Wie erklärt man sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Evangelien(Markus,Mathäus und Lukas)?

13 Antworten

Hallo.

Die ersten drei Evangelien stimmen (trotz mancher Unterschiede) an so vielen Stellen wörtlich überein, dass es dafür nur zwei plausible Erklärungsmöglichkeiten gibt. Bevor jetzt jemand sagt, die Evangelisten seien Augenzeugen gewesen und hätten sich die Worte Jesu einfach sehr genau gemerkt - die ersten drei Evangelien stimmen auch beim Erzählen von Ereignissen (z.B. Heilungswundern, Exorzismen) über weite Teile wörtlich überein. Augenzeugen würden ihre Erlebnisse in völlig unterschiedlichen Worten schildern. Daher ist diese Annahme historisch und literaturwissenschaftlich leider völlig unhaltbar.

Jetzt zu den zwei Möglichkeiten für die Erklärung des Textbefundes:

(1.) Die ersten drei Evangelien gehen auf eine gemeinsame, schriftliche Quelle zurück ("Urevangelienhypothese"). Das vertritt aber meines Wissens heutzutage niemand mehr, soweit ich weiß.

(2.) Die ersten drei Evangelien sind untereinander literarisch abhängig.


Bezüglich der Möglichkeit (2.) gibt es drei Hypothesen:

(2a) Griesbachhypothese

In der Tradition der Kirche wird seit dem Kirchenvater Irenäus von Lyon (200 n. Chr.) angenommen, dass das Matthäusevangelium vom Apostel Matthäus auf aramäisch verfasst wurde und für Markus und Lukas als Quelle diente. Irenäus beruft sich dabei auf ein Zitat vom frühchristlichen Schriftsteller Papias (ca. 120 n. Chr.), das heute jedoch nicht mehr vorhanden ist. Wegen dem Alter dieser Tradition lag es nahe, diesem Ansatz nach zu gehen.

Diese Auffassung vertreten inzwischen nur noch wenige Leute, weil es einige gewichtige Gegenargumente gibt - z.B.:

  • Am Matthäusevangelium selbst gibt es kaum Indizien, die auf eine Übersetzung aus dem Hebräischen oder Aramäischen sprechen. Im Gegenteil.
  • Das Markusevangelium ist kürzer als das Matthäusevangelium. Es ist wahrscheinlicher, dass der kürzere Text älter ist, als der längere, weil dies eben in den meisten Fällen so läuft.
  • Es ist nicht plausibel, dass Markus beim Verfassen seines Evangeliums Grammatik und sprachlichen Stil absichtlich gegenüber seiner Quelle (dem Matthäusevangelium) verschlechtert haben soll. So bescheuert kann keiner sein.

Daher ist es wahrscheinlicher anzunehmen, dass das Markusevangelium als Quelle für das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium gedient hat.



(2b) Zwei-Quellen-Theorie

Markus hat demnach sein Evangelium zu erst abgefasst, während Matthäus und Lukas das Markusevangelium als Vorlage benutzt haben. Es gibt ein paar Stellen, an denen Matthäus und Lukas vom Text des heute vorhandenen Markusevangeliums abweichen und sich dies nicht einfach durch sprachliche Verbesserungen des schlechten Griechisch des Markusevangeliums erklären lassen. Daher muss man annehmen, dass Matthäus und Lukas noch eine Vorform des heute vorhandenen Markusevangeliums benutzt haben (Proto-Markusevangelium).

Im Matthäus- und Lukasevangelium finden sich zudem noch weitgehende inhaltliche und wörtliche Übereinstimmungen in Texten, die nicht im Markusevangelium stehen. Das legt nahe, dass sowohl Matthäus, als auch Lukas eine schriftliche Quelle benutzt haben, die inzwischen jedoch verlorengegangen ist (Logienquelle).

Die Hypothese heißt "Zwei-Quellen-Theorie", weil man annimmt, dass Matthäus und Lukas jeweils zwei gemeinsame Quellen benutzt haben. Der Nachteil an der Sache ist, dass die zwei Quellen eben hypothetische Quellen sind (Proto-Markusevangelium + Logienquelle).
Der Grund, warum trotz diesem Problem die meisten Bibelwissenschaftler diese Hypothese für die stärkste halten ist, dass sich damit alle Gemeinsamkeiten und Abweichungen der ersten drei Evangelien plausibel erklären lassen. Ich nenne dafür nur ein paar wenige Beispiele:

- Es ist plausibel, dass Matthäus und Lukas an verschiedenen Stellen Ausdruck und Grammatik von Lukas verbessern.

- Matthäus übernimmt von Markus keine Erklärung jüdischer Bräuche, weil seine Zielgruppe diese gut kennt. Dafür versucht er anhand von Zitaten aus dem Alten Testament zu beweisen, dass Jesus der Messias ist.

- Matthäus gibt manchmal christologische Titel (Sohn Davids, Sohn Gottes, Menschensohn) anders wieder, als sie im Markusevangelium stehen, weil diese Titel in seinem Evangelium jeweils eine besondere Bedeutung haben, die jeweils nur an bestimmten Stellen der Erzählung Sinn macht. Dabei orientiert sich Matthäus an der frühjüdischen Tradition, die Markus weniger gut kannte.

- Matthäus setzt häufig "Königreich der Himmel" an Stellen ein, wo im Markusevangelium "Königreich Gottes" steht. Matthäus will wahrscheinlich der jüdischen Tradition folgend vermeiden, dass man beim Lesen bzw. hören seines Evangeliums den Namen Gottes (JHWH) assoziiert und ihn infolge dessen versehentlich ausspricht. Lukas, der weniger an die frühjüdische Tradition gebunden ist, muss nichts verändern und übernimmt den Ausdruck einfach aus dem Markusevangelium.

- Lukas muss manche "Dubletten" aus dem Markusevangelium streichen (z.B. erzählt er nur eine Brotvermehrung und streicht ein paar Blindenheilungen), weil sein Evangelium so lang ist, dass es technisch gerade noch so auf eine Schriftrolle passt. Nur ein paar Worte mehr und man bräuchte 2 Schriftrollen.


(2c) Farrer-Hypothese


Die sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es gibt vor allem auf den britischen Inseln ein paar Bibelwissenschaftler, die folgendes annehmen:
Matthäus hat Markus als Vorlage benutzt; Lukas hat Matthäus und Markus als Vorlage benutzt.

Der Vorteil hieran ist, dass man ohne hypothetische Quellen auskommt. Allerdings geht die Sache dann nicht mehr ganz so schön rund auf, wie (2b).


Die Antwort ist jetzt sehr lang geworden, weil ich versucht habe wirklich die Argumente für verschiedene Postionen darzustellen, damit du dir selbst eine Meinung bilden kannst.








gemeinsam:
der gleiche Protektionist , die gleiche Botschaft und die gleichen Begebenheiten als "Ausgangslage".
unterschiedlich
eben verschiedene Autoren - mit teils unterschiedlichen Quellen und auch teils unterschiedlichen Adressaten - welche  aus ihrer Sicht eine Auswahl trafen dessen, was sie für wichtig erachteten.

Kann man sich vorstehendes nicht auch selbst denken ?
Gäbe es keine Unterschiede, wären diese Schriften für mich auch wenig glaubwürdig.

Hallo iamele2003,

wenn du und ein Freund zB etwas gemeinsam unternehmt und dann in der Schule einen Aufsatz darüber schreiben müsstet, dann würden eure Aufsätze sicherlich unterschiedlich sein. Dir wären vllt Dinge aufgefallen, die deinem Freund nicht aufgefallen sind und die er deshalb auch nicht erwähnt hat. Oder vielleicht hast du manche Sachen auch einfach anders empfunden, als dein Freund.

Markus, Matthäus, Lukas und Johannes haben ebenfalls die Kreuzigung Jesus aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet nieder geschrieben. Dem einen ist vielleicht ein Detail wichtig erschienen, das die Anderen als weniger wichtig empfunden haben und deshalb nicht aufgeschrieben haben. Aber da sich alle 4 Berichte sinngemäß nicht widersprechen sondern decken, gibt es kein Problem.

Lg


Meatwad  21.11.2017, 18:34

Markus, Matthäus, Lukas und Johannes haben ebenfalls die Kreuzigung Jesus aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet nieder geschrieben.

Der eine stand mehr rechts vor dem Kreuz, der andere mittig bis links? So etwa?

Dieser Antwort liegt die Fehlannahme zugrunde, die Evangelien seinen Augenzeugenberichte, sprich, sie seinen von ihren Namensgebern verfasst worden. Man weiß jedoch heutzutage, daß dem nicht so ist/war.

Reverie777  21.11.2017, 19:09
@Meatwad

»Der eine stand mehr rechts vor dem Kreuz, der andere mittig bis links? So etwa?«

Ich hoffe, dass das nicht ernst gemeint war.

»Dieser Antwort liegt die Fehlannahme zugrunde, die Evangelien seinen Augenzeugenberichte, sprich, sie seinen von ihren Namensgebern verfasst worden.«

Viele einzelne Bücher der Bibel stammen oftmals zwar nicht nur von einem Autoren, sondern Mehreren, aber ich habe noch nie gehört, dass das bei den Evangelien der Fall war (selbst wenn das nicht weiter schlimm wäre, dann hat man halt noch weitere Augenzeugen in einem Buch?). Aber das ist interessant, aus welchen Quellen hast du das?

Jeder Schreiber der Evangelien legt andere Schwerpunkte und beleuchtet das Geschehen auf andere Weise. Teilweise werden auch unterschiedliche Ereignisse dargestellt bzw. verschiedene Elemente eines Ereignisses erwähnt. Damit widersprechen sich die Evangelien nicht, sondern ergänzen sich.

Ein Beispiel dafür ist, dass Jesus auf einem Fohlen reitend am Palmsonntag in Jerusalem einzog. Alle 4 Evangelien berichten davon, doch nur Matthäus erwähnt die Eselin mit dem Fohlen. Manche empfinden dies als Unstimmigkeit, doch warum sollte es nicht möglich sein, dass Lukas, Markus und Johannes diesen Aspekt nicht so wichtig fanden und nur von einem jungen Esel schrieben, auf dem Jesus ja auch ritt. Deshalb ist es kein Widerspruch, sondern Ergänzung, wenn Matthäus berichtet, dass zusätzlich zu dem jungen Eselfohlen auch eine Eselin mitgeführt wurde.

Die Gemeinsamkeiten erklären sich damit, dass z. B. Matthäus und Johannes die aufgeschriebenen Ereignisse selbst als Jesu Jünger miterlebt haben und Markus und Lukas viele Jahre mit den Augenzeugen von Jesu Wirken verbrachten. Viel wichtiger ist aber, dass Gottes Geist die Schreiber der Bibel inspiriert hat (vgl. 2. Timotheus 3,16).


Hooks  19.11.2017, 22:45

Matthäus beschreibt Jesus als den König, so wie er in Sacharja 9,9 vorhergesagt worden war.

Hallo lamiele,

google mal unter Enstehung der Evangelien. Da findest du die genauen Daten über personen, Zeiten, Quellen, Abhängigkeiten.

Da findest du, das es unterschiedliche Verfasser sind, die zu unterschiedlichen Zeiten zu unterschiedlichen Adressaten mit unterschiedlichen Absichten geschrieben haben. Sie haben auch untersschiedliche Quellen benutzt und stützen sich zeitweise aufeinander

Die genannten Verfasser Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sind vermutlich auch nicht die Originalverfasser, aber ihnen wird der entsprechende Text zugeschrieben.

Zumindest Lukas ist erst ein Schreibeer in dritter Reihe, wenn du den einführenden Text des Lukasevangeliums liest:

 Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat.2 Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. 3 Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. 4 So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.

Die Gemeinsamkeit ergibt sich aus dem letzten Satz: Ziel ist es die Lehre Christi damit darzustellen und zu verkünden.