Unterschied Idealismus und Rationalismus?

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»Idealismus« und »Rationalismus« sind vielfältige Bezeichnungen und Begriffe, die in weiter Bedeutung eine Bandbreite von Auffassungen zusammenfassen, die eine grundlegende Gemeinsamkeit haben, aber daneben auch unterschiedliche Gedanken enthalten können.

Idealismus meint allgemein, Ideen/Geistigem eine wesentliche Bedeutung zu geben

Es gibt verschiedene Gesichtspunkte, in der Philosophie hauptsächlich:

1) ontologisch: Die Idee/der Geist/das Geistige als Vernunft hat wahrhaftes Sein. Ideen bzw. das Geistige sind ein letzter Grund des Geschehens. Gegensatz ist der Materialismus.

2) erkenntnistheorisch: Die Außenwelt ist nicht fertig vorgegeben, indem sie einfach über Erfahrung in einem getreuen Abbild passiv aufgenommen wird, sondern sie wird erst über Ideen/Geistiges/Vernunft erkannt. Das Denken der Vernunft ist grundlegendes Prinzip bzw. Ausgangspunkt. Gegensatz ist Empirismus (die Erfahrung/die durch Sinneswahrnehmung beobachtbaren Einzeldinge bilden die Grundlage des Erkennens, sind ihre alleinige oder wichtigste und vorrangige Quelle).

3) ethisch: Das Handeln sollte sich nach Idealen richten (z. B. einer Idee der Gerechtigkeit).

»Idealismus« ist ein umfassender Oberbegriff. Die verschiedenen Arten des Idealismus sind dazu Unterbegriffe.

Die platonische Ideenlehre ist eine bestimmte Art des Idealismus.

Der Rationalismus der frühen Neuzeit, wie er z. B. von René Descartes vetreten wurde, ist auch eine bestimmte Art des Idealismus.

Platons Ideenlehre als objektiven Idealismus (die Ideen sind nicht bloße Gedanken, sondern bestehen unabhängig vom Denken der Menschen) aufzufassen ist eine gängige Einordnung.

Im Rationalismus ist die Vernunft/der Verstand - Ratio - für Erkenntnisse das Wesentliche, Vorrangige und Leitende. Descartes hält die Gesamtwirklichkeit für ein geordnetes Ganzes, dem die Ordnung der vernünftigen Gedanken entspricht.

Dies sind ähnliche Standpunkte.

Ein Unterschied zwischen platonischer Ideenlehre und cartesianischem Rationalismus liegt in einer Veränderung, bei der die Ideen für Descartes Vorstellungen sind. Descartes versteht Ideen als etwas, bei dem Gegenstände repräsentiert (dargestellt) werden. So gibt es eine Verbindung zu Sinnlichkeit/Anschauung und Erkenntnis ist eine Vergegenwärtigung von etwas, die im Bewußtsein klar und deutlich ist.

Nach der Lehre Platons sind die Ideen wirklich/wahrhaft Seiendes, etwas in sich selbst Gleiches und Gleichbleibendes. Eine Idee ist etwas Bestimmtes und nur dieses selbst, das Wesen einer Sache und nichts anderes. Das Erfassen der Idee als Ganzes, als Sacheinheit, leistet die Vernunft. Eine Idee voll zu erkennen, bedeutet, eine Sache in der Fülle ihrer Bestimmtheiten zu erkennen.

In Platons Erkenntnistheorie ist nicht die Vergegenwärtigung und Verarbeitung von Einzeldingen im Bewußtsein grundlegend, sondern das unterscheidende Erfassen.

Es gibt nach platonischer Auffassung bestimmte Schwächen/Anfälligkeiten der Sinneswahrnehmung bzw. einer zu unkritischen Überbelastung mit Leistungen, für die sie angeblich alleine schon eine ausreichende Grundlage ist:

a) Bei der Sinneswahrnehmung können Sinnestäuschungen vorkommen.

b) Bei einer einzelnen Sinneswahrnehmung kann eine Blickverengung/eine Fixierung auf eine einzige Perspektive zu einer falschen Gesamtbeurteilung führen.

c) Die Sinneswahrnehmung kann etwas an Einzeldingen erfassen, aber sie neigt zu unmittelbarer Verallgemeinerung, ohne einen Sachgehalt (etwas Bestimmtes in seiner Sacheinheit) richtig abzugrenzen und zu erfassen. Dies leistet erst begriffliches Denken. Bei den Dingen gibt es etwas, das seinem Wesen nach zur Sache selbst gehört, und etwas, das nicht dazugehört (bei einem Tisch können z. B. Form und Material unterschiedlich sein, aber es gibt eine Grundfunktion bei jedem Tisch, etwas daraufstellen zu können). Die Sinneswahrnehmung gewährleistet keine angemessene Unterscheidung dazwischen.

Platon will nicht die Sinneswahrnehmung als Mittel beseitigen und empirische Wissenschaft abschaffen, sondern auf die Beschränktheit eines einzelnen Sinneseindruckes hinweisen. Die Sinne sind für das Unterscheiden in der Wahrnehmung zuständig. Es geht ihm darum, für Erkenntnisse die Sinneswahrnehmung durch Denken zu erweitern

René Descartes greift, weil er die Möglichkeit erfahrungsunabhängiger, nicht allein von Sinneswahrnehmung geleisteter Erkenntnis begründen will, auf Platons Gedanken der Erkenntnis als Wiedererinnerung (Anamnesis; griechisch: ἀνάμνησις) zurück, indem er eine Auffassung von angeborenen/eingeborenen Ideen und aus ihnen gebildeten Prinzipien vertritt.

Die Bezeichnung als angeborene/eingeborene Ideen kann zur einer Fehldeutung führen, als seien diese Ideen schon von Anfang an bei den einzelnen Menschen fertig ausgebildet. Es geht aber um eine der Anlage nach angeborene Fähigkeit zur Erkenntnis von Ideen. Die Ideen sind der Möglichkeit nach da, ähnlich wie bei Platon, nach eine Einsicht in latent vorhandene Ideen in einer Erkenntnisbemühung gewonnen wird.

Descartes zufolge liegt ein wahres urteil  nur vor, wenn eine klare und distinkte (deutliche) Idee gebildet wird. Nach den Meditationes 3, 2 wird als allgemeine Regel für Evidenz aufgestellt: wahr ist alles, was ich sehr klar und deutlich erfasse (Illud omne verum est, quod valde clare & distincte percipio).

Es gibt materielle (Ideen/Vorstellungen bilden sich über Sinneswahrnehmung), geistige (durch reines, aufmerksames Denken) zugänglich) und sowohl materielle als auch geistige Erkenntnisgegenstände.

Bei der Sinneswahrnehmung erzeugen von den Dingen ausgehende Reize auf mechanische Weise in den Sinnesorganen Eindrücke, diese werden von einem (körperlichen) Gemeinsinn und der Imagination/Einbildung übermittelt und schließlich vom Geist/vom Verstand/von der Vernunft erfaßt

Ideen/Vorstellungen sind Gegenstände von Intuition/Einsicht:

  • angeborene/eingeborene Ideen (ideae innatae)
  • durch Erfahrung erworbene/von außen empfangene Ideen/Vorstellungen (ideae adventitiae)
  • künstliche gebildete/vom Menschen selbst geschaffene Ideen (ideae a me ipso factae)

Der Unterschied von Descartes gegenüber Platon liegt darin, Ideen als Vorstellungen zu verstehen und dies mit mehreren Verschiebungen in der Theorie zu verbinden.

  • Erhebung der Evidenz im Bewußtsein zum alleinigen Kriterium der Sicherheit der Erkenntnis, ohne Kriterien der Erkennbarkeit mitzureflektieren: Descartes leitet aus Evidenz die Richtigkeit Erkenntnis ab, ohne einbeziehen, durch welche Kriterien der Erkennbarkeit sie zustandekommt. Beim cogito ergo sum ist dies der Satz vom (zu vermeidenden) Widerspruch. Dieser ist eine feste, unhintergehbare Grundlage. Klarheit und Deutlichkeit einer Vorstellung im Bewußtsein kann dagegen auch bei falschen Annahmen auftreten. Descartes vernachlässigt die begrifflichen Voraussetzungen, die Sicherheit des Erkennens ermöglichen. Dadurch wird Deutlichkeit zum eigentlichen, ja einzigen Wahrheitskriterium, obwohl Deutlichkeit eine Folge der richtigen Unterscheidung ist, keine primäre Erkenntnisleistung.
  • Unbefragtheit einer Einheit und Ganzheit des Gegenstandes, wie er in Wahrnehmung erscheint, als Ausgangspunkt des Erkennens: Descartes nimmt einerseits eine Anfälligkeit der Sinne für Täuschung an, setzt anderseits aber voraus, daß die Sinneswahrnehmung etwas richtig schon als eine Sacheinheit liefert, von der aus der Verstand/die Vernunft zu einer klaren und deutlichen einheitlichen Erfassung gehe. Descartes untersucht nicht, ob ein Gegenstand der Erfahrung tatsächlich ein einfacher Gegenstand ist und es sich (in dem, was dazu gehört und was nicht) um eine echte Sacheinheit mit einer Einheit und Ganzheit des Gegenstandes handelt.
  • Anforderung, ein Gegenstand müssse in der ganzen unendlichen Fülle aller seiner Erscheinungen anschaulich vorgestellt werden: Descartes meint, die einheitliche Erfassung der unendlichen Summe aller möglichen Vorstellungsmerkmale eines Gegenstandes liefere wirklich einen Begriff von ihm. Dabei geschieht aber entweder kein Erfassen auf eine rational kontrollierbare Weise oder das Ganze geht in der konkreten Vielheit seiner Erscheinungsformen der Erfassung verloren.
  • schematische Entgegensetzung eines abstrakten Verstandes und einer konkreten Anschauung: Das Denken des Verstandes wird als eine völlig abstrakte, alles Konkreten entleerte Vorstellung verstanden. Denken wird als Vergegenwärtigung der dunklen und konfusen Inhalte der Anschauung in bewußten Vorstellungsbildern gedeutet.
  • Herabsetzung von Aufmerksamkeit und Unterscheiden des Denkens zu bloß passiv-rezeptiven (aufnehmenden) Vorgängen: Descartes nimmt als aktive und spontane Gedanken nur das an, was Bewußtsein und Selbstbewußtsein vollziehen. Aufmerksame und unterscheidende Erkenntnisformen werden zu bloß passiv-rezeptiven (aufnehmenden) Arten der Empfänglichkeit herabgesetzt.

mariawu 
Beitragsersteller
 05.11.2019, 08:03

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!!!

Im Idealismus ist das Wesen der Dinge die Idee und das Geistige ist unvergänglich. Er gibt dem Geistigen den Vorzug im Gegensatz zum Körperlichen. (Mit nachdenken kommt zur Einsicht)

Der Rationalismus geht davon aus, dass alle Sinne uns täuschen können und nur die Vernunft daher angewandt werden soll. Man erinnert sich wieder, wenn man etwas lernt.

Dass im Idealismus sich auch man wiedererinnert hätte ich noch nicht gehört. Aber diese Theorien gehen ziemlich stark einher miteinander.