und damit sind wir bei Weimar, wo ja eben Goethe und Schiller gewirkt haben!

Wenn man den Deutschen also verklickern möchte, dass sie etwas Besonderes sind (wie es auch die Nazis anstrebten), greift man eben auf den "Dichter-und-Denker"-Mythos zurück. Siehe dazu auch hier:

So sieht der Sprachwissenschaftler Hans-Georg Müller die Wendung als „meist von Deutschen in überheblicher Manier“ verwendet. [5]

Entsprechend kam es nach vielerlei Mist, der von Deutschland ausging nach dem Segen von Weimar, auch zu einer Dichter-und-Denker-Nostalgie im 20. und 21. Jahrhundert.

Schiller wurde also von den Nationalsozialisten missbraucht, um den Deutschen ein chauvinistisches Überlegensheitsgefühl einzuflößen, und sicher auch, um andere Völker und Staaten damit zu beeindrucken - oder auch dazu, von den (geplanten und dann auch tatsächlich in Angriff genommenen) Schreckenstaten abzulenken, die von Deutschland ausgingen -

so wie auch mit den Olympischen Spielen 1936, die die Nazis ursprünglich auch nicht wollten - so wenig wie im Grunde Schiller, Goethe und solch intelleles Gesocks; die man - Spiele wie Schiller - dann aber doch nutzte, um der Welt zu zeigen, wie friedliebend das deutsche Volk und deren NS-Regierung ist, und wie überlegen die "arische Rasse" (was dann im Sprint und im Weitsprung nicht so recht gelang, sehr zum Missfallen des eigens angereisten "Führers" ;-).

Interessant auch, wie sich die DDR-Führung an den Landsmann Martin Luther angenähert hatte, als dieser 500 wurde - obwohl der ja für Religion stand, dem "Opium des Volkes", wie Ideologie-Vater Marx sich mal ausgedrückt hatte ;-).

SED- und Staatschef Erich Honecker habe den 500. Geburtstag des Reformators „mit einer Träne im Knopfloch groß aufziehen" lassen, um damit sein eigenes Ansehen international aufzuwerten [...] ( Quelle; Herv. Gerd; bitte weiterlesen!)

Gruß aus Berlin, Gerd

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Journalist, Buchautor, Dichter, wissenschaftlicher Lektor

Schiller war in keinster Weise ein Nazi, wohl aber ein sehr moralisch ausgerichteter Mensch. Auch die Hitler-Faschisten reklamierten Moral im Sinne Kants für sich und das auf verzerrt-pervertierte Weise. In einer Art Rosinenpickerei pickten sie sich einzelne moralische Bausteine Kants und Schillers heraus, um sich so als rechtschaffene und saubere Menschen in der Bevölkerung zu präsentieren. Exemplarisch sei nur mal Himmler erwähnt, der sagte, auch im KZ gilt es anständig zu bleiben.

Ich glaube das hat es wohl in der Wucht nirgendwo in der Welt gegeben, scheint eine deutsche Besonderheit zu sein, solch gespenstische Haltungen einzunehmen, bei solch gewaltigen Verdrehungen von Kantscher Moral inklusive die Schillers.

Es ging den Hitler-Faschisten sehr darum, sich als Kulturnation aufzublustern und das mit allen Tricks und Gemeinheiten, zu denen gewisse Menschen fähig sein können.

Du weisst, wann Schiller gelebt hat?
Wenn nicht, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schiller

Da gab es der Definition nach noch keine "Nationalsozialisten", auch wenn es immer schon (auch damals) natürlich nationalistische Strömungen gegeben hat, wie in jedem anderen Land auch. Aber ich glaube nicht, dass Schiller so gedacht hat, denn:

Sein Stück "Die Räuber" ist eher als Kritik an einer "Tyrannei von oben" zu verstehen...

Und was ich an Deiner Frage nicht verstehe:

Wie haben die Nazis denn Schiller als "Machtinstrument" genutzt? Welche "Macht" soll er den Nazis denn verschafft haben?

Schiller konnte kein Nazi gewesen sein, da er früher gelebt hat.

Die Nationalsozialisten haben die Klassiker wie auch andere Schriftsteller, Philosophen, Komponisten etc. für sich vereinnahmt, um die Überlegenheit der deutschen Rasse in Kultur und Bildung zu dokumentieren und um eine historische oder moralische Rechtfertigung der Ideologie zu begründen. Dabei wählten sie aber ggf. nur punktuell einige Werke aus oder verfälschten sie - andere Werke wurden verschwiegen.

Schiller war eine Besonderheit - im Gegensatz zu Goethe war Schiller begeistert von den Werten der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), was sich natürlich auch in einem Teil seiner Werke wiederfindet.

Das passte aber nicht so ganz zum Nationalssozialismus - deshalb hat man seine Werke teilweise im Sinne ihrer Ideologie umgedeutet.

Ein großes Problem war "Wilhelm Tell" - man konnte schlecht die Aufführungen generell untersagen, aber die Reichskulturkammer hat den Theaterdirektoren "nahegelegt" auf die Aufführung des Stückes zu verzichten.

Von besonders großer Bedeutung war "Don Carlos". Dort kommt der Satz: "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire" vor - es hatte sich dann eingebürgert, daß das Publikum aufstand und applaudierte - das sah man nicht so gerne...

Der Applaus hat übrigens eine Renaissance erfahren - seit einigen Jahren kann man wieder erleben, daß die Zuschauer sich im Theater an dieser Stelle zum Applaus erheben --> ein Zeichen, daß viele Bürger die Meinungsfreiheit in Deutschland wieder in Gefahr sehen...

Schiller kann kein Nazi gewesen sein, denn zu seiner Zeit gab es keine Nazis.

Schiller war gegen jeden Extremismus und gegen Diktatur. Er war ein Freidenker. Ich glaube er wäre heute vielleicht in etwa bei der SPD einzuordnen und ein Verfechter Europas.


reasit  20.02.2021, 14:57

Schiller war ein Freidenker. Mit der heutigen SPD hat er deshalb nicht viel zu tun (auch, wenn die SPD vorgibt, europäisch und freiheitlich zu sein).

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Panazee  20.02.2021, 15:05
@reasit

Natürlich nicht. Es war nur eine ungefähre Einordnung in das Parteispektrum das momentan im Bundestag vorliegt.

Ich habe mit so einem Kommentar schon gerechnet und mir überlegt, ob ich das mit der SPD weg lasse. Hab es dann aber doch mal stehen lassen, denn als ungefähre Orientierung kommt es schon hin.

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reasit  20.02.2021, 15:07
@Panazee

Sehe ich ein wenig anders. Schiller wäre wahrscheinlich eher in Richtung der FDP zu verordnen (möglicherweise nicht allzu kapitalistisch). Aber das passt jedenfalls besser als die SPD.

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Panazee  20.02.2021, 15:11
@reasit

Zwischen SPD und FDP passt. Das soziale aus der SPD und das freiheitliche aus der FDP.

Wir können uns aber sicher darauf einigen, dass AfD und Linke sicher nicht seines wären und die Grünen wegen den ganzen Regularien auch nicht.

CDU/CSU wären ihm vermutlich zu konservativ und unflexibel.

Wahrscheinlich würde Schiller einfach seine eigene Partei gründen. 😁

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