Wie verhält man sich als Wessi im Osten?

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Ich arbeite(te) in Ost-Europa, zwischen Moskau, Istanbul und Kopenhagen, und reise auch heute noch immer wieder durch den Ländern des Balkans. In Budapest bin ich mehr oder weniger zu Hause. Vor zwanzig Jahren wurden die "Wessis" gesehen als "Geldboten": Menschen aus einem reichem Land, denen es galt aus zu nehmen, möglichst schnell. Wer Mitte der Neunzigern versuchte, als Angestellter einer internationalen Firma in Budapest eine Wohnung zu mieten, musste dafür 3000 DM Miete kalkulieren, was in etwa das zehnfache des damals in Ungarn bezahlte Gehalt eines ortsansässigen Lehrer war. Als Wessi wurde man also am häufigsten mit Abzocke und Wucher konfrontiert.

Aber das Blatt hat sich gewendet. Weiter im Osten gibt es die unredlichen Geschäftsmethoden noch, wie z.B in der Ukraine, aber sie werden seltener.

Heute sehen die Leute im Osten in uns eher Unwissenden, denen eine gute Bildung fehlt. Die Menschen im Osten -zumindest wenn sie aus der Ober- und Mittelschicht stammen- legen sehr viel Wert auf eine gute Bildung, und jeder versucht, für seine Kinder einen Platz an die beste Schulen zu bekommen. Im Durchschnitt haben die Menschen eine bessere Schulbildung als die junge Menschen im Westen. So wundern sich die Ossis immer, wie wenig "wir" wissen. Sie unterscheiden zwischen Bildung und Ausbildung.

Gute Manieren sind im Osten noch sehr angesagt: angefangen bei den Tischmanieren, über das Verhalten als Gast, bis hin das Verhältnis von Männer zu Frauen ist alles etwas gesitteter als bei uns. Aber auch hier: wenn man sich in den besseren Kreisen begibt.

Auch meine Freunde in Leipzig und Dresden schütteln ab und zu den Kopf darüber, wie "verloddert" die Wessis sind. Sie denken mehr über das Leben nach, weil es sich bei Ihnen in einer Generation sehr stark verändert hat, und natürlich überlegen sie auch, was denn früher besser war, denn nicht alles hat sich nach der Wende positiv entwickelt.

In Sachen Dialekt wird höchstens mal einen Witz erzählt, aber da sind inzwischen die Unterschiede nicht mehr so stark wie früher.

Es gelten die gleiche Verhaltensregeln wie überall: Benimm dich anständig, lasse keine überhebliche Sprüche ab, interessiere dich für dein Gegenüber, höre zu!


Bellezza0408  06.10.2021, 10:10

Sorry, aber das ist kompletter Tinnef: "Die Wessis" sind keineswegs "verloddert". Es mag auf manche zutreffen, doch kenne ich auch "Ossis", auf die dies zutrifft. Ich muss mich bildungstechnisch gewiss nicht hinter "Ossis" verstecken, und das Gleiche gilt für Manieren, ob nun bei Tisch oder sonstwo. Was glauben Sie denn? Es hängt von der Erziehung ab, die man genossen hat, nicht von der Himmelsrichtung.

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Schwervelke  08.10.2021, 07:40
@Bellezza0408

Ich war in einem Bereich tätig, in dem ich die Gesamtsituation gut vergleichen konnte. Sowohl im Bereich Bildung, wie bei dem Zusammenhalt in den Familien, die Hilfsbereitschaft im Umgang mit einander, die Gedanken zur Nachhaltigkeit, den wohlwollenden Umgang mit Kindern und Heimatverbundenheit schneiden die Menschen im Osten statischtisch gesehen besser ab. Es geht nicht um Einzelfälle oder das subjektive persönliche Empfinden, sondern um statistische Werten.

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Ich verhalte mich so wie immer.

Ich kann da (fast) nur positive Erlebnisse berichten. In Thüringen war ich auf einem Schachturnier, und habe bei einem Schachfreund privat übernachtet. War alles prima, ich bin sehr freundlich aufgenommen worden, und wir waren auch abseits vom Schach unterwegs (z.B. in Weimar, in Apolda, beim Kegeln usw.). Thüringer Würste kann ich übrigens sehr empfehlen.

Beruflich war in oft in der Gegend von Leipzig. Dort war ich im Hotel untergebracht. In der Firma (um die es ging) ist mir der enorm hohe Frauenanteil aufgefallen. Auch da war fast alles positiv (die ehemalige Chefin hatte zwar "Haare auf den Zähnen", das war aber eine individuelle Sache - die war sehr speziell). Auch in der Gegend sind mir die Kegelbahnen aufgefallen (das scheint dort noch beliebter zu sein als hier) und die "Fettbemmen" (Brot mit Schmalz, nicht so meine Sache...).

In Dresden war ich mal privat. Sehr schöne Stadt. Einen Passanten hatte ich mal nach einer Kirche gefragt, seine Antwort war etwas barsch. Ich hatte dann gesagt, dass ich nicht "von hier" komme. Ach so, meinte er dann. Anscheinend war dieser Jemand nicht auf einen Touristen vorbereitet. :)

Allgemein ist der Umgangston eher "hart, aber herzlich", das finde ich aber ok.

Beruflich war ich auch in Oranienburg (und Berlin kenne ich auch ein wenig - sehr interessante Stadt!), also Brandenburg. Auch da war alles prima.

Es gibt "im Osten" übrigens verschiedene Dialekte. Ein Sachse spricht ganz anders als ein Berliner. Und in Mecklenburg trifft man mitunter noch plattdeutsche Dialektsprecher an.


666Phoenix  17.12.2017, 20:57

Und in Sachsen reden die Sachsen auch alle unterschiedlich! Selbst das Platt in Greifswald ist ein anderes als in Waren/Müritz!

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666Phoenix  18.12.2017, 13:33

Ich verhalte mich so wie immer.

Immer diese bösen Drohungen aus dem Westen :-)

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philliptheft  16.10.2018, 14:06

Bedenke, dass Platt kein Dialekt, sondern eine Sprache ist.

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Indem du dich eben nicht arrogant und besserwisserisch verhältst und den Menschen auf Augenhöhe begegnest. D. h. indem du erst einmal jeden respektierst und auch nicht mit dem neuesten Schlitten und dem dicken Portemonnaie herumprotzt.

Reines Hochdeutsch wird auch im Osten gesprochen, nämlich in Meck-Pomm. Wenn du einen Dialekt nachahmst, den du in Wirklichkeit nicht sprichst, fühlen sich die Leute eher verar.....t und halten dich dann gleich für einen arroganten Wessi.

Die Menschen im Osten stört eher der Materialismus der Wessis und die Entwertung ihrer eigenen Lebensläufe. Stell dir vor, du wärst im Osten geboren und aufgewachsen, dann hättest du auch ein anderes Wertesystem vermittelt bekommen. Indem du dich in die Menschen hineinversetzt, vermeidest du es, besserwisserisch herüberzukommen (trifft übrigens auch bei Auslandsreisen zu).

Und Leuten, bei denen das nicht hilft, die nicht mit dir kommunizieren wollen, gehst du besser aus dem Weg.


Bellezza0408  06.10.2021, 10:11

"Der Materialismus der Wessis" - pauschaler ging es gerade nicht? Ist Ihnen klar, dass es "die Wessis" nicht gibt und dass beileibe nicht alle materialistisch denken? Offenbar nicht.

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Claud18  08.10.2021, 22:07
@Bellezza0408

Uns naiven Ossis wurde doch nach der Wende von vielen Seiten beigebracht, dass sich alles ums Geld zu drehen hat und dass alles andere nichts zählt. Wer es nicht glaubte, erwachte spätestens dann, wenn er aus der eigenen Wohnung geklagt wurde, sich die Zugfahrt zu Verwandten nicht mehr leisten konnte oder plötzlich sieben überflüssige Versicherungsverträge auf dem Hals hatte. So etwas war zuvor für uns undenkbar.

Dass nicht alle Wessis dabei mitmachten und dass es sogar Idealisten gab, die im Osten etwas Positives bewirken wollten und manchmal auch daran gescheitert sind, will ich gar nicht bestreiten.

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War jemand von euch schon mal im Osten und kann mir da Empfehlungen geben?

Ja ich lebe hier seit 26 Jahren und bin mit einer Eingeborenen verheiratet.

Wie sagt der Kölner so schön: Jeder Jeck ist anders. Das gilt auch hier. Die allermeisten sind aufgeschlossen und entspannt.

Dann gibt es aber leider gelegentlich welche, die sofort auf meinen norddeutschen Akzent reflektieren. Wenn man sich outet kommt da dann so ein "Wessi" gezischt, was so wie es ausgesprochen wird, fast wie Nazi klingt.


Ich benehme mich einfach so wie immer.

Die netteste Bemerkung die ich bekam war "Ihr Hannoveraner habt einen komischen Dialekt, da versteht man alles."

Das Problem "besserwisserisch" hatte ich mal 1991/1992, dann habe ich mich einfach mit Auskünften und Ratschlägen zurückgehalten und nach einig Jahren gesagt bekommen"Du hattest ja Recht."