Warum leben manche Tiere im Rudel und andere sind Einzelgänger?
Hat das nur was damit zu tun, dass man im Rudel besser vor Fressfeinden geschützt ist (z.B. Zebras), oder das man in der Gruppe besser jagen kann (z.B. Löwe)? Warum leben aber auch Elefanten im Rudel, die ja vor niemandem Angst haben müssen und auch nicht jagen?
5 Antworten
Das (Sozial)verhalten von Tieren lässt sich am besten erklären durch eine ökonomische Betrachtungsweise (Verhaltensökonomie). Ob ein Tier solitär (einzelgängerisch), in Paaren oder in größeren Gruppen lebt, wird von einer zentralen Formel bestimmt:
Wobei c die Kosten (cost) und b für den Nutzen (benefit) steht. Verhalten ist also dann ökonomisch, wenn der Nutzen, den man daraus zieht, mehr wert ist als die Kosten, die ich dafür aufwenden muss.
Das Leben in größeren Sozialverbänden bringt eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich. Nach dem Prinzip "mehr Augenpaare sehen mehr als ein einzelnes" können Räuber in Gruppen schneller erkannt werden (Zebras, Gnus). Außerdem kommt es zu einem Verdünnungseffekt - in einer großen Gruppe sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst gefressen wird und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer gefressen wird. Gruppen können die Aufzucht von Jungtieren erleichtern (Löwen, Afrikanische Wildhunde). Gemeinsam können Ressourcen (zum Beispiel Territorien bei Schimpansen) leichter verteidigt werden. Man muss in Sozialverbänden nicht lange nach geeigneten Fortpflanzungspartnern suchen. Informationen können effizienter den Gruppenmitgliedern übermittelt werden, zum Beispiel wo die nächste Wasserstelle ist. Und vor allem: das Leben in der Gruppe erleichtert kognitive Verhaltensweisen wie das Lernen oder die Etablierung von Kulturen und Traditionen.
Aber das Leben in Gruppen hat auch etliche Nachteile. Eine große Herde ist für Räuber viel einfacher aufzuspüren als ein Einzeltier. Ressourcen (Nahrung, Wasser) müssen mit den Gruppenmitgliedern geteilt werden beziehungsweise gegen diese verteidigt, es entsteht also eine Konkurrenz um Nahrungsressourcen und es sind größere Streifgebiete notwendig. Auch um Fortpflanzungspartner muss gegebenenfalls konkurriert werden (vor allem kämpfen Männchen um Weibchen). Außerdem können sich Krankheiten und Parasiten in Gruppen leichter ausbreiten als bei Einzelgängern.
Es hängt also sehr stark von den äußeren Umständen ab, ob es sich für ein Tier lohnt, in der Gruppe zu leben oder ob es aus ökonomischen Gründen sinnvoller ist, als Einzelgänger oder in Paaren zu leben. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen.
Für einen Amurtiger ist es effizienter, solitär umherzustreifen. Beutetiere sind in seinem Lebensraum rar. Die Kosten, die ihm durch ein Gruppenleben entstünden (Teilen der Beute mit den anderen) würden den Nutzen (eventuell erleichterte Jagd) nicht aufwiegen.
Bei Löwen lohnt sich das Gruppenleben dagegen. Der Nutzen, den Löwinnen durch die gemeinsame Aufzucht ihrer Jungtiere haben (es überleben durchschnittlich mehr Jungtiere einer Löwin als es der Fall wäre, wenn jede ihre eigenen Jungen großzöge), überwiegt die Kosten (Futter muss geteilt werden), zumal in diesem Fall noch der Vernwadtenselektion eine tragende Rolle zukommt.
Es erscheint eigentlich aus evolutionärer Sicht unsinnig, dass eine Löwin fremde Jungtiere großzieht. Evolution wirkt auf Ebene der Gene (Genselektion), folglich sind Gene "bestrebt" (bitte nicht falsch verstehen, Gene denken und handeln selbstverständlich nicht), möglichst viele Kopien ihrer selbst anzufertigen und im Genpool zu verbreiten. Altruistisches (selbstloses) Verhalten scheint dieser Logik jedoch zu widersprechen. Eine Erklärung liefert der Verhaltensforscher Hamilton, der hier die Verwandtenselektion ins Spiel bringt und unsere oben aufgestellte Formel ein wenig erweitert:
c steht immer noch für die Kosten, b für den Nutzen. Neu hinzu kommt das r, das als Verwandtschaftskoeffizient (relatedness) bezeichnet wird. Wie man den Verwandtschaftskoeffizienten ermittelt, soll uns an dieser Stelle nicht interessieren. Wichtig ist, dass er ein Maß für die Verwandtschaft zweier Individuen zueinander ist und angibt, wie viele ihrer Gene sie statistisch gesehen miteinander teilen (Beispiel: Vollgeschwister teilen sich statistisch gesehen 50 % ihrer Gene und ihr Verwandtschaftskoeffizient beträgt demnach r = 0.5. Zwischen Eltern und ihrem eigenen Nachwuchs beträgt der Verwandtschaftskoeffizient ebenfalls 0.5 und zwischen Großeltern und Enkeln beträgt er noch 0.25, während er bei eineiigen Zwillingen 1.0 beträgt).
Neben der direkten Fitness durch eigene Nachkommen kann ein Individuum also dazu beitragen, eigene Gene im Genpool zu verbreiten, wenn es über den Umweg der Verwandten die Gene "fördert", die es mit seinen Verwandten "teilt", dieser Beitrag zur Gesamtfitness wird als indirekte Fitness bezeichnet (indirekte Fitness + direkte Fitness = Gesamtfitness). Wenn ich mich daran beteilige, eines meiner Vollgeschwister aufzuziehen, ist der Beitrag demnach ebenso groß als wenn ich einen eigenen Nachkommen großziehen würde (in Beiden Fällen beträgt r = 0.5). Es ist klar, dass die Kosten bei nahe Verwandten höher ausfallen können als bei weiter entfernten Verwandten.
Zurück zum Löwenrudel. Diese sind für gewöhnlich in Matrilinien organisiert. Während die männlichen Löwen mit dem Einsetzen der Geschlechtsreife ihre Geburtsgruppe verlassen und als Einzelgänger, in Junggesellengruppen umherstreifen oder irgendwann ein eigenes Rudel erobern, bleiben die Löwinnen lebenslang in ihrem Geburtsrudel. Die Löwinnen eines Rudels sind also alle miteinander verwandt und dadurch kann die gemeinsame Aufzucht nicht eigener Jungtiere den Beitrag der indirekten Fitness steigern.
Das hat sich eben so entwickelt.
Elefanten leben nicht grundsätzlich im "Rudel" (der treffendere Ausdruck wäre übrigens "Herden"). Die Bullen bringen ihr Leben meist als Einzelgänger zu, nur die Kühe bilden mit ihren weiblichen Geschwistern und deren Nachwuchs Herdenverbände. Und diese bilden sie eben darum, damit der Nachwuchs in den ersten Jahren beschützt wird - denn auch ein Elefantenkalb fängt einmal klein und völlig schutzlos an und hat dann natürlich auch eine Menge Fressfeinde.
Grundsätzlich dient Gruppenverhalten zwei Dingen: Erstens natürlich dem Schutz und der Sicherheit, zweitens der koordinierten Nahrungssuche. Das erhöht die Überlebenschancen der gesamten Art und sichert so ihren Fortbestand. In bestimmten ökologischen Nischen kann es aber auch ein Nachteil sein, wenn sich mehrere Arthgenossen an ein und demselben Ort aufhalten, etwa wenn das Nahrungsangebot oder die Nistmöglichkeiten begrenzt sind. Solche Tiere leben dann eher einzelgängerisch und schlagen jeden Konkurrenten - oft mit brutaler Gewalt - in die Flucht, wenn sich jemand in ihr Revier wagt.
Es kommt also immer darauf an, in welcher ökologischen Nische sich das Tier spezialisiert hat. Und natürlich kann sich Verhalten auch mit der Zeit ändern, was dann wieder große evolutive Anpassungen nach sich zieht - und das auch relativ schnell. Das Verhalten ist ein wichtiger Faktor bei der natürlichen Auslese.
Eine kleine Ergänzung zum Sozialleben der Elefantenbullen. Mit etwa sieben, acht Jahren verlassen männliche Bullen ihre Geburtsherde und schließen sich zumeist bis zu ihrer Geschlechtsreife mit 10 Jahren mit anderen Bullen zu Junggesellengruppen zusammen. Die erwachsenen Bullen schließen sich häufig für mehrere Monate einer Elefantenherde an, um sich mit den Weibchen zu paaren. Manchmal wird eine Herde sogar von zwei Bullen gleichzeitig begleitet. Anschließend können sie sich einer anderen Herde anschließen. Sie sind also kein festes Herdenmitglied, aber auch keine richtigen Einzelgänger.
In der Natur wird jede Nische genutzt und je vielfältiger ein biotop ist umso stabiler ist es gegen störende Einflüsse. So können z.B. Wolf und Luchs den europäischen Wald nutzen. die einen jagen im Rudel in einem kleineren Revier und haben eine andere Jagdstrategie als der Einzelgänger Luchs, der ein sehr großes Revier bewohnt und im Verhältnis den höheren Jagderfolg hat. Hätten die Wölfe die Fähigkeiten des Luchses zusätzlich zur Teamarbeit, wäre der Wald leer, das System wäre nicht stabil. Dagegen könnte eine Raubtierart den Wildbestand nicht effektiv regulieren (um den Pflanzenbestand zu erhalten), da gegen eine Strategie eine Gegenstrategie gefunden würde.
Zebras leben in Herden und im Rudel leben die Tiere, welche die Zebras jagen...
Und ja, die einen leben in der Herde und die anderen im Rudel, weil sich Sozialverbände längerfristig für Herden- und Rudelmitglieder auszahlen...^^
Ach, ich hab die Einzelgänger vergessen... Aber an denen kann sich jemand anders abarbeiten, Du bekommst sicher noch massenweise Antworten! :)
Sie leben sehr sozial miteinander, bilden Familien, berühren einander tröstend, wenn ein Familienmitglied Stress hat und ziehen offenbar aus diesem körperlichen Austausch beruhigendes Zugehörigkeitsgefühl...
Ja gut, dass ist ein Vorteil für die Natur, aber gibts auch Vorteile für das Individuum?