Welche Rolle spielen soziale Normen bei der Formung von Verhaltensweisen?

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Sehr große sogar - vor allem, wenn man als Kind oder Jugendlicher noch nicht so selbstbewusst und stark ist, um sich dagegen zu wehren bzw. nicht über die Kenntnisse und die Weitsicht verfügt um zu erkennen, dass gewisse von Erwachsenen tradierte Verhaltensweisen grundfalsch sind.

Ich habe noch bis in die Zwanziger hinein bzw. fast so lange, wie ich in meiner Heimatstadt lebte genau dieses Verhalten kultiviert, das ich in diesem tristen und biederen, spießig-gehässigen Umfeld seit meiner Kindheit erlernt und gezeigt bekam. Erst mit ca. 26 Jahren erfolgte ein massives Umdenken, weil ich sah, dass es falsch war und dass ich so nicht bin und so nicht sein möchte.

Soziale Normen waren u.a. die Erwartungen im Bezug auf gusseiserne Seriosität, solide Kleidung (z.B. Jeans-Kleidung war völlig verpönt), ein repräsentatives Auto (am besten Mercedes oder Opel, BMW ging auch, früher evtl. noch Ford Scorpio - wer aber einen Audi 80/100 fuhr oder wie einer meiner Freunde einen Fiat Croma, bei dem hieß es, es habe zu mehr nicht gereicht), einen gewissen Umgangston (bei uns daheim herrschte etwa der selbe Tonfall vor wie in einer typischen Fernseh-/Krimiserie der 80er-Jahre; alles sehr dienstlich), dazu ein gewisser Dünkel auf alle, die "schlechter" seien und gleichermaßen gab es die Auflage, man solle "demütig und geduckt" sein. Denke ich heute drüber nach, sind diese beiden Worte in meiner Kindheit und Jugendzeit ständig gefallen, andererseits hieß es im nächsten Satz, man solle selbstbewusst sein. Das ist die gleiche Doppelmoral wie in dem Bereich, dass mir der Kauf eines gebrauchten Mercedes C180 jahrelang als protzig und überzeichnet vorgehalten wurde und es hieß, ein kleineres ausländisches Fabrikat hätte es doch auch getan, während einer meiner Freunde wegen seines Fiat Croma (keine Schrottkiste, sondern ein Jahreswagen, das war ca. 2011) als unseriös galt und zu hören bekam, es hätte ruhig mehr sein können. 

Es gab auch immer wieder Leute, die in einem furchtbaren, kaum beschreibbaren Tonfall treuherzig bekundeten, Hinz und Kunz habe seine Wohnung "aber zu piekfein eingerichtet, der ist sicher arrogant, der meint, er wäre mehr, net" und im Gegenzug hätte es geheißen, er hätte "es nicht fein genug, der hat ja auch kein Geld groß, net". Ich nehme an, dass das heute noch so ist, obwohl diejenigen, die so agiert haben zu meiner Zeit, inzwischen hochbetagt sind oder schon gestorben. Solche Werte werden weiter vererbt & viele meiner Mitschüler, die ich letztes Jahr beim Klassentreffen erlebte, waren zwar sehr nett und alles, aber man merkte ihnen solche ältlichen Denkweisen dennoch an. Nicht meine Welt!

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Noch was zu meiner Biographie, um es zu verdeutlichen: In der Grundschule war ich ein fröhlicher, offener und selbstbewusster Junge und es wurde in einem Zeugnis (2. Klasse glaube ich) gelobt, dass ich gut singen könne und im Musikunterricht besondere Stärken hätte; es hieß, ich sei freundlich, zuvorkommend und anteilnehmend. Ich war der unverkrampft Lustige, der Nette; ich war Solist im Schulchor, bei Auftritten umjubelt sogar von Erwachsenen ... soziale Normen gab es zwar, aber es war so freigeistig irgendwie trotz sehr alter Lehrer und der drückend grauen Vorstadt. Die Klasse war aber auch harmonisch und die Lehrer sowie der Rektor haben es gut gemeint, die Atmosphäre war wertschätzend und unbeschwert. Ich war so, wie ich eigentlich bin, weil ich mich total wohl fühlte und jeden Tag gern zur Schule ging.

In der Realschule war dann alles trist, grau und es gab in der fünften und sechsten Klasse viele Probleme und schlimme Lehrer, die Klassengemeinschaft war nicht vorhanden und jeder war gegen jeden. Ich weiß es noch genau, ich fühlte mich wie ein Gefangener. Anfangs war ich noch ganz der Alte, aber schon nach wenigen Wochen habe ich resigniert und die Realschule gehasst, bis ich Schulangst hatte. Es waren sechs graue und grausame Jahre. Ich habe das halt durchgezogen weil ich wusste, ich habe keine Alternative.

An der Berufsschule (in der Kreisstadt ca. 30 Kilometer entfernt) sowie in der Ausbildung konnte ich mich dann wieder frei entfalten und war genauso locker und unverkrampft wie an der Grundschule, ich war Klassensprecher, stellvertretender Stufensprecher und "ein Typ, den man kannte" an der Schule, obwohl ich nur zwei Tage pro Woche im Rahmen meiner Ausbildung dort beschult wurde. Ich war in der SMV, ich war sehr gerne dort, ich hatte eine tolle Klasse, eine nette Freundin, einen super Ausbilder und nette Kollegen sowie nette Mit-Azubis in der Firma es hat alles gepasst. Ich wurde modisch "frecher", habe mehr gewagt, mehr gemacht. Kaum war ich allerdings nach meiner Ausbildung wieder auf meine Heimatstadt abonniert (ohne Berufsschule) und dort beruflich tätig und im Ehrenamt unterwegs und im Gemeinderat, war ich wieder in den alten Paradigmen gefangen und sah mich als einen an, der sich eher runterzubuttern und zu kritisieren habe als zu loben oder sich als sympathisch oder kompetent oder gutaussehend oder sonst was zu wähnen und beugte mich den Verhältnissen, ich war bald wieder total langweilig angezogen weil ich wusste, mit meinem Berufsschulstyle wäre ich unten durch gewesen.

Ich bin von Grund auf ein offener, freundlicher, geselliger und "gütiger" Mensch, das kann ich auch in meiner Wahlheimat privat und auf der Arbeit voll ausleben und merke, dass ich genau deswegen Erfolg habe - und ich kann heute sagen, ich mag mich. Wenn ich in meiner Heimat betont hätte mich selber zu mögen, hätte ich eine ziemliche Abfuhr erhalten von wegen "aber Junge, sei demütig, sei demütig, sonst bläst dir bald ein eisiger Wind ins Gesicht, lass dir's sagen, wirst schon sehen, sei demütig, demütig". Genau so wurde es mir mal gesagt, als ich mir mit Anfang 20 mal eine hochwertige Armbanduhr gegönnt habe, auf die ich sehr stolz war und die ich jemandem zeigte, der sowohl diese Uhr als auch mich persönlich daraufhin niedergemacht habe. Wo ich jetzt wohne, würde man sich mit mir freuen und ohne Neid sagen, Mensch, da hast du aber eine tolle Uhr, das hast du richtig gemacht, dass du dir mal was geschenkt hast. Hier trage ich diese und andere Uhren gern und fahre auch in meiner tollen Mercedes E-Klasse gern rum, in meiner Heimat würde ich mich die Uhr nicht trauen und den Mercedes als soziales Zugeständnis ansehen, der halt in meiner Stellung sein müsse, weil man es dort erwarten würde, entsprechend würde er mir keinen Spaß machen.

Ich renne heute genau so herum, wie ich es in meiner Heimat jahrelang wollte und es ist ein fantastisches Gefühl, das jetzt endlich tun zu können. Ich trug jahrelang sehr triste Kleidung und Business-Sachen sogar privat, es war heftig, wurde aber erwartet. Heute trage ich privat einfach nur ganz normale lockere und doch gepflegte Kleidung - für die ich in meiner Heimat als unseriös gebrandmarkt geworden wäre. Mein Profilfoto bin ich selbst und das zeigt ein typisches Outfit von mir, so rannte ich schon zur Berufsschule rum und. Weißes Langarmshirt, drüber ein kurzärmliges kariertes Hemd und dazu eine beige Chino ... trage ich heute auch. Ich liebe es :-)

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Das beste Beispiel dafür ist doch der Islam, dessen Adepten es im Laufe der Jahrhunderte geschafft haben, ihrem - soweit man heute weiß - recht emanzipierten Propheten die Versklavung der Frauen unterzuschieben.

Da ich auf einem traditionellen landwirtschftlichen Anwesen meine Kindheit erlebt habe, ging es auch dort um Rollenbilder der Frauen, die von selbsternannten Patriarchen erdacht wurden. Ich denke da vor allen Dingen an meine so opferbereite liebe Oma. Anfang der 1950er Jahre brach dieses System dann aufgrund des Grundgesetzes nach und nach zusammen. Immer mehr Frauen leiten professionell landwirtschaftliche Betriebe.