Rutherfords Kern-Hülle-Modell?

1 Antwort

Moin,

1896 entdeckte Becquerel (zufällig) die radioaktive Strahlung. Zu diesem Zeitpunkt hatte man von Atomen eine Modellvorstellung, die auf Daltons Atomhypothese fußte und durch Thomsons Entdeckung der subatomaren Teilchen der Elektronen erweitert worden war. Danach stellte man sich Atome als kleine massive Kugeln vor, die aus einer positiv geladenen Grundmasse bestünden, in die noch kleinere, negativ geladene Elektronen eingebettet wären ("Rosinenkuchenmodell").

Das verblüffende war nun, dass die entdeckte radioaktive Strahlung feste Materie offenbar durchdringen konnte. Wie das ging, wusste man nicht. Solche offenen Fragen sind für Naturwissenschaftler (und -wissenschaftlerinnen) genau das richtige! In jener Zeit wurde deshalb überall und von vielen Menschen intensiv an diesem Phänomen geforscht, gerätselt, erprobt und untersucht.

1898 entdeckte Rutherford anhand von Durchdringungsversuchen, bei denen untersucht wurde, welche Materialien wie weit von radioaktiver Strahlung durchdrungen werden konnte, dass die radioaktive Strahlung nicht einheitlich war, sondern aus (mindestens) zwei Strahlungsarten bestand, die er alpha- und beta-Strahlung nannte.

Ein Jahr später (1899) entdeckten die Wissenschaftler Meyer, Schweidler und Giesel, dass die beiden Strahlungsarten sich durch ein elektrisches Feld in entgegengesetzte Richtungen ablenken ließen, so dass man daraus schließen konnte, dass die alpha-Strahlung positiv geladen war, während die beta-Strahlung negativ geladen war.

Noch ein Jahr später (1900) entdeckte Villard, dass es noch eine dritte Strahlungsart gab, die dann gamma-Strahlung genannt wurde.

Im Zuge dieses Untersuchungsprogramms wurden also alle möglichen Experimente gemacht, um das Wesen der Radioaktivität besser zu verstehen.

Ich kenne die Originalarbeiten von Rutherford nicht im Detail, weiß aber, dass er etliche Durchdringungsversuche und einige Streuversuche mit einer Reihe von Materialien gemacht hat.

Am Ende stellte sich unter anderem heraus, dass

  • Gold eine sehr geeignete Folie war, weil man (nur) sie mit den damaligen Möglichkeiten so platt walzen konnte, dass sie nur noch etwa 1000 bis 2000 Atomlagen dick war.
  • Blei nur sehr schlecht von radioaktiver Strahlung durchdrungen werden konnte.
  • die beta-Strahlung und die gamma-Strahlung Materie stärker durchdringen als alpha-Strahlung.
  • die gamma-Strahlung schlecht fokusierbar war.

Ich gehe deshalb davon aus, dass Rutherford sehr wohl auch mit den anderen beiden Strahlungsarten experimentierte, aber dass sich am Ende der Versuch, der heute in der Regel als einziger immer wieder dargestellt wird, derjenige war, der zu einer revolutionären Neuinterpretation der Vorstellung über Atome führte.

Fazit: Rutherford hat alle möglichen Experimente gemacht (auch mit beta- und gamma-Strahlung und mit anderen Materialien als Gold), aber der Streuversuch mit alpha-Strahlung an der Goldfolie hatte in Bezug auf die Atomvorstellung das aussagekräftigste und wichtigste Ergebnis, so dass nur er heute noch ausführlich dargestellt und besprochen wird.

Soviel zur Vorgeschichte. Nun zum Streuversuch selbst...

Rutherford und seine Mitarbeiter Marsden und Geiger (ja, genau, der Typ, der später den Geiger-Zähler erfand) machten also Experimente mit dieser Strahlung, unter anderem ihre berühmt gewordenen Streuversuche.

Dazu gaben sie in einen Bleiblock (der eine Bohrung hatte) in die Mitte ein radioaktives Präparat. Durch die Bohrung gelangte die radioaktive Strahlung schon einmal etwas zielgerichtet aus dem Bleiblock )weil die Strahlung Blei - wie oben bereits erwähnt - radioaktive Strahlung ansonsten nämlich ziemlich gut abschirmt.

Die aus dem Bleiblock austretende radioaktive Strahlung sickten die Forscher durch ein elektrisches Feld zwei Kondensatorplatten. Dabei trennten sie quasi die drei Strahlungsarten auf, weil die positive alpha-Strahlung zur negativ geladenen Kondensatorplatte hin abgelenkt wurde, während die negativ geladene beta-Strahlung zur positiv geladenen Kondensatorplatte hin abgelenkt wurde. Die ungeladene gamma-Strahlung ging unbeeinflusst durch das Feld.

Die auf diese Weise abgelenkte (und somit isolierte) alpha-Strahlung wurde noch auf eine Blende aus Blei geschickt. Die Blende hatte ein winzig kleines Loch; das Blei hielt die alpha-Strahlung zum Teil auf. Der Effekt war, dass die alpha-Strahlung, die durch das kleine Loch der Bleiblende kam, gebündelt war, also nur in eine Richtung flog.

Die so gebündelte alpha-Strahlung wurde nun auf eine Goldfolie geschossen, die sich in der Mitte eines Leuchtschirms befand. Der Leuchtschirm war mit Zinksulfid beschichtet, das die Eigenschaft hat, aufzuleuchten, wenn es von radioaktiver Strahlung getroffen wird. So konnten die Wissenschaftler im Grunde gut beobachten (und zählen), wo und wie viel alpha-Strahlung landete.

Die Wissenschaftler, die ja bereits wussten, dass radioaktive Strahlung Materie mehr oder weniger weit durchdringen konnte, erwarteten natürlich, dass auch die Goldfolie von der alpha-Strahlung durchdrungen würde. Tatsächlich machte Geiger, der mit der Aufnahme der Beobachtungen betraut war, folgende (verblüffende) Beobachtungen:

  • Der größte Teil der alpha-Strahlung durchdrang die Goldfolie einfach (und landete auf der zu erwartenden Position auf dem Leuchtschirm).
  • Ein Teil der Strahlung wurde aber nach links oder rechts von der Hauptaufschlagsstelle abgelenkt.
  • Jedes 10.000ste Teilchen wurde sogar zurückgeworfen.

Er eilte zum Versuchsleiter Rutherford und berichtete ihm von diesem verblüffenden Ergebnis. Rutherford schrieb später darüber: »Das Ergebnis war genau so unerwartet, als würden Sie eine 15-Zoll-Granate auf ein Seidenpapier abfeuern und dabei feststellen, dass die Granate abprallt und Sie trifft!«

Das bedeutet, dass die Wissenschaftler davon ausgingen, dass die alpha-Strahlung durch die Goldfolie durchdringen würde. Vielleicht hätten sie auch akzeptieren können, dass die Strahlung zurückprallt, also vom Gold aufgehalten würde (wie es ja auch beim Blei der Fall zu sein schien. Aber dass der größte Teil die Folie durchdrang, ein Teil abgelenkt und ein noch kleinerer Teil zurückgeworfen wird, das passte nicht zusammen, jedenfalls nicht, wenn das Thomsonsche Atommodell korrekt wäre! Darum musste die Vorstellung vom Bau der Atome überdacht werden...

Aus der Beobachtung, dass tatsächliche der größte Teil der positiv geladenen alpha-Teilchen-Strahlung die hauchdünne Goldfolie einfach durchdrang, schloss Rutherford, dass die Atome zum allergrößten Teil aus "Nichts" bestehen müssen. Die alpha-Teilchen können deshalb quasi ungehindert diesen luftleeren Raum durchfliegen. Also haben Atome eine riesige Hülle aus leerem Raum.
Aus der Beobachtung, dass vereinzelte alpha-Teilchen von der Goldfolie zurückgeworfen werden (etwa jedes Zehntausendste), schloss Rutherford weiterhin, dass Atome einen winzig kleinen Kern haben müssen, in dem sich die gesamte Masse des Atoms konzentriert. Nur wenn ein alpha-Teilchen genau diesen winzig kleinen Kern direkt trifft, wird es zurück geworfen. Der Kern ist etwa 10.000-mal kleiner als der Durchmesser der Hülle.
Schließlich gab es da noch die Beobachtung, dass einige alpha-Teilchen durch die Goldfolie abgelenkt wurden. Das konnte damit erklärt werden, dass der winzig kleine Kern nicht nur quasi die ganze Masse eines Atoms darstellte, sondern auch die positive Ladung in sich vereinte, die man zum Ausgleich der negativ geladenen Elektronen benötigte. Wenn nämlich die ebenfalls positiv geladenen alpha-Teilchen in der Nähe eines winzig kleinen Kerns vorbei flogen, dann wurden sie, wenn der Kern ebenfalls positiv geladen war, abgestoßen, da gleiche elektrostatische Ladungen sich nun einmal voneinander abstoßen, wie man wusste.

So war das Kern-Hülle-Modell geboren: riesige Hülle aus Nichts, in der sich Elektronen befinden, winziger Kern, in dem sich Masse und positive Ladung konzentrieren.

Die überzeugende Deutung aller Beobachtungen aus dem Streuversuch ließ praktisch nicht zu, weiterhin daran festhalten zu wollen, dass Atome massive kleine Kugeln waren.

Die Frage, warum die negativ geladenen Elektronen nicht vom positiv geladenen Kern angezogen werden, um am Ende in ihn zu stürzen, beantworte man mit der Annahme, dass sich die Elektronen um den Kern bewegen, so dass die Anziehungskraft zwischen den Ladungen von der Fliehkraft der sich bewegenden Elektronen kompensiert wird. Das erinnerte stark an die stabilen Bahnen, auf denen Planeten um die Sonne kreisen. Wegen dieser Vorstellung wird Rutherfords Modell auch "Planetenmodell" genannt, was aber so nicht von Rutherford selbst stammt.

Die Vorstellung der kreisenden Elektronen rief allerdings die Physiker auf den Plan, die zu Recht bemängelten, dass bewegte Ladung allen bekannten Experimenten nach stets elektromagnetische Strahlung aussende. Das müsste daher dazu führen, dass die Elektronen beim Kreisen Energie verlieren. Dadurch müssten sie langsamer werden. Aber wenn sie langsamer würden, könnten sie ihre Bahn nicht halten (weil die Fliehkraft kleiner würde), so dass sie als Folge davon auf einer Spiralbahn dem Kern eben doch immer näher kommen müssten, um am Ende in ihn hinein zu stürzen. Und dann kam Bohr, aber das ist eine andere Geschichte...

So, mehr fällt mir momentan nicht zu Rutherford, seinem Streuversuch und der damit im Zusammenhang stehenden Neuinterpretation des Atombaus nicht ein...

LG von der Waterkant


Zwergbiber50  08.10.2018, 19:41

Wenn es einen Preis für die beste Antwort des Tages geben würde, hättest du ihn mit dieser Antwort mit Sicherheit verdient. Super !