Karikatur 1878 Bismarck?

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Die Karikatur ist aus der politisch-satirischen Zeitschrift Kladderadatsch, 31. Jahrgang, Nr. 31, 7. Juli 1878, S. 124.

https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kla1878/0342/image

Die Deutung des Satzes „Der Pfeil ist auf die Socialdemokraten gerichtet; wie aber, wenn er über das Ziel hinausfliegt?“ in der Fragebeschreibung ist richtig.

Auf der Tafel, die Zielscheibe ist, steht ein Mann mit Revolver und „S. D." (für „Sozialdemokraten").

Die Liberalen hatten nicht die gleichen Auffassungen wie die Sozialdemokraten, vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gab es große Gegensätze. Die Sozialdemokraten haben einige liberale Ideen und Ideale wie Humanismus und Fortschritt, Rechtsstaat, Machteinschränkung durch eine Verfassung und politische Mitbestimmung des Volkes übernommen.

Bismarck betreibt den Entwurf zu einem «Sozialistengesetz« und eine Reichstagsauflösung. Dies konnte zu einer Schwächung der Liberalen führen. Die Liberalen waren in dieser Situation Angriffen ausgesetzt. Das Hinausfliegen des Pfeils über das Ziel hinaus, durch das die Liberalen getroffen werden können, ist ihre Überschüttung mit Vorwürfen und ihre Schwächung.

Bismarck hat Attentate auf den Kaiser als Anlässe ausgenutzt, um noch schärfer gegen die Sozialdemokraten vorzugehen und zugleich mit der Forderung nach einem «Sozialistengesetz« zu diesem Zweck die Liberalen in eine schwierige Lage zu bringen und sie zu schwächen. Ein «Sozialistengesetz« ermöglichte Unterdrückung und Verfolgung, auch wenn es keine Verstöße gegen allgemeine Strafgesetze gab. Die Liberalen brachte Bismarck in eine unangenehme Alternative, entweder die Zustimmung zu nachdrücklichen Maßnahmen zum Schutz der bestehenden Ordnung zu verweigern oder liberale Grundüberzeugungen wie das rechtsstaatliche Prinzip einer Gleichheit vor dem Gesetz und einer grundsätzlichen Gleichbehandlung durch das Gesetz aufzugeben und eine Ausnahmegesetzgebung zu unterstützen.

Vor allem die Nationalliberalen, damals die Partei mit den meisten Abgeordnetensitzen im Reichstag, kamen dadurch in Bedrängnis. Denn im Juni 1878 war nach einem weiteren Attentat eine sehr verbreitete Stimmung der Empörung entstanden, mit Beschwörung von Umsturzgefahren und heftigen Beschuldigungen und Angriffen gegen Sozialisten, Sozialdemokraten und auch gegen Politiker, die Bedenken gegen ein scharfes Ausnahmegesetz hatten, das bestimmte Gesinnungen und Meinungsäußerungen verbot. Den Liberalen wurde vorgeworfen, dem Sozialismus Vorschub zu leisten, und eine moralische Mitschuld am Attentat gegeben. Die erregte Stimmung, die harte Maßnahmen befürworte, reichte bis weit in die Wählerschaft der Liberalen hinein.

Die Attentäter waren Einzeltäter und hatten wahrscheinlich eine psychische Störung. Der Klempnergeselle Max Hödel, der am 11. Mai Wilhelm II. mit drei Revolverschüssen verfehlt hatte, war Mitglied der Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) geworden, hatte Schriften verbreitet und verkauft, wegen betrügerischer Unterschlagung von Geld wurde im Frühjahr 1878 beantragt, ihn auszuschließen, und er am 9. Mai 1878 vom Zentralwahlkomitee aus der Partei ausgeschlossen. Er ist Mitglied der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei geworden, bei deren Gründung der protestantische Hofprediger Adolf Stoecker eine wichtige Rolle spielte und die eine konservative und judenfeindliche Einstellung hatte. Dr. Karl Eduard Nobiling, der am 2. Juni 1878 mit Schüssen aus einer Schrotflinte Wilhelm II. schwer, aber nicht tödlich verwundete, hatte Staatswissenschaften und Landwirtschaft studiert. Eine konkrete Verbindung zur Sozialdemokratie bestand nicht. Ohne tatsächliche echte Anzeichen und Beweise wurde von Regierung, Staatsanwaltschaftlich und regierungsnaher Presse eine sozialistische/sozialdemokratische Urheberschaft der Attentate unterstellt.

Ein Entwurf für ein Gesetz «zur Abwehr sozialdemokratischer Ausschreitungen«, den die Regierung einbrachte, wurde am 24. Mai 1878 im Reichstag mit 251 zu 57 Stimmen abgelehnt (fast alle Abgeordnete der Liberalen stimmten nicht für den Gesetzentwurf).

Nach dem Attentat vom 2. Juni 1878 kippte die Stimmung. Der Reichstag wurde am 11. Juni 1878 aufgelöst. Bei der Reichstagswahl am 30. Juli 1878 verloren die rechten Liberalen (Nationalliberale Partei) 29 Abgeordnetensitze, die linken Liberalen 10 Abgeordnetensitze (Deutsche Fortschrittspartei 9 Abgeordnetensitze weniger, Deutsche Volkspartei 1 Abgeordnetensitze weniger), die Konservativen gewannen (Deutschkonservative Partei 19 Abgeordnetensitze mehr, Freikonservative [Deutsche Reichspartei] 19 Abgeordnetensitze mehr).

Am 19. Oktober 1878 wurde vom Reichstag mit 221 zu 149 Stimmen das «Sozialistengesetz« („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) angenommen. Konservative und Nationalliberale stimmten geschlossen dafür.

Bismarck war es recht, wenn eine ziemlich gefügige Nationalliberale Partei die Regierungspolitik unterstützte, wobei ihm eine kleine, den Großteil der Partei nicht betreffende Abspaltung des linken Flügels der Nationalliberalen (Politiker wie Eduard Lasker, Max von Forckenbeck, Ludwig Bamberger und Heinrich Rickert) wünschenswert erschien.

http://ghdi.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1442&language=german

„Reichstagsauflösung” (7. Juli 1878)

Der Bildtext dieser Karikatur aus Kladderadatsch lautet: „Der Pfeil ist auf die Socialdemokraten gerichtet; wie aber, wenn er über das Ziel hinausfliegt?“ Die Zeitschrift brachte zielgenau Bismarcks Absicht zum Ausdruck, die beiden Attentatsversuche auf Kaiser Wilhelm I. (11. Mai und 2. Juni 1878) zur Schwächung der liberalen Opposition gegen seine Politik zu benutzen. Doch indem Kladderadatsch der Männergestalt mit einem Revolver das Etikett „S.D.“ verpasst, folgt er zu Unrecht Bismarcks Beispiel und bringt die Sozialdemokraten als politische Bewegung (und Partei) mit den verhinderten Attentätern in Verbindung. Der erste der beiden, Max Hödel, war vor seinem Anschlagsversuch aus der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ausgeschlossen worden; tatsächlich fand die Polizei bei seiner Durchsuchung ein Parteibuch der Christlich-sozialen Arbeiterpartei, die von niemandem anders als Adolf Stöcker (1835-1904) angeführt wurde, dem Hofprediger der Hohenzollern. Der zweite, Dr. Karl Nobiling, lehnte in Wirklichkeit den Sozialismus ab. Das war jedoch egal. Bismarck heizte erfolgreich die öffentliche Stimmung an und setzte für Ende Juli eine Reichstagswahl an. Als der Urnengang beendet war, hatte die Nationalliberale Partei 29 ihrer 128 Sitze aus der letzten Legislaturperiode verloren; die linksliberale Fortschrittspartei hatte neun ihrer 35 Mandate eingebüßt. Da die Konservativen und Freikonservativen entsprechende Zuwächse verzeichneten, lag der Weg offen für die Verabschiedung des Sozialistengesetzes im Oktober 1878 und – nicht lange darauf – für die Spaltung der nationalliberalen Reihen, auf die Bismarck abgezielt hatte. Quelle: “Reichstagsauflösung,” Kladderadatsch, Bd. 31, Nr. 31 (7. Juli 1878), S. 124.

nein, andersrum

bismarck hatte etwas vor, was der spd schaden sollte oder sie halt irgendwie beeinträchtigen oder klein halten und es könnte sein, dass seine maßnahmen auch die liberalen treffen und sie gegen ihn aufbringen