Kann man nach dem Wort "jetzt" das Präteritum verwenden?

8 Antworten

Von Experte indiachinacook bestätigt

In Alltagssituationen und in einem realistischen Bericht des Wirklichen geht das nicht: "Jetzt" ist von seiner Bedeutung her auf Gegenwart beschränkt - quasi der Inbegriff des in der Gegenwart Geschehenden. "Grammatisch" (d.h. hier semantisch) wäre die Formulierung also falsch. "Jetzt nehme ich ein Bad" bzw. "Dann nahm ich ein Bad" sind die in sich stimmigen Formen. (Bzw. "Zu dem Zeitpunkt nahm ich gerade ein Bad.")

Im literarischen Kontext hingegen geht das schon. Die besondere Erzählsituation des epischen Textes führt zum sogenannten "Epische Präteritum", das in der Darstellung eines fiktiven Vergangenen eine Unmittelbarkeit des Geschehenen/Geschehenden erzeugt, in deren Rahmen ein "jetzt" - das ja nur innerhalb der Gegenwart sinnvoll verwendet werden kann - durchaus angemessen ist, obwohl der Text im Präteritum steht. Das hängt mit einem Wechsel zwischen zwei Perspektiven innerhalb des Erzählens zusammen: dass einerseits der Erzähler dem Leser das Vergangene berichtet, oft aber aus der Perspektive des Beobachters (bzw. einer Figur) berichtet wird, der (die) die Geschehnisse unmittelbar erlebt.

Episches Präteritum:

Die Theorie des epischen Präteritums hat Käte Hamburger in ihrem Buch "Die Logik der Dichtung" (zuerst 1957) entwickelt. Dabei geht es in erster Linie darum, Kriterien für die Fiktionalität eines Textes aus seiner eigenen Logik heraus zu entwickeln (vgl. fiktionale und faktuale Texte). Während der Gebrauch des Präteritums in einem Wirklichkeitsbericht das Erzählte als etwas Vergangenes qualifiziert, bewirkt das epische Präteritum in einem fiktionalen Text durchaus keine zeitliche Distanzierung. Die im Präteritum erzählten Ereignisse vermitteln den Eindruck, in einer - fiktiven - Gegenwart stattzufinden. Dabei verliert das Präteritum "seine grammatische Funktion, das Vergangene zu bezeichnen". (Hamburger, S. 61) (...) Da das epische Präteritum nach Hamburger keine Vergangenheit anzeigt, sondern nur die Fiktionalität des Textes, wird die Verbindung von Vergangenheitstempus und deiktischem (zeigendem) Zeitadverb möglich. (http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/epik/epp.htm)

Das übliche Anzeichen der Unmittelbarkeit ist allerdings auch in der Literatur die Gegenwartsform. Gerade in der Ich-Form, die suggeriert, dass ein Ich jemandem einen (wenn auch fiktionalen) Wirklichkeitsbericht liefert, würde wohl eher "Dann nahm ich ein Bad" stehen. Die zeitliche Spannung deiktischer Elemente (jetzt, hier etc.) innerhalb des epischen Präteritums würde ich also für einen nicht figuralen Erzähler ("auktoriale Erzählperspektive", Beobachterperspektive) vorbehalten.

Wesentlich besser und klarer wäre: "dann"

(oder "daraufhin")

Denn "jetzt" bezieht sich eigentlich nur auf die Gegenwart.

"Jetzt" + Vergangenheit ist wohl nur in Umgangssprache möglich.


Oubyi, UserMod Light  07.06.2013, 14:48

Ich finde in Romanen etc. ist das durchaus sinnvoll und auch üblich, da man mit einem Jetzt wesentlich mehr Spannung erzeugt, als mit einem lahmen "Dann".
Siehe das Beispiel in meiner Antwort.
So:

"Ich machte mich schnell auf den Weg zu ihr.
Der dichte Verkehr raubte mir den letzten Nerv.
Dann hatte ich mich auch noch verfahren."

klingt das für mich lange nicht so gut.

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Oubyi, UserMod Light  07.06.2013, 19:16
@Bswss

Stimmt.
In dem Zusammenhang hat es wirklich eine andere Bedeutung als in dem in der Frage als Beispielsatz genannten Zusammenhang.
Aber als Antwort zu der Überschrift:

Kann man nach dem Wort "jetzt" das Präteritum verwenden?

bleibe ich bei meine Meinung.
Und:
"....Außerdem hatte ich mich auch noch verfahren."
finde ich auch nicht so gut wie die Version mit "Jetzt..."

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Bswss  07.06.2013, 23:16
@Oubyi, UserMod Light

Wegen so geringer Meinungsunterschiede brauchen wir uns aber "jetzt" nicht zu streiten, oder?

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Wenn jemand in der Vergangenheit mit einer Tätigkeit beginnt, kann man das mit "jetzt" einleiten. Richtiger wäre "dann", aber das "jetzt" kann die Schilderung unter Umständen lebendiger und spannender machen.

Lies dir mal diese Diskussion durch:

http://autorenforum.montsegur.de/cgi-bin/yabb/YaBB.pl?num=1226839982;start=all#

Ich bin mit Angelka Jo einer Meinung und ebenfalls mit dem Kommentar von earnest hier.


Oubyi, UserMod Light  07.06.2013, 19:25

DH!
Toller Link, da wird das Thema von Profis ausgiebig diskutiert.
Ich finde dort diese beiden Beispielsätze von Christa sehr aufschlussreich:

"Seine Stimme, die er jetzt erhob, klang wie aus einem Grab."
"Das Wasser reichte ihr jetzt bis zum Bauch."

Sie schreibt dazu, dass ihr Lektor ihr viele "Jetzts" gestrichen hat, aber, Zitat:
"Bei diesen zwei Sätzen, zum Beispiel, sind sie stehengeblieben, weil es gar nicht anders geht: "

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Thelema  08.06.2013, 12:32
@Oubyi, UserMod Light

Natürlich geht es anders: "In diesem Moment" wäre eine grammatisch richtige Form und bezogen auf den zeitlichen Ablauf bedeutungsgleich mit "jetzt". Im zweiten Fall "mittlerweile", weil das Wasser die ganze Zeit gestiegen ist und der momentane Stand benannt werden soll. Manchmal heißt "jetzt" aber auch nur "dann" ... und beim ersten Beispiel scheint mir auch eine zeitliche Folge und keine Gleichzeitigkeit vorzuliegen. Der Vorteil bei "jetzt" hingegen ist die Unmittelbarkeit des Erlebens.

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Nein das geht nicht wenn du logisch überlegst


earnest  07.06.2013, 14:54

Doch, das geht (siehe z.B. meinen Kommentar oder schau bei Oubyi).

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