Wie weit zurück könnte sich der Durchschnittsdeutsche noch verständigen?
Wenn man immer weiter in der Zeit zurück geht, ab wann würde es mit heutigem Hochdeutsch schwierig werden sich mit den ,,Deutschen" aus der Zeit zu verständigen?
4 Antworten
Ich kopiere einfach eine alte Antwort von mir hinein, und verweise noch auf eine andere:
Die deutsche Sprache hat sich seit dem 18. Jahrhundert nicht viel verändert; die aktuelle Stufe der Sprachentwicklung heißt Neuhochdeutsch. Lessing hat z.B. ≈1770 geschrieben und ist heute gut verständlich. Hier ein Zitat aus Nathan der Weise:
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, daß dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –
Wenn Du weiter zurückgehst, wird es schlimmer; Du triffst dann auf eine ältere Variante des Deutschen, die Frühneuhochdeutsch genannt wird und die Dir zwar einigermaßen verständlich, aber auch ordentlich seltsam vorkommen wird. Ich illustriere das mit einem Zitat aus dem Schlaraffenland von Hans Sachs, ≈1530:
wer unnütz ist, wil nichts nit lern,
der komt im lant zu großen ern,
wan wer der faulest wirt erkant,
derselb ist könig in dem lant,
wer wüst, wild und unsinnig ist,
grob, unverstanden alle frist,
aus dem macht man im lant ein fürstn.
wer geren ficht mit leberwürstn,
aus dem ein ritter wirt gemacht;
wer schlüchtisch ist und nichtsen acht,
dan eßen, trinken und vil schlafn,
aus dem macht man im lant ein grafn;
Da ich nicht sicher bin, wie gut Du das verstehst, gebe ich eine grobe Übersetzung. Wer unnütz ist und nichts lernen will, der bringt es in dem Land zu großen Ehren: Wenn jemand als der Faulste erkannt wird, dann ist er König in dem Land. Wer wüst, wild und unsinnig ist, grob, und sich nicht an Fristen hält, aus dem macht man im Land einen Fürsten. Wer gerne mit Leberwürsten kämpft, aus dem wird ein Ritter gemacht. Und wer auf gar nichts achtet als auf Essen, Trinken und Schlafen, aus dem macht man im Land einen Grafen.
Das war jetzt zwar noch beschränkt verständlich, aber in der nächsten Stufe wird es noch mal viel schlimmer. Von grob 1000 bis 1400 wurde Mittelhochdeutsch gesprochen, und das verstehst Du nur sehr beschränkt. Auch dazu gebe ich einen Beleg, der heute ausnahmsweise nicht aus dem Nibelungenlied stammt, sondern aus Kudrun, das ist ohnehin die erbaulichere Lektüre.
Schiere kom Ortrûn von Ormanîelant,
diu junge küniginne, mit windender hant
ze vroun Kûdrûnen. diu junge maget hêre
viel ir vür die vüeze; si klagete ir vater Ludewîgen sêre
Si sprach: 'lâʒ dich erbarmen, edelez vürsten kint,.
sô vîl mîner mâge, die hie erstorben sint,
und gedenke wie dir wære, do man sluoc den vater dînen.
edele küniginne, nu hân ich hiute vlorn hie den mînen.
Das wirst Du vermutlich nicht verstehen, es geht aber mit Übersetzung: Eilends kam da Ortrun, die die Hände wand. Die junge Königtochter vom Normannenland, zu Frau Kudrun. Die junge edle Maid fiel ihr zu Füßen; sie beklagte ihren Vater Ludwig sehr (der war nämlich gerade am Schlachtfeld gestorben). Sie sprach „Laß Dich erbarmen, edles Fürsten Kind, so viele von den Meinen, die hier gestorben sind. Und stell Dir vor, wie es Dir zumute war, als man Deinen Vater erschlug. Edle Königin, nun habe ich heute hier den meinen verloren.“
Vor dem Mittelhochdeutschen kam das Althochdeutsche, das von den ersten schriftlichen Überlieferungen des Deutschen (≈600) bis etwa 1000 reicht. Es ist noch ein schönes Stück fremdartiger. Ich zitiere jetzt die erste Strophe des Ludwigsliedes (in einem fränkischen Dialekt des Althochdeutschen, ≈900), und es wird Dir auffallen, daß es damals noch kein W gab, man schrieb stattdessen Doppel-U:
Einan kuning uueiz ih, Heizsit her Hluduig,
Ther gerno gode thionot: Ih uueiz her imos lonot.
Kind uuarth her faterlos, Thes uuarth imo sar buoz:
Holoda inan truhtin, Magaczogo uuarth her sin.
Die Übersetzung lautet: Ich weiß einen König: Er heißt Ludwig, er dient Gott gerne. Ich weiß, er wird es ihm lohnen. Als Kind war er vaterlos, doch erhielt er sogleich Ersatz: Der Herr selbst nahm sich seiner an und wurde sein Erzieher.
Sicher weiter als du denkst.
Hier im Süddeutschen Dialekt existieren Worte, die im Englischen die gleiche Bedeutung haben.
Folglich muss die Sprache zur Zeit der Angelsächsichen Eroberung von Britannien weiter verbreitet und einheitlicher gewesen sein.
Die germanischen Stämme der Völkerwanderungszeit hätten sich untereinander in Dialekt verständigen können.
englische Worte? Hier in der ländlichen Gegend in Niedersachsen sind sehr sehr viele Ausdrücke/Wörter noch voll angelsächsisch. "Klocke tane" z. B.
Die Worte gab es aber schon, bevor die Angeln und Sachsen begannen, die Insel zu erobern.
Ich tendiere dazu, zu sagen: bis zum Mittelhochdeutschen versteht man schon noch einiges, aber Althochdeutsch geht nicht mehr - das leite ich mir auch oft anders her oder muss Wörter nachschlagen. Ich habe mir auch mal das Ludwigslied angeschaut.
Qhadhun al: "fro min, So lango beidon uuir thin."
Das habe ich zwar auf Anhieb verstanden (Es sprachen alle: mein Herr, so lange warten wir (schon) auf dich.), allerdings habe ich mir das primär nicht über Deutsch, sondern über Altnordisch bzw. Isländisch hergeleitet.
Althochdeutsch nutzt hier 3 bis 4 Wörter, die wir heute nichtmehr in dieser Form nutzen, die aber allesamt im Altnordischen in ähnlicher Form benutzt wurden.
1) So zum Beispiel quadh- (quadhun al = (es) sprachen alle). Man findet in der Edda oft die Verbform kvað:
"Þá kvað völva" = dann sprach die Völva/die Seherin
kviða = (altnordisches) Lied
2) fro (Herr) kennen wir nur noch aus "Fronleichnam" (der Leib des Herrn) oder "Frondienste" (Dienste, die man für seinen Herrn verrichtet). Im Altnordischen gab es Freyr (einen Gott), von Wagner mit "Froh" wiedergegeben.
3) beid- (uuir beidon = wir warten) erinnert mich an das isländische Verb bíða oder an älvdalisch baiða (Älvdalisch ist ein alter Dialekt, der in Schweden gesprochen wird und noch 'wikingerzeitliche' Elemente hat, Standardschwedisch ist vänta = warten).
4) thin (Genitiv: wir warten dein(er)) Noch heute kann man im Isländischen nach bíða einen Genitiv nutzen:
Ég mun bíða þín = Ich werde auf dich warten.
Auch die Wortstellung in 'fro min' passt z.B. immer noch zum Norwegischen 'skrivebordet mitt' = 'Schreibtisch mein'.
Quimit he gisund uz, Ih gilonon imoz,
Bilibit her thar inne, Sinemo kunnie.
"kunnie" ist hier, was wir in älterem Deutsch als "Geschlecht" kennen, also die Verwandtschaft, die Sippe, die Familie. Schwedisch "kön", englisch "kin" (kinfolk). Isländisch "kyn".
Kommt er gesund heraus, lohne ich es ihm,
bleibt er dort drin, seinem Geschlecht/seinen Verwandten.
Regional sehr unterschiedlich, in manchen Gegenden geht das ja heute noch nichtmal :D
Bei Mittelhochdeutsch konnte ich noch 1-2 Sätze verstehen aber danach hat es echt aufgehört.
Ich denke im Frühneuhochdeutsch könnte ich mich noch beschränkt verständigen und relativ gut verstehen was man von mir will.