Ich verstehe Notwehr nicht?

10 Antworten

Das deutsche Notwehrrecht kennt keine Verhältnismäßigkeit. Eine Einschränkung gilt nur hinsichtlich extremer Situation: der Ladendetektiv darf keinen flüchtenden Ladendieb erschießen oder Du darfst niemanden mit einem Gewehr abwehren, der dir vom Apfelbaum Obst klaut.

Du brauchst nicht das geringfügigste Mittel anwenden, Du kannst doch gar nicht abschätzen ob es hilft, was dann?

Abwägen brauchst Du nur beim rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – (keine Rechtsberatung)

ThisIsJustMeDE  13.09.2024, 13:35
Abwägen brauchst Du nur beim rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Du vermischt da was. In StGB §32 muss nicht das Geschütze gegen das zum Schutz verletzte Rechtsgut abgewogen werden. Bei §34 StGB schon. In beiden Fällen müssen aber mehrere Erfolgsversprechende Möglichkeiten gegeneinander abgewogen und die mildeste Gewählt werden.

ThisIsJustMeDE  13.09.2024, 13:39
@ThisIsJustMeDE

Also:

Verhältnismäßigkeit wäre im Kontext §32 StGB: die Abwägung des Rechtsgutes dass der Angreifer angreift gegen das Rechtsgut des Angreifers das man in Notwehr verletzt. Dies Abwägung muss wie von dir richtig gesagt nicht durchgeführt werden. (Bei §34 StGB muss diese Abwägung wie von dir gesagt hingegen getroffen werden.)

Erforderlichkeit heißt praktisch das Mann die Folgen der Möglichen Maßnahmen zur Abwehr in gewisser weise gegeneinander Abwägen muss. Dies muss sowohl unter §32 StGB als auch §34 StGB erfolgen. Es ist aber eben auch so das schon Berücksichtigt wird dass dies nicht immer umfassend möglich ist sondern man aus Schrecken usw. eben auch Reflexhaft handeln kann. Und es gibt eben §33 StGB.

ThisIsJustMeDE  13.09.2024, 13:31
Das deutsche Notwehrrecht kennt keine Verhältnismäßigkeit. Eine Einschränkung gilt nur hinsichtlich extremer Situation: der Ladendetektiv darf keinen flüchtenden Ladendieb erschießen oder Du darfst niemanden mit einem Gewehr abwehren, der dir vom Apfelbaum Obst klaut.

richtig

Du brauchst nicht das geringfügigste Mittel anwenden, Du kannst doch gar nicht abschätzen ob es hilft, was dann?

Dieser Schluss ist aber falsch. Denn §32 StGB fordert ja gerade die "Erforderlichkeit". Und genau das ist damit gemeint. Gibt es ein milderes Mittel ist das schwerer wiegende Mittel nicht erforderlich. Wenn Festhalten reicht ist es nicht Erforderlich zu Schießen. Natürlich wird dabei Berücksichtigt dass ein milderes Mittel nur dann zu wählen ist wenn es Erfolgversprechend ist. (Und zwar konkret für die Person in der Situation. Also Einzelfallbetrachtung durch den Richter. Bei einem 120KG 2m Muskelberg wird man das festhalten einer 55kg schweren 72 Jahre alten Frau im normalfall als Erfolgversprechend ansehen in der Umgekehrten Konstellation wird man das nicht als Erfolgversprechend ansehen.) Und dann gibt es ja auch noch extra §33 StGB der einen Straffrei stellt falls man die Grenzen der Notwehr aus "Verwirrung, Furcht oder Schrecken" Überschreitet.

Man sollte ja das geringfügigste Mittel benutzen um den Angriff abzuwehren.
Aber wie denn? In einem plötzlichen Angriff kann man die Gefahr oft nicht einschätzen und führt dann halt keinen gezielten Schlag aus sondern greift sich einen Stein und zieht dem Angreifer diesen über den Schädel.

Das ist ja durchaus im Gesetz berücksichtigt. Erstens muss die Möglichkeit für dich Realistisch Wählbar und Umsetzbar sein sowie Erfolgversprechend. Zusätzlich gibt außerdem noch extra den Paragraphen 33 StGB der dich Straffrei stellt wenn du aus "Verwirrung, Furcht oder Schrecken" ein Mittel wählst das die Grenzen der Notwehr überschreitet.

Was Du in Sekundenbruchteilen entscheidest, dafür haben dann tatsächlich Richter, Staatsanwälte und Gutachter monatelang Zeit das auseinanderzupflücken. Damit man nicht ganz so festgenagelt ist, steht im § 32 StGB auch nicht drin, das die Mittel zur Abwehr abzuwägen sind, sondern es wird von Erforderlichkeit gesprochen. Entgegen der allgemeinen Meinung gibt es nämlich bei der Notwehr keine Verhältnismäßigkeit. Es darf lediglich kein grobes Missverhältnis zwischen Angriff und Abwehr bestehen, z.b. jemanden, der lediglich mit der Faust droht, niederzuschießen.
Dabei werden aber noch andere Dinge berücksichtig. Warst du zum Beispiel in der Situation kopfmäßig überfordert, und dein Körper hat die Kontrolle übernommen, kann es passieren das Du zuviel, oder etwas falsches machst. Das nennt man Notwehrexzess, oder auch Notwehrüberschreitung. Auch das ist im § 33 StGB geregelt.
Dann kann es auch passieren, das Du der irrigen Annahme unterliegst, das Du dich in Notwehr befindest, das nennt man Putativnotwehr.
Man hat also schon eine Reihe von Schutzmechanismen geschaffen, die einen selbst bei der falschen Anwendung von Notwehr, von der Schuld freisprechen können.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Waffensachkunde, Master Sicherheitstechnik

Du musst das mildeste, dir in dem Moment zur Verfügung stehende, sicher wirksame Mittel verwenden.

  • Ein Mittel, das dir im Moment des Angriffs nicht zur Verfügung steht, brauchst du nicht zu berücksichtigen.
  • Ein Mittel, das den Angriff nicht mit hinreichender Sicherheit abwehrt, brauchst du nicht zu berücksichtigen.

Die Frage nach dem mildesten Mittel stellt sich also erst, wenn du im Moment des Angriffs mehrere, sicher wirksame Abwehrmittel zur Verfügung hast, aus denen du auswählen kannst. An die Wahl des mildesten zur Verfügung stehenden Verteidigungsmittels sind jedoch keine überhöhten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des BGH). Die Rechtsprechung berücksichtigt also durchaus, dass du im Moment eines Angriffs u. U. nicht erst detailliert abwägen kannst, welches Mittel hier jetzt auszuwählen ist.

Der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist; auf Risiken braucht er sich nicht einzulassen (vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, 4. Aufl., § 15 Rn. 43).

Quelle: BGH 2 StR 523/15 - 12. April 2016; HRRS 2016 Nr. 671, Rn. 10, S. 2

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Ich gehe grundsätzlich von BRD-Recht aus. Keine Anwendbarkeit auf das Recht anderer (deutschsprachiger) Länder.

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