Geschlechtergerechte Sprache ohne Gendern?
Liebe Mitdiskutantinnen,
über das Gendern gibt es hier ja schon viele Diskussionen. Ich möchte nicht noch eine eröffnen nach dem Muster: „Findet ihr das Gendern gut oder schlecht?“
Mich beschäftigt eher die Frage, ob es Alternativen geben könnte, mit denen man (sprachliche) Geschlechtergerechtigkeit auch ohne die üblichen Formen des Genderns herstellen kann. Ich selbst halte nichts davon, unsere wunderschöne deutsche Sprache mit mathematischen Sonderzeichen (:/* usw.) zu verschandeln.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges und berechtigtes Anliegen ist, das man auch in der Sprache zum Ausdruck bringen sollte. Ich plädiere deshalb für einen Vorschlag, den ich noch irgendwo gehört oder gelesen habe. Das Prinzip Ist einfach erklärt:
⦁ Wie wäre es, wenn Männer bei gemischtgeschlechtlichen Adressatinnen grundsätzlich die weibliche Form benutzen? Zum Beispiel „Liebe Kolleginnen“ oder „Liebe Kommilitoninnen“.
⦁ Im Gegenzug verwenden Frauen bei gemischtgeschlechtlichen Adressaten die männliche Form. Zum Beispiel „Liebe Kollegen“ oder „Liebe Kommilitonen“.
⦁ Frauen wie Männer ehren in ihrem Sprachgebrauch also das jeweils andere Geschlecht. Das schafft Sprachgerechtigkeit, indem jeder sich selbst ein Stück zurücknimmt und sich auf das Gegenüber bezieht, dem man Anerkennung und Respekt zukommen lässt.
⦁ Auch in Situationen, in denen beide Geschlechter gleichzeitig angesprochen werden, spricht man das andere Geschlecht immer zuerst an. Männer sagen weiterhin: „Sehr geehrte Damen und Herren“, Frauen jedoch: „Sehr geehrte Herren und Damen“.
⦁ Nur dort, wo man es tatsächlich mit einem geschlechtshomogenen Publikum zu tun hat (Frauengruppe, Männerstammtisch usw.), redet man weiterhin in der ausschließlich weiblichen oder männlichen Anredeform. Alles andere wäre ja Schwachsinn.
Ich bin überzeugt, ein tiefer Sinn des Lebens liegt darin, dass beide Geschlechter sich gegenseitig lieben, respektieren und ehren. Diesen Gedanken könnte man auch sprachlich auf relativ einfache Weise zum Ausdruck bringen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass wir die leidigen Debatten um das Gendern irgendwann nicht mehr brauchen.
Deshalb meine Frage: Könnt ihr euch auch vorstellen, dass mein Vorschlag eine ernsthafte Alternative zum Gendern ‒ und zu den vielen krampfhaften Debatten darum ‒ sein kann?
Oder hat die Sache auch Nachteile, die ich nicht sehe? Ein Nachteil wäre vielleicht, dass sich Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen, in meiner Philosophie nicht wiederfinden, da sie auf der klassischen Bipolarität der Geschlechter beruht. Vielleicht lassen sich dafür jedoch Nischenlösungen finden. Zum Beispiel in der Form, dass trans- und intersexuelle Menschen nach eigenem Ermessen darüber entscheiden dürften, welches Geschlecht sie in der persönlichen Anrede ehren möchten.
In jedem Fall bin ich überzeugt, sprachliche Kreativität ist nie verkehrt und kann auch hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit eher zu einer Lösung beitragen als politische Oberlehrerhaftigkeit.
12 Antworten
Eine Lösung wäre eine grundlegende Reform der Genderendungen wie bei einer Plansprache.
Ich verdeutliche das am Beispiel "Lehrer". Dieses Wort wäre künftig nur noch die Wortwurzel, aber ohne eigene Bedeutung.
Dann sind:
Lehrera = Lehrerin
Lehrero = Lehrer, männlich
Lehrere = Lehrkraft (Neutralform für beide Geschlechter)
Die Mehrzahl erfolgt immer durch Anhängen von s. Vorteil: Alle Formen sind gleichlang, eine "grammatische Diskriminierung" gibt es nicht, es gibt auch keine Sprechpausen und Sonderzeichen in Wörtern.
Wenn man jetzt auch noch für Diverse eine eigene Endung will, dann gibt es dafür noch einige Möglichkeiten einen Vokal anzuhängen, das i, u oder auch einen der Umlaute. Auch dann bliebe die Neutralform für alle Geschlechter "Lehrere".
(a und o wurden ausgewählt, weil sie am besten gängigen weiblichen bzw. männlichen Endungen europäischer Vornamen (z.B. Sabrina, Roberto) entsprechen, e weil es der häufigste Buchstabe ist)
Alternativ dazu übernehmen wir Türkisch. Türkisch ist völlig genderfrei. Es gibt überhaupt kein grammatisches Geschlecht und selbst sie/er/es heißt alles gleich, nämlich "o".
Es ist schwierig, aber es gibt schon ein paar Möglichkeiten, um manche Fallstricke zu vermeiden. Jede Sprache hat so ihre Tücken. Leider ist es bei uns nicht so schön, wie zum Beispiel im Finnischen , wo die Personalpronomina er/ihn/ihm und sie/ihr gleich sind. Finnen müssen, wenn sie Englisch, Deutsch oder sonst eine indogermanische Sprache lernen, diesen Unterschied immer mühsam lernen
- Liebe Leute/Menschen statt “sehr geehrte Damen und Herren”
- Pluralformen: statt: jeder Schüler/jede Schülerin der Schüler hat das Recht auf individuelle Förderung: Alle, die auf dieser Schule unterrichtet werden, haben das Recht auf
- vielleicht kann man behutsam alte Formen wieder einführen, die es mal gab, um das leidige Thema Relativpronomen zu umgehen (statt: jeder, der hier reinkommt: jede Person, so hier rein kommt)
- Direkte Erwähnung von Menschen wenn möglich umgehen: (nicht: wir laden alle Freundinnen und Kolkegen herzlich ein, sondern wir laden zu diesem Fest all ein, die mit uns befreundet sind oder mit uns zusammenarbeiten, oder wir laden zu diesem Fest ein)
die üblichen Formen des Genderns
Das sind nicht nur die Sonderzeichenformen, sondern bspw. auch Beidnennung, Partizipialform und neutrale Alternativen.
Zu deinen ersten 2 Punkten: Das ändert nichts an der Verarbeitung der Formen und ist diesbezüglich unwirksam.
Zu Punkt 4: Hier ignorierst du, dass Gendern auch Personen jenseits von Mann und Frau umfassen soll.
Könnt ihr euch auch vorstellen, dass mein Vorschlag eine ernsthafte Alternative zum Gendern ‒ und zu den vielen krampfhaften Debatten darum ‒ sein kann?
Nein, aufgrund der bereits genannten Punkte.
Zum Beispiel in der Form, dass trans- und intersexuelle Menschen nach eigenem Ermessen darüber entscheiden dürften, welches Geschlecht sie in der persönlichen Anrede ehren möchten.
Womit du Menschen wieder in die Binarität zwängst, obwohl sie womöglich gar nicht in diese passen.
Zuletzt noch zu deiner Frage:
Geschlechtergerechte Sprache ohne Gendern?
Hier fragst du im Endeffekt: Gendern ohne Gendern?
Ich selber spreche oft zu gemischtem Publikum und wechsle einfach ab: Manchmal verwende ich nur die weibliche, manchmal nur die männliche Form.
Selten - aber auch - beide.
Man benutzt schlicht und ergreifend konsequent geschlechtsneutrale generiosche Wortformen.
Geschlechtsspezifische Wortformen sind nur zu verwenden wenn das Geschlecht explizit hervorgehoben werden soll. (Wenn man will kann man zudem meiner Meinung nach auch neue geschlechtsspezifische Formen schaffen, das geht ja zumeist durch Anhängen von "-in" oder "-erich".)
Zudem sollte am besten die Verwendung von Pronomina so gewählt werden, dass sie dich auf das Genus bezieht. Eine Verwendung mit bezug auf das Sexus wird sich alerdings nicht immer vermeiden lassen.
Himmel hilf, sagen Sie doch gleich, dass es Ihnen völlig egal ist, ob Sie verstanden werden. Ich würde aufstehen und gehen.