Immer reicher und doch ärmer?
Die Bevölkerung in Deutschland wird statistisch immer reicher.
Wir werden immer produktiver, schaffen ohne Zuwanderung schon gar nicht mehr alle Aufträge.
Und doch werden wir immer ärmer?
Die Rente wird gekürzt und reicht oft nicht mehr.
Zahnersatz müssen wir heute selbst zahlen, können viele nicht.
Immer mehr verschulden sich
Selbst Strom und Gasrechnung läßt viele verzweifeln
Was ist deine Meinung?
24 Stimmen
14 Antworten
Kapitalismus führt immer zu Akkumulation von Geld, allein durch Zins und Zinseszinz.
Bei allem was wir kaufen zahlen wir zu einem großen Teil die Schulden mit ab, die gemacht wurden um Produkte fertigen zu können.
Ein Produkt das im Laden verkauft wird hat mit seinem Erlös, je nach Produkt, mehrere Zwischenhändler und auch Spekulanten finanziert.
Gibt es irgendwo eine schlechte Ernte, und es wurde darauf gewettet dass es eine schlechte Ernte gibt, dann zahlen wir mit dem Kauf des Produktes auch den Gewinn dessen der gewettet und gewonnen hat.
Was soll den dabei anderes rauskommen als Ungerechtigkeit?
Ich habe das Gefühl, dass sich viele Lobbyisten die Taschen vollfüllen und normalen Menschen dadurch immer weniger über bleibt.
Und das ist allemal ungerecht.
Gerade in Deutschland sollte niemand um seine Existenz bangen müssen, vorallem nicht jene, die einer regulären Arbeit nachgehen.
Du vermischt hier sehr vieles.
Zunächst einmal gibt es akute Probleme und es gibt eine gesamte langfristige Entwicklung. Das darf man beides nicht verwechseln.
Ja, es gab vor allem in 2022 und teilweise 2023 massive akute Probleme. Die Hauptursache in den explodierten Energiepreisen und in den Folgen (hohe Inflation) lagen in drei Punkten:
A) Nachwirkungen von Corona und den massiven Geldspritzen. Die waren zwar notwendig, um die Wirtschaft nicht sterben zu lassen und damit noch größeres Chaos anzurichten, aber das Geld war plötzlich im Umlauf. Es ist sehr simpel: Viel Geld = Inflationsdruck. Ein eher kleinerer Effekt waren die Lieferschwierigkeiten während Corona. Das hat einige Preise in die Höhe getrieben und es gab zusätzliche Effekte durch höhere Nachfrage. Manches Alltägliches, vieles nicht Alltägliches, wie die Preise von Solarpanelen.
B) Putins Wirtschaftskrieg. Der Typ hat schon im Sommer 2021 als Vorbereitung seines Krieges angefangen, Europa das Gas abzudrehen. Seither spielt der Gaspreis verrückt und das hat auch massive Auswirkungen auf den Strompreis.
C) OPEC-Kartell. Auch die haben in 2021 massiv an der Preisschraube gedreht. Immer wieder lassen sie sich aberwitzige Projekte einfallen und wir sollen die bezahlen. Wie sind von Öl so abhängig, dass uns keine Wahl bleibt. neuester Aberwitz ist "The-Line". Einfach mal googlen.
Die Nahrungsmittelpreise sind auch sehr speziell. Dieselben Bauern, die plötzlich demonstrieren und den Untergang Deutschlands herbeischreien, haben sich im letzten Herbst selbst auf die Schultern geklopft. Sie haben ihre Gewinne locker fast verdreifacht. Ein Großteil der gestiegenen Lebensmittelpreise war also gar nicht wegen Kostensteigerungen, sondern wegen massiven Gewinnmitnahmen der Händler, Supermärkte und Bauern...
Das sind zunächst einmal die akuten Probleme. die Inflation ist längst abgeschwächt, der Strompreis seit letzten Februar wieder stabil zurück auf Vor-Corona-Niveau. Die Löhne ziehen nach.
Kommen wie zu den langfristigen Entwicklungen.
Da muss man Ausländer und Deutsche voneinander trennen. Das meine ich nicht negativ oder so. Ich erkläre es gleich. Wir Deutschen haben in den letzten 20 Jahren einen rasanten sozialen Aufstieg hinter uns. Viele Deutsche sind aus der ehemals perspektivlosen Zeit in den 1990ern rausgekommen und in "höheren" sozialen Gruppen mit mehr Einkommen untergekommen. Wir haben massiven Beschäftigungsaufschwung erlebt und verdienen teils deutlich mehr als noch vor 30 Jahren. Eine gute Größe, das zu messen, ist die Kaufkraft einer Minute Arbeit. Wenn du für 10 Eier vor 30 Jahren mal 5 Minuten arbeiten musstest, heute aber nur 4 Minuten, bist du ja automatisch reicher geworden bzw. kannst dir vom Lohn mehr leisten.
Aber: Unser Warenkorb ist auch viel größer geworden. Heutzutage kauft sich selbst der einfache Arbeiter Dinge, die es früher in den 1990ern gar nicht gab in vielen Haushalten. Internetzugänge, Für jede Person ein Smartphone, Tablets. gerade im Technikbereich gab es all das so gut wie nie in den 1990ern. Es ist für manche schwer, da Schritt zu halten. Der Lohn ist also womöglich (schwer zu beurteilen) nicht so stark für alle angestiegen, dass sie sich all diese Dinge problemlos leisten können. Aber nochmal zurück zum sozialen Aufstieg: Dass es all diese Dinge in den 1990ern nicht gab, dass sie heute aber selbst für normale Arbeiter alltäglich geworden sind, heißt für mich, dass es einen rasanten sozialen Aufstieg gab. Man lebt ja "besser" als in den 1990ern.
Kommen wir zum Unterschied mit Ausländern. Viele Migranten und vor allem Flüchtlinge (die womöglich zu Migranten werden) kommen erst mal mi quasi leeren Händen hier her. Sie müssen sich integrieren, auf dem Arbeitsmarkt ankommen und sich vermögen erarbeiten. Sie müssen sich Jobs erarbeiten, die besser bezahlt werden. Womöglich schaffen sie das erst in der nächsten Generation. Viele der sozial unteren Plätze werden von Ausländern mittlerweile besetzt und nicht mehr von uns Deutschen. Das meine ich wertneutral, denn wir brauchen ja auch die (leider viel zu schlecht bezahlten) "strukturell wichtigen" Arbeiter in sozialen Berufen usw., die dann aber meist auch von Ausländern besetzt werden.
Immer mehr verschulden sich
Das ist in der Tat ein Phänomen. Aber ich sehe das einmal darin, dass viele Schritt halten wollen mit dem "Alles haben", obwohl sie sich finanziell überschätzen. Ich habe oben die Technik angesprochen. Auch Markenklamotten ist sowas. In den 1980ern und teilweise 1990ern hatte nur eines von 30 Kindern in der Schule einer Arbeiterregion Markenklamotten. Der Rest hatte teilweise die Klamotten der älteren Cousins aufgetragen. Das war so. Das war normal. heutzutage gilt man als verarmt, wenn das Kind nicht das neueste Smartphone und Markenklamotten bekommt. Da hat sich etwas gewaltig verschoben. Es ist gut, dass wir immer höhere Ansprüche habe, aber wenn man eins zu eins die Lebenssituation von Arbeitern der 1980er und 1990er mit heute vergleicht, sieht man, dass sie heute deutlich "reicher" geworden sind.
Nein ist es nicht weder für uns, noch für die Natur
Ich glaube, du hast mich nicht verstanden. Ich habe zwar vorrangig den Konsum angesprochen, aber es gibt auch viele andere Dinge, die man sich heutzutage potentiell leisten kann oder die sich implizit verbessert haben. Die Nahrung ist ein interessantes Beispiel, denn nach wie vor leben viele relativ ungesund, aber auch in unteren sozialen Schichten hat sich der Gedanke verfangen, dass man womöglich nicht immer nur das Billigste kaufen sollte, sondern mehr auf sich achten sollte und - nun der Querschluss - man kann es sich (teilweise) leisten. Die akuten Probleme der letzten beiden Jahre haben das halt wieder zunichte gemacht.
Dass wir nach wie vor eine auf Naturausbeuten ausgerichtete Gesellschaft sind, ist die Kehrseite der moralischen Medaille.
Aber deine Frage war ja auf Reichtum und Konsum ausgerichtet und nicht auf Dinge wie nachhaltige und gesunde Lebensweise. Wenn du das im Blickfeld haben willst, wäre gut gewesen, das in der Frage zu erwähnen.
Toller Vergleich, es gibt heute keine Arbeiter mehr... noch gar nicht aufgefallen?
Doch. Sie gibt es nach wie vor. Wenn dir diese Einteilung nicht passt, nimm die Einteilung in Einkommens- oder Vermögensdezile. Da beobachtet man dasselbe.
IG Metall, IGBCE...usw...in den 80er gab es den Tarif für Arbeiter und den für Angestellte und heute?...wo ist denn der Tarif für Arbeiter?
Das frage die Gewerkschaften. Wenn du mit dem Wort "Arbeiter" ein Problem hast, dann nehme wie gesagt die Dezil-Einteilung.
Ich teile Deine Einschätzung voll und ganz.
Noch vor 25 Jahren war die Gesellschaft gleicher und der ärme Teil hatte mehr Lebensqualität. Von vor 40 Jahren ganz zu schweigen.
Was Du beschreibst sind die Auswirkungen des Neoliberalismus.
Heute hat auch jeder "Ärmere" ein eigenes Smartphone und vieles, was es vor 40 Jahren noch gar nicht gab. War das dann mehr Lebensqualität? Womöglich, je nachdem, was man als Lebensqualität hinzurechnet. Aber waren sie reicher? Definitiv nein, sie hatten ja auch nachweisbar weniger.
Ich habe versucht, das in meiner eigenen Antwort etwas ausführlicher auseinander zu dröseln.
Ich sehe nicht, wo in den 1980ern oder 1990ern jeder Arme ein Auto und dergleichen hatte. Viele der Dauer-Sozialhilfeempfänger und Co. hatten genau das nämlich damals doch auch nicht.
Und ein Smartphone ist heute notwendig und keineswegs Luxus.
Ich habe das auch nicht als Luxus bezeichnet :-)
Wenn man vergleicht, kann man das auf zwei Ebenen machen: Entweder den absoluten Vergleich. Sprich: Wer hatte ein Auto, wer nicht?
Oder den relativen vergleich: Wer hat damals unterhalb der Armutsgrenze gelebt, wer lebt heute unterhalb der Armutsgrenze.
Auffällig ist, dass die Armutsgrenze selbst sich massiv verschoben hat. Wer sich mal heute die Definition diverser Sozialverbände oder Wissenschaftler anschaut, was als Armut gilt, der muss sich in der Rückschau an den Kopf fassen. Was heute als arm gilt, was in den 1980ern noch teilweise sogar bürgerlicher Lebensstandard.
Das heißt nicht, dass es keine Armut gibt. Ja, die gibt es, die muss weiterhin bekämpft werden. Aber es hilft IMHO, den Weg, den wir genommen haben, korrekt einzuschätzen. Der Weg ist in meinen Augen langfristig eine Verbesserung und nicht etwa ein "Es wird immer schlimmer".
Es ist gut, dass wir immer höhere Ansprüche habe,
Nein ist es nicht weder für uns, noch für die Natur
aber wenn man eins zu eins die Lebenssituation von Arbeitern der 1980er und 1990er mit heute vergleicht, sieht man, dass sie heute deutlich "reicher" geworden sind.
Toller Vergleich, es gibt heute keine Arbeiter mehr... noch gar nicht aufgefallen?