Gleichnis vom verlorenen Sohn Gerechtigkeitsvorstellungen?

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Das Gleichnis will vermitteln, dass alle Menschen ins Reich Gottes eingeladen sind. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Person in ihrem Leben Fehler gemacht oder sich versündigt hat. Und damit ist zugleich etwas ausgesagt über das Verhältnis Gottes zu den Menschen und seine Gerechtigkeit, die seine Barmherzigkeit nie ausschließt. Wer um Vergebung bittet, dem wird vergeben. Gott liebt und wartet auf die Umkehr der Sünder, um sie liebevoll in seine Arme zu schließen.

Ganz anders ist die Gerechtigkeitsvorstellung der Menschen. Der jüngere Sohn tut durch seinen Lebenswandel Unrecht, aber er sieht es ein, kehrt um und bittet um Vergebung. Dies geschieht nicht als "billige Reue", um wieder wie früher einen guten Lebensstandard zu haben, sondern er bekräftigt die Echtheit seiner Reue durch die Erkenntnis, Strafe verdient zu haben. Deshalb will er vom Vater von nun an einem seiner Arbeiter gleichgestellt werden. Das ist seine Vorstellung von Gerechtigkeit: Die Sünde verdient gerechte Strafe. Diese Strafe will er auf sich nehmen.

Das Verhalten des älteren Bruders entspricht zunächst der vorbildlichen Norm und seine Vorstellung von Gerechtigkeit ist, dass ihm dafür auch der Lohn durch die bevorzugte Liebe des Vaters zusteht. Er ist eifersüchtig, selbstgerecht und hat kein Gespür dafür, was es bedeutet, dass sein Bruder zurückgekehrt ist, nämlich, dass er für das Reich Gottes nicht verloren, sondern gerettet ist. Der Gerechtigkeitsvorstellung des älteren Bruders hätte es entsprochen, dass der Vater den Bruder abgewiesen oder zumindest eine Strafe erteilt hätte. Da der ältere Sohn nach wie vor Anteil am Besitz und an der Güte des Vaters hatte, störte ihn einfach nur, dass der Vater gütig und barmherzig handelte.

Die Reaktion des älteren Sohnes ist menschlich und zugleich ein Hinweis darauf, wie wir uns gegenüber Menschen verhalten sollen, die Fehler machen und sich versündigen. Da ist es gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der einen trotz aller Fehler und Verfehlungen liebt und wieder aufnimmt - wenn wir nur wollen.

Die Botschaft, die Jesus verkünden will, dürfte lauten:

Ebenso wie der Vater seine verzeihende Liebe seinem verschwenderischen, aber reuevollen Sohn zuteilwerden lässt, so wird auch Gott einen Sünder, der umkehrt, voll Freude und Barmherzigkeit aufnehmen. Indem er gleichzeitig seinem daheim gebliebenen, richtenden Sohn Verständnis entgegenbringt, zeigt er, dass er die Gerechten dadurch nicht vernachlässigt.

Hier geht es um die (größere) Gerechtigkeit Gottes welche nicht unserer (Schrift-) Gerechtigkeit entspricht.
Jesus: "Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen."
Auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg u.a. beinhaltet dieses Thema.

Die größere Gerechtigkeit wägt nicht ab zum eigenem Vorteil, sie nimmt sich zurück zugunsten des Nächsten und wendet sich ihm zu, verzeiht und erbarmt sich seiner.
Dies beinhaltet eigentlich die ganze Botschaft Jesu, welche Jesus uns vielfach vorgestellt hat, eben auch in Gleichnissen.

Schriftgläubige (Bibelgläubige) haben da auch oft kein Vertständnis. Sie wollen nur denen das Erbarmen und die Gerechtigkeit Gottes zu denken, welche "Glauben".

Da könnte Dir diese Auslegung von Josef Ratzinger helfen, der gerade beim zweiten (älteren) Sohn den Fokus auf das Gerechtigkeitsempfinden wirft: https://www.zeit.de/2007/15/Jesus/komplettansicht

Da zählt nicht Gerechtigkeit sondern Liebe. Gerecht und zugleich liebevoll wäre es gewesen, das Lamm nicht zu schlachten.