Bismarck als Weichensteller

Bismarck als Weichensteller - (Politik, Deutschland, Geschichte)

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Die Karikatur ist am 4. Mai 1878 in der satirischen Zeitschrift Punch, or The London Charivari erschienen.

Sie bezieht sich auf einen Konflikt mit einem drohenden Krieg zwischen Großmächten. Der Streit wurde in Vorverhandlungen mit grundsätzlicher Einigung in Vorabkommen und auf dem Berliner Kongreß (1878) beigelegt.

Rußland hatte 1877 – 1878 Krieg gegen das Osmanische Reich geführt und nach siegreichem Verlauf dieses im Frieden von San Stefano (3. März 1878) zu großen Zugeständnissen gezwungen. Andere europäische Großmächte (darunter Österreich-Ungarn) mischten sich aber ein, die einen übermäßigen Machtzuwachs Russland verhindern wollten. Großbritannien griff ein, um eine Eroberung der Meerengen (Bosporus, Dardanellen) durch die Russen und einen als Störung des Gleichgewichts verstandenen Zustand zu verhindern. Es kam zu Verhandlungen.

Der Berliner Kongreß vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 unternahm unter Vorsitz Bismarcks (der versuchte, ein „ehrlicher Makler“ zu sein) einen Versuch einer internationalen Lösung. Im Ergebnis wurde das, was Russland im Frieden von San Stefano an Bedingungen durchgesetzt hatte, zum Teil rückgängig gemacht und Kompromisse geschlossen.

Die Karikatur hebt die Rolle Bismarcks als Verhinderer eines Zusammenstoßes hervor, der sich für eine diplomatische Lösung einsetzte und mit dem Vorschlag einer grundsätzlichen Einigung der sich streitenden Staaten und der Bereitschaft zur Durchführung eines Kongresses Wege für eine friedliche Beilegung des Konfliktes bahnte.

Ein Weichensteller (die Bildunterschrift „working the points“ heißt ungefähr „die Weichen stellen“) wirkt darauf ein, in welche bestimmte Richtung Fahrten gehen. Eine Aufgabe von ihm kann auch sein, gut zu koordinieren und für ein Ablaufen des Verkehrs in guter Ordnung ohne Unfall zu sorgen.

Bismarck hat nach der Entstehung eines deutschen Nationalstaates 1871 eine verwickelte Bündnispolitik unternommen, um das Deutsche Reich im internationalen Staatensystem zu schützen und durch vielfältige Einbindungen die Gefahr von weitgehenden Kriegen zu verringern. Eine wichtige Aufgabe war dabei, einen kriegerischen Zusammenstoß der Großmächte in Europa zu verhindern. Besonders interessiert war Bismarck daran, das besiegte Frankreich möglichst isoliert zu halten und ein auf einen Angriff gegen Deutschland gerichtetes Bündnis zu verhindern. Bismarck erklärte das Deutsche Reich für saturiert (gesättigt). Weitere Gebietsansprüche wurden also ausdrücklich nicht erhoben. Damit sollte Vertrauen gewonnen werden. 1878 unternahm Bismarck zur Vermeidung eines großen europäischen Krieges auf dem Berliner Kongress die Vermittlung in einen Konflikt nach dem Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich 1877/8 um die von russischer Seite auferlegten Friedensbedingungen, durch die andere Staaten das Gleichgewicht auf dem Balkan bedroht sahen. Von den meisten wurden seine Bemühungen (Bismarck erklärte sich zum „ehrlichen Makler“, der dort keine eigenen Interessen habe) um eine Friedensstiftung anerkannt. Rußland allerdings war nicht völlig zufrieden.

In einer Karikatur sorgt Bismarck als Weichensteller dafür, ein Zusammenstoßen der dicht nebeneinander mit großer Geschwindigkeit rasenden zwei Züge (unter Hochdruck, mit kräftigen dunklen Dampfwolken) Großbritannien und Rußland zu vermeiden. Links (vom Betrachter aus gesehen) fährt Rußland („Russia) mit einem Doppelalder (Wappen des Russischen Reiches) vorne drauf, rechts Großbritannien („Britannia“) mit der britischen Flagge (Union Jack) vorne drauf.

An der gefährlichen Stelle, wo ein Zusammenstoß droht (zwei dunkle Vögel, vielleicht Krähen oder Raben, die sich auf Tote [Aas] stürzen würden, sitzen auf einem Balken mit der Aufschrift „DANGER“ [„Gefahr“], gegenüber weitere Vögel auf Leitungen), steht Bismarck bereit, um dies zu vermeiden. Auf einem Hinweisschild steht „HALF SPEED“ („Halbe Geschwindigkeit“).


BerchGerch  12.04.2017, 10:07

Hallo Albrecht,

ich habe noch nie eine so exzellente Erklärung des historischen Bezugs dieser bekannten Karikatur gelesen. Chapeau!

Gruß, BerchGerch

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ChipaChups  05.02.2019, 19:04

Hallo Albrecht,
auch erstmal vielen Dank fuer deine ausfuehrliche Antwort, dennoch habe ich eine Frage:
Bismarck wird in dieser Karikatur ja positiv dargestellt. Die Karikatur ist aber schon vor Beginn der Verhandlungen des Berliner Kongresses entstanden. Auf der folgenden Seite steht aber, dass sich Deutschland Großbritannien aber erst durch die Verhandlungen zu einem Freund gemacht hat.
Hatten die Deutschen mit den Briten schon vorher gute Verhaeltnisse, oder wie ist das zu erklaeren?
Vielen Dank im Voraus.
LG ChipaChups

Seite: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/aussenpolitik/berlinerkongress

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Albrecht  05.02.2019, 21:26
@ChipaChups

Bismarck hatte schon im Februar 1878 seine Bereitschaft erklärt, bei Friedensverhandlungen die Rolle eines »ehrlichen Maklers« zu übernehmen.

Großbritannien wollte ein für es günstiges Mächtegleichgewicht. In der »Krieg-in-Sicht-Krise« 1875 zeigte es zusammen mit dem Russischen Reich den Willen, dem Deutschen Reich Grenzen zu setzen und notfalls Frankreich zu unterstützen. Das Verhältnis war damals also nicht so gut. Das Deutsche Reich zeigte dann Zurückhaltung, wodurch der Konflikt abgebaut werden konnte. Bismarcks Außenpolitik beim Russisch-Osmanischen Krieg 1877 – 1878 war für die Interessen Großbritanniens geeignet.  Als Ergebnis der Verhandlungen des Berliner Kongresses ist die Wertschätzung Bismarcks bei britischen Politiklern gestiegen. Es entstand kein Freundschaftsbündnis Deutschland-Großbritannien, aber Bismarcks hatten sich bei britischen Politikern den guten Ruf eines vertrauenswürdigen Politikers erworben,

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Fast traut frau sich ja garnicht mehr, nach den Ausführungen der genialen VorUser noch eine Anmerkung zu machen. Versuche es trotzdem :-))

Bismarck als diplomatisch handelnede Person hat die Ideen seiner Politik im Kopf gehabt und entsprechen die Weichen als Handelnder so gestellt, dass es in seine gedachte Richtung gehen sollte. Was er nicht Beeinflussen konnte, war letzendlich die Einstellung des obersten Chefs. Gegen die geistige Leere des letzten deutschen Kaisers und seinem absoluten Unverständnis der Weltpolitischen Lage genüber, konnte Bismarck nichts mehr ausrichten. War er doch gnadenlos aufs Abstellgleis geschoben worden und all seine genialen WInkelzüge, seine Weichenstellungen, um eine Balance im großen Zerren zu erhalten, blieb lentzendlich kein Erfolg beschieden.

Im tatsächlichen Lauf der Geschichte hat der Karrikaturist nach meiner Auffassung eine Menge Weitblick bewiesen. die Weichenstellungen von Bismarck ermöglichten eine kurze friedliche Reise, ein Eintauchen des jungen deutschen nation, doch nur ein Steinchen in der Weiche ließ den eigentlich recht erfolgreich auf die Reise gegangenenZug aus den Schienen kippen. Und sei versichert, geweint haben die Engländer deshalb wirklich nicht. Bismarck war für die bestehende Ordnung in Europa, die kein weiteres starkes Land neben England, Frankreich, Österreich/Ungarn und Rußland vorsah eine ernst zu nehmende Macht, Eine Gefährdung der ordnung nach altem Bild. Schon die Einigung der verschiedenen Krautjunker und hunderter kleineer Königreiche/Herzogtümer unter einer Flagge, unter dem Norddeutschen Zollverein war mehr als suspekt. Die Reise des Herrn Bismark mit dem auf einmal als einheitlich auftretendem Deutschland erregte mehr als nur Argwohn.

Albrecht hat eine sehr ausführliche Antwort gegeben. Allerdings musste es mit so einer Weiche zu einem Zusammenstoß kommen, da konnte Bismarck lavieren wie er wollte. Infolge ihrer ungleichmäßigen Entwicklung und dem dringenden Bedarf Deutschlands nach Rohstoffen und Absatzmärkten und Drang nach Kolonien gerieten die Mächte 36 Jahre später in den unvermeidlichen, fürchterlichen Weltkrieg. Die Mittelmächte und die Entente standen sich gegenüber und alle Weichenstellungen halfen nichts. Sieht man sich die Weiche genauer an, musste der Zusammenstoß schon eher erfolgen.