Wie habt ihr ein erlebtes Trauma bewältig oder es versucht, und seid gescheitert?

7 Antworten

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Ich weiß nicht, ob ich davon wirklich "traumatisiert" worden bin, aber ich habe diverse unschöne und erniedrigende Ereignisse mehr oder weniger (bin jetzt 31) verarbeitet, indem ich die Kontakte abgebrochen habe etwa zu ehemaligen Mitschülern usw. und wir umgezogen sind. Ich habe keinerlei Kontakte mehr in meine Heimat außer zu ein paar Verwandten, habe mich auch nirgendwo abgemeldet und konnte zum ersten Mal richtig durchstarten.

Beim Psychologen war ich vor einigen Jahren fünf oder sechs Mal, es half auch und gab mir Kraft nach vorne zu blicken (ich lernte zumindest, was das eigentliche Problem ist), aber den letztlichen Schritt zur Verbesserung bin ich selbst durch die tolle Hilfe meiner Freundin/Frau gegangen und es hat enorm viel Selbstbewusstsein aufgebaut.

Was mir noch geholfen hat auf ganz subtile Weise: Anfang 2020 erfuhr ich, dass die langjährige und sehr arrogante Klassenschönheit von einst schwer krebskrank sei und nach einigen Jahren des Siechtums am Ende angekommen. Im Sommer 2020 ist sie dann gestorben. Ich habe es mir verkniffen, das zu kommentieren, aber ich sah mich vor meinem geistigen Auge ihrer Mutter verlogene schleimige Sprüche an den Kopf werfen und wäre ich in der Heimat noch gewesen, wäre es ggf. so gekommen. Sie hat meine Familie und mich sowie andere "sozial Schwache" immer belächelt, "Mausefallenhändler" war noch eine der charmanteren Beleidigungen gegen mich und dann stand sie doch mit offener Hand da, wenn mein Kumpel und ich Schokokekse vom Schlecker dabei hatten -----> und es war irgendwie eine Genugtuung zu sehen, der alte Mausefallenhändler fängt jetzt erst richtig an und du liegt jetzt am Boden; da, wo du mich 15 Jahre eher immer hingedrückt hast. Klingt doof, aber es hat mich aufgebaut. Es war fast eine Genugtuung.

Auch ein gewonnener Rechtsstreit, bei dem meine damalige Freundin und heutige Frau es allen gezeigt haben, half uns - und mir half vor allem dass ich auf die gut gemeinten Worte meiner Frau hörte: "Trau dich endlich mal zu sagen was du denkst" -----> danke Melli, ich hab dich wirklich lieb ;-)

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Reigel  06.05.2022, 19:11
... Klingt doof, aber es hat mich aufgebaut.

Na, das ist aber keine Bewältigung. Die Genugtuung hat dein Ego aufgebaut. Das Herz ist immer noch verschlossen. Schade, da ist noch einiges zu tun. Mitgefühl mit der arroganten Schönheit wäre ein lohnenswertes Ziel, das möglich ist. Sie hat es bitter nötig. Und es wird dich enorm voranbringen.

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rotesand  07.05.2022, 13:31
@Reigel

Ich war immer hin- und hergerissen. Gern hätte ich ihr sogar geschrieben oder ihr über die Mutter was mitgegeben und ich hatte ein wirklich ganz übles Gefühl bei meinen Gedanken, von wegen, dass ich noch lebe und sie so krank ist. Ich habe mich auch geschämt dafür und vielleicht hatte sie sich mit den Jahren geändert. In meinem Herzen habe ich schon Erbarmen gehabt und es ergriff mich, aber irgendwie konnte ich das nicht mit meinen Erlebnissen vereinbaren - es fiel mitten in die Schlussphase meiner Verarbeitung und meines Abschlusses sowie die Zeit, in der ich einige Male bei einem Psychologen war. Den sprach ich einmal auch auf dieses Thema an und er meinte, ich müsse mich nicht schämen nach der Vorgeschichte (das hatte ich ihn u.a. gefragt, weil ich mich so "gehässig" einfach nicht kenne!), aber ich solle trotzdem dran denken, dass wir alle gleich sind und keiner "gleicher als gleich" ist. Der Mann hat mir sehr geholfen. Er gab mir auch Literaturempfehlungen, die ich dann durcharbeitete und die mir neue Wege aufzeigten.

Am Ende habe ich den Eltern nach reiflichem Nachdenken dann tatsächlich eine Karte geschrieben, die auch ehrlich war. Sie war nicht sehr umfangreich geschrieben, aber es kam von mir aus und ich hielt das für einen Abschluss "mit menschlicher Würde" um es so zu sagen. Meine Freundin/Frau (da waren wir noch nicht verheiratet) meinte auch, das sei ein guter Abschluss und heute hege ich gegen die Person keinen Groll mehr. Jugendliche sind halt auch schwierig bisweilen und wir hatten in der Realschule nun mal eine Sch...-Klasse, das hat sogar mein Opa gesagt, der eigentlich nie solche Ausdrücke in den Mund nahm und sehr gediegen war.

Genugtuung war es insofern wohl auch, weil ich in der Zeit allgemein an Selbstbewusstsein und Offenheit zugelegt habe. Na ja, wir werden alle reifer mit den Erfahrungen.

Ich danke für deinen Kommentar und wünsche ein schönes Wochenende.

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"Bewältigt", hm...weiß ich nicht, ob man das so nennen kann. Meine Traumata werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen und sie beeinflussen mich auch bis dahin.

Aber, dank meiner ersten Partnerin und ihrer Penetranz mich zu Therapien usw. zu schicken, kann ich mich heute zufrieden und glücklich nennen. Es macht mir heute keine Probleme mehr, darüber nachzudenken, auch offen darüber zu sprechen...wobei das sehr merkwürdige Leute auf den Plan ruft.
Und vor allem kann ich Liebe zulassen, das ist mir sehr lange sehr schwer gefallen, bzw. ich habe die Liebe meiner ersten Freundin immer wieder in Frage gestellt, auch weil sie ein Stück älter war, als ich.

Aber sie war es eben, die dafür gesorgt hat, dass ich Therapien besuche, also nicht nur eine, sondern mehrere Formen davon (Gesprächstherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie), dass ich Selbstverteidigung lerne und dass ich auch eine fundierte Ausbildung bekomme, also alles dafür getan hat, dass meine Traumata verarbeite und gleichzeitig aber Selbstwert und Standing bekomme.

Bei einer Freundin allerdings haben bisher alle Therapien versagt...selbst die medikamentöse.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Depressionen, soziale Phobie, Angst-&Panikattacken

Anon99999 
Beitragsersteller
 06.05.2022, 01:24
wobei das sehr merkwürdige Leute auf den Plan ruft

Was heißt das genau?

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Ylvarina  06.05.2022, 15:51
@Anon99999

Nun, es gibt genügend Leute, die der Meinung sind, ein Betroffener (das Opfer eben), müsste vor Elend heulend zerfließen, weil es nicht möglich ist, dieses zu be- und verarbeiten.
Schafft es der Betroffene, wird stärker, gewinnt an Selbstwert und Selbstbewusstsein, so dass er eben offen über das Erlebte reden kann, gibt es nicht gerade wenige, die entweder sofort "Du lügst doch!" schreien oder "Du willst nur Aufmerksamkeit!", die also ob der gewonnen Stärke sofort das Erlebte in Frage stellen, bzw. gar nicht erst glauben, weil sie eben der Meinung sind, ein Betroffener könne sich gar nicht befreien.

Meine Geschichte ist furchtbar. Viele können es sich nicht vorstellen, dass es in einer Familie so laufen kann. Nach der Meinung dieser Leute, dürfte ich es gar nicht geschafft haben, das zu verarbeiten.
Einmal meinte jemand zu mir, das ist zwar schon Jahre her, bleibt aber im Gedächtnis: "An deiner Stelle hätte ich mich umgebracht. Jetzt leidest du doch dein ganzes Leben."

Man spricht den Opfern einfach ab, dass sie Traumata verarbeiten können...an sich dürfen sie es gar nicht, um ihren "Opfer-Status" nicht zu verlieren. Je stärker ein Betroffener wird, desto weniger wird ihm die Gesellschaft glauben oder als Betroffenen/Opfer anerkennen.

Oder wie sagte hier mal jemand: "Dein Vater hätte dich totschlagen sollen!"

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Anon99999 
Beitragsersteller
 06.05.2022, 15:53
@Ylvarina

Ok, ja hört sich sehr dämlich an. Solche Leute kann man ruhig ignorieren und ghosten, selbst wenn es Verwandte wären.

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Ylvarina  06.05.2022, 16:02
@Anon99999

Zu meiner Familie habe ich sowieso keinen Kontakt mehr.

Wenn man es nicht selbst erlebt hat, spricht sich das leicht.
Man arbeitet viele Jahre daran, etwas Lebenszerstörendes so zu verarbeiten, dass man wieder Lebensqualität und Glück erleben kann. Dass man wieder unter Menschen gehen kann, ohne sich ständig bedroht zu fühlen und so weiter.
Und dann kommen Leute, die nur einen Ausschnitt gehört haben und zichtigen einen der Lügen, nur weil sie sich nicht vorstellen können, dass 1. so etwas passieren kann und 2. man es be- und verarbeiten kann (begleiten wird es einen immer).
Das verletzt. Man hat Jahre investiert, um wieder Luft zu bekommen und dann möchten andere einem das Atmen wieder erschweren oder sogar ersticken.
Aber es trifft leider sehr viele Betroffene/Opfer.

Das ist sehr traurig.

Und natürlich gibt man sich mit solchen Leuten nicht länger ab, aber allein ein Satz reicht aus, damit es in der Seele sticht.

Als ich noch am Anfang stand, die ersten Schritte in Richtung "Selbst-Bewusstsein" machte, habe ich mich wirklich gefragt, was ich noch alles hätte erleben müssen, damit man mir glaubt...ob ich nicht genug gelitten hätte.
Ich meine, ich habe sichtbare Spuren...aber selbst das scheint nicht auszureichen.

Heute betrifft es mich nicht mehr so. Trotzdem kann so ein Verhalten der Umwelt durchaus ganz böse Konsequenzen nach sich ziehen. Jemand, der (noch) nicht so weit ist, der durch kann solche Sätze, wie "Du lügst doch." oder "Du willst nur Aufmerksamkeit." einbrechen...
Ich hatte damals in der Kunsttherapie ein Mädchen in meinem Alter. Das hat sich suizidiert, genau aus diesen Gründen. Sie hat es nicht ertragen, wie man sich ihr gegenüber Verhalten hat. Es fühlt sich wie ein Schlag an, wenn man die ersten Schritte in die "Freiheit" geht und dann so etwas zu hören bekommt.
Das aber überdenken solche Voll-dioten nicht, sie können sich gar nicht vorstellen, was sie damit auslösen.

Also ist es mit "ignorieren" nicht so einfach, gerade wenn man sehr jung ist.

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Anon99999 
Beitragsersteller
 06.05.2022, 16:12
@Ylvarina

Hast recht. In mancher Hinsicht kann ich es mit meinem erlebten verstehen, wenn noch manchmal "Fehler" bezüglich mir von meinen Verwandten begangen werden und ich es mitbekomme.

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Ich habe es mit diverseen Psychologen & Klinilaufenthalt probiert. Schlussendlich hatte mich erstens, nie wirklich jemand verstanden & gross geholfen schon garnicht.

Seit ich wieder ganz normal in der Berufs& Arbeitswelt integriert bin, geht sogar ein bisschen besser. Nur Schade das man nicht nur mir, nicht weiterhelfen konnte.

An der einzigen qualifizierten Antwort bisher wird deutlich, wie wichtig ein positiver unterstützender Einfluss von lieben Menschen ist. Das passt zur Aussage meiner Traumatherapeutin, die mir mal sagte: "Ein Trauma kann man nicht alleine bewältigen."

ich mache eif. ne vegetotherapie & gut