Warum ist Latein ,,tot“?


31.05.2024, 18:42

Vielen Dank für die tollen und vielen Antworten <3

7 Antworten

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Hallo,

eine Sprache gilt als "tot", wenn sie nicht mehr als Muttersprache gelernt wird. Obwohl es auch heute noch Menschen gibt, die Latein sprechen (können), haben sie Latein aber in der Regel erst nach ihrer Muttersprache gelernt. Dadurch verändert sich auch die Grammatik nicht mehr - im Unterschied zu anderen natürlichen Sprachen, deren Grammatik sich im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt und dadurch verändert.

Spannend ist, dass sogar der lateinische Wortschatz noch weiterwächst, da der Papst jedes Jahr Texte in Latein (= Enzyklika) veröffentlicht und da es in diesen um aktuelle Themen geht, muss also hin und wieder ein neues Wort geprägt werden für die Dinge, die die Menschen im alten Rom noch gar nicht kannten.

Manchmal werden sogar tote Sprachen wieder zum Leben erweckt! Das ist zum Beispiel mit dem Hebräischen passiert, das jahrhundertelang nur Sprache der jüdischen Religion war, aber nicht als Muttersprache gelernt wurde - bis zur Staatsgründung Israels. Seitdem gibt es auch wieder hebräische Muttersprachler*innen und die Sprache ist quasi von den Toten auferstanden.

Dasselbe passiert übrigens zur Zeit auch mit dem Manx und dem Kornischen . zwei keltische Sprachen, die im UK gesprochen wurden (auf der Isle of Man und in Cornwall) und jetzt wieder von einigen Kindern als Muttersprache erworben wird.

LG


NeonSchaf  31.05.2024, 18:07

Wobei sich bei den jüdischen Sprachen noch anbietet zu sagen, das die Ursache dafür nicht war, das Hebräisch plötzlich weg war. Sondern es bildeten sich unter der Diaspora Mischformen wie Ladino (Spanisch+Hebräisch) oder Yiddisch (Hochdeutsch+"Slavisch"+Hebräisch), die sich im Grunde verselbstständigt haben.

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Nun, das römische Reich ging bekanntlich unter, und auch im römischen Reich redeten ja nur die Römer selbst Latein. Die unterworfenen Völker redeten weiterhin ihre eigenen Sprachen.

Das römische Volk sprach zudem einen von der Oberschicht abweichenden Dialekt. Es waren also nur wenige Tausend Personen, die tatsächlich klassisches Latein redeten und/oder schrieben.

Im Mittelalter wurde Latein dann die Sprache der Gelehrten, weil alle Texte in Latein verfasst wurden. Das erlaubte, dass man sich über alle Sprachgrenzen hinweg austauschen konnte.

Dies war sicher auch dem Umstand geschuldet, dass die Bibel vom Aramäischen und Altgriechischen ins Lateinische übersetzt wurde und Europa schon früh christianisiert wurde. So war Latein die Sprache "des Buches:

Allerdings war das nur noch eine Verkehrssprache - niemand sprach mehr Latein als Muttersprache. Latein wurde dafür auch vereinfacht - man wendete nun das sogenannte Vulgärlatein an.

Doch auch dies verschwand zunehmend, vor allem auch durch die Reformation, welche Latein als Kirchensprache abschaffte und stattdessen die Bibel in die jeweilige Landessprache übersetzte.

Später entwickelte sich dann Englisch und teilweise auch Französisch als "lingua franca", also als eine Sprache, in der man sich über Sprachgrenzen hinweg unterhalten konnte und kann.

Heute hat Latein nur noch eine Bedeutung als Begrifflieferant für wissenschaftliche Ausdrücke. Als (gesprochene) Sprache ist sie unterdessen aber wirklich schon ziemlich tot.

Hilft das weiter? :-)


NeonSchaf  31.05.2024, 18:03

Christliches Latein ist kein Vulgärlatein, es orientiert sich nur am späteren Latein. Konstruktionen wie "Video quod tu bonus es" gab es im späten Reich in der Alltagssprache auch schon, die wurden nicht erst erfunden.

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LastDayofEden  31.05.2024, 19:42
@NeonSchaf

Also nochmals von Vorne: Vulgärlatein war die gesprochene Sprache. Klassisches Latein die geschrieben Sprache in der Antike. Klar jetzt?

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Hinkel1957  02.06.2024, 09:56
@NeonSchaf

Alltagssprache und Vulgärlatein sind fast Synonyme - vulgär bedeutet in diesem Kontext nicht "primitiv, derb, anstößig", sondern: Sprache des Volkes. Denn vulgus bedeutet Volk und vulgär also ursprünglich nur volkstümlich, ohne negativen Beiklang.

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Tot ist Latein, weil es nicht mehr gesprochen wird. Eine Sprache baut ja darauf auf, dass sie gesprochen wird. Mittlerweile tut das aber keiner mehr, deshalb ist sie auf eine Art ausgestorben und so tot. Wichtig ist aber auch, dass sehr viele Sprachen eigentlich nur Weiterentwicklungen und eine Art Dialekte von Latein sind, wie zum Beispiel das Italienisch. Das sind die romanischen Sprachen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Die lateinische Sprache gilt als "tot", weil sie keinem Sprachwandel mehr unterliegt. Vereinfacht wird auch gesagt, dass sie keine wirklichen (mehr-generationalen) Muttersprachler mehr habe, was letztendlich zum selben Ergebnis führt. Sprachwandel bedeutet, dass sie Aussprache, grammatische Form, Vokabular und Idiom ("Redewendungen") nicht mehr verändern. Dies liegt schlicht und ergreifend daran, dass die modernen (übrigens seit dem Mittelalter) Enthusiasten der lateinischen Sprache diesen Sprachwandel nicht wollen. Lateiner lernen immer das Latein der klassischen Zeit (Cicero, Caeser, Ovid, etc.), weiter entwickeltes Latein gilt für sie als schlechter im Punkto der Perfektion. D.h. Jede Generation besinnt sich auf die Sprache der goldenen und silbernen Exemplare der Latinität, statt wie bei "lebendigen Sprache" auf die Sprachvarianz der letzten Generation (Mütter, Väter, etc.). Die meisten Menschen die Latein lernen, lernen es um lateinische Literatur zu konsumieren, weswegen sie grundsätzlich darauf angewiesen sind, das alles so bleibt wie es ist. Diejenigen die Latein produzieren, sei es in Schrift oder Wort, sehen es als eine stilistische Herausforderung "richtiges Latein" zu nutzen. Das heißt nicht, dass keine Fehler gemacht werden (in der Zeit des Humanismus der frühen Neuzeit schreibt sich ein ae oft als e, weil es bei deren Aussprache gleich klingt), aber diese Fehler werden bei der nächsten Generation und schon gar nicht bei der übernächsten weitervererbt.

Man "tötet" alte Sprachen, um sie isoliert zu lernen. Latein ist als solches nicht "perfekt", es war Mitten im Wandel wie jede Sprache. Das klassische Latein ist beispielweise voller Gräzisierungen und Gräzismen (griechische Wörter und Wendungen), so wie unser Deutsch auch häufig englische Wörter enthält (Anglizismen). Wenn man alte Sprachen wie Angelsächsisch, Mittelhochdeutsch, Altfranzösisch, Hispanisch oder Visgothisch als solche bezeichnen kann, statt immer noch als Englisch, Deutsch, Französisch, etc., dann kann man sie als eigenes System sehen, und sich in diese Zeit hineinlernen. Man wird nämlich schnell feststellen, dass sich diese Sprachen von den heutigen sehr unterscheiden.

Ich mag den Begriff irgendwie nicht, weil er offensichtlich einer Sprache das Leben nimmt. Nur weil Latein tot ist, heißt das nicht, unzwar bei weitem nicht, dass diese Sprache keinen Spaß machen könnte, oder unnützlich oder nicht aktiv zu gebrauchen wäre.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Aus der lateinischen sprache sind mehrere "lebendige" landessprachen entstanden, wie italienisch, französisch und spanisch. Latein ist als umgangssprache verschwunden, blieb jedoch im kirchlichen und akademischen bereich bis in die neuzeit in gebrauch. Es gab dann keine muttersprachler mehr, sondern latein wurde in der schule bzw. universität gelehrt. Noch heute sind lateinkenntnisse in Österreich in medizinischen, juristischen und geschichtlichen studienfächern erforderlich (falls nicht bereits in der schule gelernt, werden hierfür kurse angeboten).