Stimmt diese Aussage von Hans-Werner Sinn?

Teilweise 44%
Ja 33%
Nein 22%

9 Stimmen

2 Antworten

Teilweise
Eher ja.

Zunächst sollte festgehalten werden, dass die Investitionen in Deutschland in den letzten 20 bis 30 Jahren stark zurückgegangen sind, was zu einer unausgewogenen Außenhandelsbilanz geführt hat: Es wird wesentlich mehr exportiert als importiert. Dies bedeutet, dass das Ausland sich zunehmend verschuldet, während Deutschland aufgrund der geringen Investitionen, der schwachen Binnennachfrage und der starken Exportorientierung davon profitiert. Ein weiterer Nachteil dieser Entwicklung ist, dass die deutsche Wirtschaft stark vom Ausland abhängig wird, was sie anfällig für externe Schocks und Schwankungen macht. Es wäre volkswirtschaftlich wünschenswert, dieses Ungleichgewicht auszugleichen, was auch die Resilienz der Lieferketten stärken könnte.

Andererseits hat Herr Sinn recht, wenn er darauf hinweist, dass Politiker oft dazu neigen, Gelder zu verschwenden. Sie verfügen in der Regel nicht über die Kompetenz in der Amortisationsrechnung oder in der Beurteilung des wirtschaftlichen Nutzens von Investitionen. In anderen Worten: Sie sind nicht so gut in der Lage, Mittel effizient zu allokieren.

Zudem "haften" Politiker nicht für ihre Entscheidungen und lassen sich häufig von externen Interessensgruppen beeinflussen oder machen Wahlgeschenke. In der Verhaltensökonomik spricht man in diesem Zusammenhang von "moral hazard". Wenn viel investiert wird, aber nicht zielgerichtet und nachhaltig, und dadurch die Gelddruckmaschine angeworfen wird, kann dies zu Inflation führen. Stark verschuldete Staaten haben zudem ein Interesse daran, dass die Zentralbanken die Zinsen niedrig halten oder sogar in den negativen Bereich verschieben. Dies führt zur Entwertung der Kaufkraft durch Inflation, fördert spekulative Blasen und Arbitrage-Effekte. Die ersten Akteure, die das neue Geld erhalten, wie beispielsweise staatlich verbundene Baufirmen, profitieren am meisten. Sie können das Geld noch günstig in den Umlauf bringen, während die Inflation später die breite Bevölkerung trifft.

Am nachhaltigsten investieren tatsächlich diejenigen, die das geringste Risiko des moral hazards haben: Privatpersonen und kleine bis mittelständische Unternehmen. Sie überlegen genau, wie sie ihre Mittel einsetzen, um eine gute Rendite und/oder Produktivität zu erzielen. Natürlich ist dies auch kein Garant dafür, dass sie stets rational und effizient investieren - aber die Wahrscheinlichkeit ist höher, da das persönliche Risiko größer ist.

Nichtsdestotrotz gibt es Bereiche, in denen der Staat investieren muss, insbesondere in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung. Hierbei sollte jedoch objektiv und mit Augenmaß agiert werden. Die scheinprivatisierte Deutsche Bahn darf kein "Präzedenzfall" werden. Wenn dies der Benchmark für die Performance staatlichen Handelns ist, dann ist eine starke Verschuldung durch eine deutsche Regierung politischer und ökonomischer Suizid.

Ich sehe vor allem auch die Unternehmen in der Verantwortung, mehr zu investieren, um eine ausgewogene und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Aber bisher tun sie es nicht. Die Gründe mögen vielfältig sein. Ich vermute, dass wir tote Pferde zu lang geritten (und übersubventioniert) haben.

Woher ich das weiß:Hobby – Persönliche Interessen, z.T. auch im Studium behandelt.
Nein

Der Satz stimmt nicht in seiner Absolutheit: In Phasen in denen die privaten Akteure sich mit Investitionen zurückhalten, sollte der Staat Geld investieren um die Wirtschaft zu stützen. Das kann dann sogar zur Stimulation der privaten Investitionen führen.


SalatAufemBrot 
Beitragsersteller
 03.09.2024, 20:30
Das kann dann sogar zur Stimulation der privaten Investitionen führen.

Wie denn das?

Internetghost  03.09.2024, 20:31
@SalatAufemBrot

Indem ein Wirtschaftseinbruch verhindert wird in einer Krise und die privaten Akteure wieder investieren (positive Erwartungen der wirtschaftlichen Zukunft)

SalatAufemBrot 
Beitragsersteller
 03.09.2024, 20:36
@Internetghost

Wird nicht von allein irgendwann wieder investiert, sobald ein Land den Tiefpunkt einer Wirtschaftskrise erreicht hat (da viel Wachstumspotenzial)? Deutschland befindet sich ja den Zahlen nach entweder bereits an diesem Tiefpunkt oder erreicht ihn bald. Sollte man nicht lieber den privaten Investoren vertrauen, dass sie jetzt die richtigen Investitionsentscheidungen treffen? Oder ist das eine schlechte Idee, die nicht funktionieren wird?

Internetghost  03.09.2024, 20:41
@SalatAufemBrot

Das wahrscheinlich schon, aber es wäre langfristig verschenktes Potential, wenn der konjunkturzyklus nicht durch den staat "geglättet" würde. Erstmal die Krise voll durchlaufen, dann den Aufschwung, in der Zeit hätte das Niveau gehalten werden können und ein langfristiger Wachstumspfad beibehalten werden können. Kannst mal unter "crowding in" schauen, da wird der effekt beschrieben. In einer Hochkonjunktur würde ich dem Staat auch empfehlen die privaten Investoren einfach machen zu lassen, dezentral läuft das am besten.

SalatAufemBrot 
Beitragsersteller
 03.09.2024, 20:45
@Internetghost

Das stimmt aber nur, wenn der Staat intelligent investiert. Und das traue ich den Grünen nicht zu, Hans-Werner Sinn traut es den Grünen wahrscheinlich auch nicht zu.

Internetghost  03.09.2024, 20:50
@SalatAufemBrot

Das stimmt immer egal wer an der Regierung ist, weil nach der Formel

BIP = C + I + G

die Staatsausgaben G zum Bruttinlandsprodukt gezählt werden. Und wenn das BIP- Wachstum nicht sinkt, ist das ein Signal das sich auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen auswirkt. (Bin aber selbst kein Grüner, ich kann deinen Einwand in gewisser Weise verstehen)

SalatAufemBrot 
Beitragsersteller
 03.09.2024, 20:53
@Internetghost

Das bedeutet, dass in einer Wirtschaftsflaute quasi die Negation von Lindners Aussage auf den Staat zutrifft: "Lieber falsch investieren als gar nicht investieren." Interessant.

Internetghost  03.09.2024, 20:59
@SalatAufemBrot

Das habe ich so nicht gesagt, am besten ist immer noch richtig investieren und das können nicht nur privatleute. Übrigens ist Lindner Jurist und Philosoph und seine Aussagen entbehren zu oft jeglicher volkswirtschaftlicher logik