Demokratie als Diktatur der Mehrheit?
Ich treffe immer wieder auf Leute, die die Demokratie im Sinne von ,,Volksherrschaft" einfach nur als einen Mehrheitsbeschluss ohne Kompromisse betrachten. Und da frage ich mich, ob das nicht eine sehr verkürzte und gefährliche Vorstellung darstellt. Das Erste, was ich mir im Geschichtsunterricht über den Faschismus und Stalinismus dachte, bezog sich auf die Gefahr der Massen. Es scheint mir relativ leicht die jeweiligen Diktatoren und einige ihrer Handlanger als alleinige Täter hinzustellen. Aber stellen denn nicht nur die Massen und ihre Emotionalisierung eine große Gefahr dar?
Das kann man doch an kleinen Beispielen festmachten. Ich gehe in eine kleine Kneipe und erzähle von einem schrecklichen Mordfall in den Kinder oder ältere wehrlose Menschen involviert sind. Danach mach ich eine kleine Umfrage, wer in einem solchen Falle die Todesstrafe oder Folter wieder einführen wolle. Sicherlich werden viele Menschen in diesem Moment die Frage nicht kritisch reflektieren, sondern sich emotional leiten lassen. Sie werden eventuell nicht darüber nachdenken, welche langfristigen Konsequenzen eine Wiedereinführung der Folter und der Todesstrafe auch für sie und unsere Rechtsstaats- und Menschenrechts-Prinzipien haben könnte. Man gibt dem Staat gefährliche Vollmachten. Haben Menschen, die so argumentieren Demokratie missverstanden? Wie kann sich die Demokratie vor sehr gefährlichen Tendenzen schützen? Wenn in einer Demokratie Ausgrenzung von bestimmten Randgruppen nur von Mehrheitsentscheidungen abhinge, was unterschiede sie dann von der faschistischen Diktatur, die auch vorgab für die Massen zu sprechen und auch sicher zeitweise von Mehrheiten bejubelt wurde?
7 Antworten
Der Begriff,,Diktatur" ist hier fehl am Platz.
Eine wirkliche Demokratie basiert auf Mehrheitsentscheidungen und Menschenrechten.
Wer etwas anderes will, ist auch gegen die Menschenrechte.
Die Idee der Demokratie ist eng mit der Idee der Menschenrechte verknüpft. Die Todesstrafe ist gruselig, zumal der Staat nicht töten sollte und sie zudem auch immer Unschuldige treffen kann.
In totalitären Systemen wie dem Nationalsozialismus werden die Bürger von oben indoktriniert bzw. programmiert - und das ist gar nicht mal so schwer. Lies mal Psychologie der Massen von Gustave Le Bon. Die Masse unterwirft sich automatisch einem Führer. Und schon ist es passiert! Deswegen ist es wichtig, dass wir unsere FDGO verteidigen, etwa durch den hiesigen Verfassungsschutz.
Schau hier:
Ein erneuter Abschaffungsantrag der SPD wurde im Reichstag 1927 in zweiter Lesung mehrheitlich abgelehnt: Die Todesstrafe sei wegen der kriegsbedingten Verrohung und Steigerung bei Schwerstverbrechen als starkes Abschreckungsmittel unaufgebbar; nach ihrer Abschaffung würden die Morde wieder zunehmen. Ein statistischer Vergleich von sechs europäischen Staaten ergab bis 1930 jedoch weder einen solchen Anstieg noch überhaupt einen Einfluss der Todesstrafe auf die Mordraten dieser Staaten.[197] Viele deutsche Juristen unterschrieben 1931 eine Resolution für die Internationale Kriminalistische Vereinigung, die feststellte: „Zum Schutze von Staat und Gesellschaft gegen die schärfste Form gemeingefährlicher Kriminalität sind entsprechend den heutigen kriminalpolitischen Forderungen unbestimmte Verurteilung oder Sicherungsverwahrung die gebotenen Maßnahmen. Der Todesstrafe bedarf es nicht.“[202]
Die Argumente pro Todesstrafe überzeugen mich nicht. In den USA sind viele Bürger diesbezüglich konservativ eingestellt, vor allem natürlich Wähler der Republikaner. Japan:
Die Todesstrafe kann in Japan für 18 Delikte verhängt werden.[320] Meist handelt es sich um Verurteilungen wegen Mordes oder Verbrechen mit Todesfolge. Seit 1945 fanden über 600 Hinrichtungen statt, davon 98 im Zeitraum 1979 bis 2009. Im gleichen Zeitraum wurden vier Verurteilte freigelassen, nachdem in Wiederaufnahmeverfahren ihre Unschuld festgestellt worden war. Die Zahl der Verurteilungen ist (Stand 2010) seit Jahren rückläufig. Die Zustimmungsrate zur Todesstrafe lag 2009 bei 85,6 % und die Ablehnungsrate bei 5,7 %.[321]
Und Japan ist sogar eine vollständige Demokratie, anders als die USA, sozialistische Staaten oder Scharia-Staaten. Damit müsste ich mich jetzt weiter beschäftigen. In der Europäischen Union ist die Todesstrafe glücklicherweise abgeschafft.
Das zeugt halt leider davon, dass die europäischen und einige lateinamerikanische Demokratien die einzigen zu sein scheinen, die die Menschenrechte überhaupt ein ganzen Umfang umzusetzen versuchen, was natürlich auch nicht immer gelingt.
Das Verständnis, das du da referierst, ist tatsächlich eins, das für Totalitarismus anfällig ist und geflissentlich 2 Dinge ignoriert:
- Die historische Demokratie, in der die Demokratie das über Mehrheitsvolksabstimmungen organisierte politische System war war gleichzeitig das politische System von Sklavenhaltergesellschaften, in denen versklavte Menschen den Rechtsstatus von Tonschüsseln hatten...
- Ein moderner Begriff von Demokratie impliziert immer Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Begrenzung staatlicher Gewalt durch individuelle Grundrechte, die auch Minderheiten vor Mehrheiten wirksam schützen.
In diese Richtung kann man sicher auch noch den Politikunterricht an den Schulen ausbauen...
Um ein Missverständnis aufzuklären:
Das ist nicht mein Verständnis von Demokratie, sondern etwas das mir kürzlich auffiel als ich die Kommentarsektion unter einem Artikel zu einem neuen Gesetz in Uganda durchlas. Dort wurde verabschiedet, dass praktizierte Homosexualität nun mit der Todesstrafe bestraft werden könne. Und etliche deutsche Native Speakers kommentierten, dass man das in einer Demokratie nun einmal zu akzeptieren habe, wenn die Mehrheit der Einwohnerschaft Ugandas diesen Präsidenten und das Gesetz unterstütze. Und so scheinen viele zu viele Menschen Demokratie aufzufassen, denn radikale Strömungen argumentieren ja sehr ähnlich.
Stimmt, deshalb sind zB im Grundgesetz, bekanntlich verfügt die Bundesrepublik über keine Verfassung, die Rechte von Minderheiten besonders geschützt.
SSW: 55.330 Stimmen und ein Sitz im Bundestag - NDR.deDeine Antwort ist unvollständig.
Aber es ging auch nicht um das GG oder nur die BRD, sondern um das Demokratieverständnis vieler Menschen generell.
Deshalb haben wir keine direkte Demokratie, sondern eine repräsentative. Die gewählten Volksvertreter dienen hier sozusagen als Puffer. Politik ist sehr komplex und ein durchschnittlicher Bürger hat auch gar nicht die Möglichkeiten sich so tief in bestimmte Themenbereiche reinzuarbeiten, dass er dazu in der Lage ist, da eine wirklich fundierte Entscheidung zu treffen. Das ist die Aufgabe der Berufspolitiker. Ausserdem würde ein einzelner Bürger tendenziell eher Entscheidungen treffen die zwar gut für ihn persönlich sind, aber nicht unbedingt gut für die Gesellschaft im Gesamten.
Aber sehr viele unzufriedene Leute fordern doch die direkte Demokratie und bringen dann stets die Schweiz als Beispiel, aber vielleicht funktioniert das in der Schweiz auch nur so gut, weil die eine sehr aufgeklärte Gesellschaft und gut durchdachte Regelungen für die Volksentscheide haben.
DIe unzufriedenen Leute hier sind genau die, die nicht verstehen wie komplex Politik ist, und die denken es gibt für alles einfache Lösungen. Es wäre eine totale Katastrophe wenn es hier mehr Bürgerbeteiligung geben würde. Die Schweiz hat da eine lange Tradition, das kann man nicht vergleichen.
In der Schweiz funktioniet die Demoktratie nicht so gut, wie sie oft dargestellt wird.
Die Volksentscheide werden verschleppt, verwässert oder auch mal gar nicht umgesetzt, wenn es den Regierenden nicht passt:
https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/direkte-demokratie_10-arten--den-schweizer--volkswillen--zu-umgehen/44371472
Wenn alle diese Verweigerungsmethoden versagen, hat die Regierung immer noch ein Ass in der Hinterhand, um ihren Willen durchzusetzen: Das sogenannte Notrecht.
Auch in der Schweiz ist das Volk nicht der Chef sondern nur ein Player unter vielen.
Ich glaube auch weniger, dass es darum gehen sollte, ob das Volk der Chef ist oder nicht, sondern eher darum, in Bezug auf welche Fragestellungen für Mehrheitsentscheidungen. Schon in der attischen Demokratie (die natürlich keine im heutigen Sinne war) wurden irrationale und viel zu schnellgefasste Beschlüsse kritisiert, da sie von geschickten Demagogen herbeigeführt worden seien.
Die Schweiz wird von der Loby gesteuert und die steuert das Volk. Die Schweiz hat viel Reformen verpasst oder geht sie nicht mehr zeitgemäss an. Sie verliert zusehends an Boden. Arbeitsrecht, Versicherungsrecht und Konsumentenschutz sind in der Schweiz eher schlecht als recht geregelt.
Aber das Volk ist sehr träge und glaubt denn Vertretern fast alles.
Aber die Weimarer Republik kannte doch die Todesstrafe, ebenso die USA und Japan.