Hebamme Alltag, Vor und Nachteile?

4 Antworten

Von Experte Elli113 bestätigt
aber mich lässt der Gedanke nicht mehr los dass ich plötzlich das starke Gefühl habe dass ich Hebamme werden möchte.

Ja, so ist das - Hebamme ist kein Beruf, für den man sich rational nach Abwägung von Pro und Contra entscheidet, sondern eine Berufung.

Wenn du Interesse an humanmedizinischen Zusammenhängen und den natürlichen Prozessen im Einklang mit sicherer, evidenzbasierter Medizin für Mutter und Kind hast, gerne eigenverantwortlich mit Menschen arbeiten möchtest, dich soziale Kompetenz und Zuverlässigkeit auszeichnet, du eine schnelle Auffassungsgabe, Nervenstärke und Bereitschaft zum lebenslangen Lernen mitbringst und du Schicht-, Wochenend- und Feiertagsdienst nicht scheust, könnte der Beruf der Hebamme etwas für dich sein.

Hebammen sind die Fachfrauen für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit.

Hebammenhilfe umfaßt die Betreuung in der Vorsorge, die Geburt, im Wochenbett, sämtliche Fragen zum Stillen, der Babypflege, sowie die Begleitung in der Phase der Rückbildung.

Hebammen sind in ganz unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitssystems tätig; z.B. im Krankenhaus, im Geburtshaus, in der eigenen Praxis, beim Frauenarzt, bei Behörden (z.B. Jugendamt), Institutionen (z.B. pro familia) oder Einrichtungen (z.B. Mutter-Kind-Heim).

Der Beruf der Hebamme ist nicht immer Friede-Freude-Eierkuchen, süße Babys, selbstbestimmende, kraftvolle Gebärende und glückliche Mütter...

Als Hebamme begleitest du auch Geburt mit weniger schönem Ausgang; stille (Tod- oder Fehl-) Geburten, Geburten von behinderten oder missgebildeten Kindern bis hin zu nicht mit dem Leben zu vereinbarende Fehlbildungen, dramatische Notfälle unter der Geburt mit Bedrohung des Lebens von Mutter und Kind, Geburten von unerwünschten Kindern...

Du kommst mit sämtlichen Ausscheidungen in Berührung; Blut, Fruchtwasser, Urin, Kot, Erbrochenes... Nicht jede werdende Mutter ist frisch geduscht, wohlduftend und gut gepflegt...

Nicht selten kommst du mit bakteriellen und viralen Infektionen und Pilzerkrankungen in Kontakt; Syphilis, Toxoplasmose, Gonorrhoe, Chlamydien, Varizellen, Masern, Mumps, Tuberkulose, B-Streptokokken, Röteln, Cytomegalie, Herpes simplex, Hepatitis B und C, HIV, Humanes Papillomavirus...

Du arbeitest als angestellte Hebamme im Schichtdienst; nachts, am Wochenende, an Feiertagen..., springst bei Krankmeldungen häufig ein und machst oft Überstunden, immer mehr Schreibkram und weniger Zeit für die eigentliche Hauptaufgabe und das alles bei chronischer Unterbesetzung...

Im Krankenhaus wirst du nach Tarif (oder meist angeglichen) bezahlt, das sind im TVöD als Anfangsgehalt z.Z. etwas mehr als 3.000 € brutto plus Zulagen für Schicht- und Nachtdienst und Sonn- und Feiertagsarbeit. Das ist etwas besser als der Verdienst einer Krankenschwester.

Du arbeitest als freiberufliche Hebamme gegebenenfalls in Dauerbereitschaft und rechnest über die Gebührenverordnung mit den Krankenkassen ab. Für sämtliche Sozialversicherungen bist du alleine verantwortlich, auch gibt es natürlich dann auch kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle.

In der Freiberuflichkeit lässt sich jedoch mit gutem Zeitmanagement deutlich mehr verdienen, man trägt aber das unternehmerische Risiko eben selbst.

Es ist ein stressiger, verantwortungsvoller, manchmal auch trauriger und (gemessen an der Verantwortung für Leben und Gesundheit von gleich zwei Menschen) unterbezahlter Beruf und er ist vielfältig, erfüllend und wunderbar.

Auf jeden Fall - sowohl um einen Einblick in den Beruf zu erlangen als auch um deine Chancen bei deiner Bewerbung für einen Ausbildungs- bzw. Studienplatz zu erhöhen - empfehle ich dir ein mehrwöchiges Praktikum. Das kannst du z.B. im Krankenhaus, in einer Hebammenpraxis, im Geburtshaus und/oder bei einer freiberuflichen Hebamme machen.

Mittel- bis kurzfristig (geplant war schon bereits Anfang 2020) wird ein vierjähriger dualer Studiengang zur Hebamme - Bachelor of Science - die Ausbildung an einer Hebammenschule ersetzen, um dem europäischen Standard zu entsprechen.

Da die Überführung der Ausbildung an die Hochschulen bis zum Stichtag 18. Januar 2020 noch nicht vollständig vollzogen war und damit es kurzfristig keinen Engpass bei der Hebammenausbildung gibt, ist in einem Übergangszeitraum auch noch die klassische Ausbildung an einer Hebammenschule möglich.

Die Ausbildung an den Schulen kann bis 31.12.2022 begonnen werden und muss bis 31.12.2027 beendet werden.

Im Moment macht das (noch) keinen Unterschied. Aber es ist zu erwarten, dass langfristig Bewegung in die Gehaltsstruktur kommt, dann gucken "Nichtstudierte" in die Röhre.

Auch wird innerhalb der EU der berufsschulische Abschluss mittlerweile nicht mehr automatisch anerkannt. 

Schau bei Interesse auch gerne mal meinen Beitrag hier:

https://www.gutefrage.net/frage/frage-an-die-hebammen-wie-sieht-der-arbeitsmarkt-momentan-aus#answer-410930800

Alles Gute für dich!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Ich bin seit fast 40 Jahren Hebamme

putzfee1  06.10.2021, 12:53

Eine super Antwort. Fachlich korrekt, sie beschönigt nichts und zählt sowohl die Vor- als auch die Nachteile des Berufs ehrlich auf.

Dass du mit Leib und Seele Hebamme bist, merkt man auch immer wieder an deinen Beiträgen.

isebise50  06.10.2021, 13:12
@putzfee1

Vielen Dank!

Allerdings muss ich gestehen, dass es für mich einfach ist, immer noch gerne Hebamme zu sein - ich arbeite in Teilzeit.

Natürlich „brennen“ viele Kolleginnen von mir (noch) für ihren Beruf. Doch mit zunehmendem Alter haben einige gerade in Vollzeit es „Oberkante Unterlippe“ stehen…

Ramena 
Beitragsersteller
 09.10.2021, 08:55

Vielen vielen Dank für deine Antwort! Du hast mir sehr weitergeholfen!

Als Hebamme mußt du jederzeit mit einer Anklage rechnen, denn die Mütter haben heutzutage keine Hemmungen ihre Hebamme zu verklagen, wenn bei der Geburt was schief gelaufen ist.

Die rechtliche Absicherung für diese langjährige Gerichtsverfahren ist fast unbezahlbar und daher müßte „Frau“ schon fast eine Obsession besitzen, dieser Berufung zu folgen.

https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/schadensersatzklage-nach-geburt-behandlungsfehler-oder-schicksal-a-1039552.html


isebise50  06.10.2021, 15:11

Richtig - wenn etwas "schief läuft" (also jemand geschädigt wird, indem seine Rechte vorwerfbar, vorsätzlich oder fahrlässig verletzt werden), kann er zu Recht klagen, ob nun gegen einen Arzt oder einen Verkehrsunfallgegner oder einen Autohersteller oder einen Vermögensverwalter oder einen Bauunternehmer... oder eben eine Hebamme.

Damit eine Hebamme sich nichts vorzuwerfen hat, erlernen wir unseren Job, halten uns an unsere Berufsordnung und die Leitlinien und haben eine Pflicht zur Fortbildung.

Die Berufshaftpflichtproblematik hat sich mittlerweile in großen Teilen gelöst.

Vom Gesetzgeber wurde bereits 2015 (mit gleichem Datum wie der Spiegel-Artikel, dies war der Autorin aber anscheinend nicht bekannt) der sogenannte Sicherstellungszuschlag für Hebammen eingeführt, damit die steigenden Haftpflichtprämien für Geburtshilfe kompensiert werden.

quantthomas  06.10.2021, 16:32
@isebise50

Möge dein wichtiger „Job“ von Klägerinnen und deren Anwälten nicht desavouiert werden!

Viel Glück und alles Gute!

Pro., Dankbarer Job,Umgang mit Menschen,Selbsterfüllung. Contra,miese Bezahlung,Schlechte Arbeitszeiten,manchmal traurige Ereignisse.

hey, ich habe ne frage :D ich stecke grad zufällig in derselben situation und weiss nicht, wie ich entscheiden soll... kannst du mitteilen , wofür du dich letzenendes entschieden hast und wieso ? Brauche den ein oder anderen Rat :S