Weist das Wort Bosheit nicht einen gewissen Grad an Objektivität auf?

4 Antworten

Ich würde auch davon ausgehen, dass Bosheit bis zu einem gewissen Grade Objektiv gesehen werden kann, was aber auch daran liegt dass ich Vertragstheoretiker bin und damit davon ausgehe, dass Gerechtigkeit ebenfalls bis zu einem Gewissengrade Universalisierbarkeit ist.

Bosheit ist für mich ein willentlicher Akt der Ungerechtigkeit.

Zerstörung ist nun einmal Zerstörung. Sie wird von gesunden Menschen nicht subjektiv als Erhaltung wahrgenommen.

Bis zu einem gewissen Grad stimme ich dem auch zu, allerdings besteht in allen Gesellschaften in einigen Punkten einen Konses darüber, was übel und verachtenswert ist, ohne dass es vorher einen Austausch bedurfen hat. Man nehme Diebstahl, Raub, willkürliches Töten, Vergewaltigung etc. als Beispiel.

Ich zum Beispiel finde, dass in den Taten nicht grundsätzlich Boshaftigkeit steckt.

Jemand könnte stehlen, um selbst zu überleben. Jemand könnte töten, während er sich verteidigt. Vergewaltigung könnte dem Folgen und Nichtkontrollierenkönnen des Triebs zu verschulden sein.

Zu einer bösen Tat gehört meiner Ansicht nach der Wille, jemandem schaden zu wollen. Es muss Freude, Genugtuung oder Lust bereiten, jemandem zu schaden.

  • Der 0815-Dieb stiehlt nicht, um andere ärmer zu machen, sondern damit er reicher wird.
  • Der Räuber sieht den einfachsten Weg, sein Ziel zu erreichen darin, Gewalt anzudrohen. Das Befinden des Opfers ist ihm egal. Auch er will sich in erster Linie bereichern.
  • Der Vergewaltiger will dem Opfer nicht schaden, sondern seine Lust befriedigen.

Meine Sichweise soll die Taten nicht entschuldigen oder die Täter von ihrer Verantwortung entbinden.
Ich finde halt nur, dass es oft schwieriger ist, als man meint, Böses in Taten zu finden, jedenfalls nach meiner Begriffsauffassung.


TheTeito  18.10.2022, 13:45

Ein Schlüssel ist hier noch, dass keiner behaupten sollte, gut ("nicht boshaft") zu handeln wäre leicht. Was Bosheit in jedem Fall ausmacht, ist, dass sie etwas Gutes (Wohlstand, körperliche Befriedigung, ...) auf falschem Wege erreichen will. Jede Bosheit ist einfach böse, weil sie böse ist, sondern weil sie eine Perversion des Guten ist. Und genau diese Perversion ist manchmal leichter zu realisieren.

C.S. Lewis nannte ein verwandtes anregendes Beispiel, dass mich jemand, der mir aus Versehen ein Bein stellt, höchstens einen Moment lang verärgert. Aber der, der es machen will, obwohl dies nicht erfolgreich ist, verärgert mich zurecht, auch wenn mir kein Leid objektives Leid widerfahren ist.

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Suboptimierer  18.10.2022, 13:52
@TheTeito

Richtig. Man könnte weiter ausführen, dass Gutes meistens mehrere Menschen betrifft und Böses sehr häufig mit Egoismus verbunden ist.

Ein Bein zu stellen ist eine böse Tat, denn man möchte sich am Leid des anderen Ergötzen, auch wenn das Leid noch so klein sein mag.
Logischerweise erzürnt es einen, wenn jemand auf bösem Weg gegen einen vorgeht, unabhängig vom Ausgang. Ich hoffe jedoch, dass man dann in der Lage dazu ist, mit rechtem Maß zu messen, denn bis auf den Stolz wird nicht viel verletzt. Sonst wäre gegenseitiges Foppen und Necken ja schon böse. Das würde ich aber eher als Form eines Spiels interpretieren, so wie bei kämpfenden Löwenbabys.

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Ich widerspreche Ihnen. Zu der Thematik gibt es viele Bücher. Viele deutsche Philosophen, wie Kant und Hegel, aber auch spätere haben sich mit dem Bösen befasst, der Fachbegriff für die Wissenschaft nennt sich Ponerologie.

Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, die us amerikanische Kultur zu studieren, dann wird Ihnen auffallen, dass es den von Ihnen genannten Konsens nicht gibt. Zu viele Menschen identifizieren sich mit den Schurken, oder Schwerstverbrechern einer Gesellschaft. Diese heiraten noch in US Haftanstalten ihre glühenden Verehrerinnen, es gibt Popularitätsrankings, welcher Filmbösewicht, und welcher reale Verbrecher der "Coolste" von allen gewesen ist. Clara Harris, die ihren fremdvögelnden Ehemann aus affektivem Hass überfuhr, wird von manchen sexistischen Feministinnen verehrt. Ihre Tat, "doing a Clara Harris on somebody", könnte etwaig zum Allgemeinplatz werden.

Aber auch wenn wir uns die Widersprüchlichkeit politischer Interessen anschauen, gibt es diesen Konsens nicht. In Deutschland müsste die Holocaustleugnung nicht unter Strafe gestellt werden, gäbe es wenigstens Einmütigkeit bzgl. der Taten und Motive Hitlers.

Gerade solche politischen Kampfbegriffe wie die "Axis of Evil", die George wh Bush beschwor, um die Menschheit auf den Kampf gegen den Terror einzunorden, wären überhaupt nicht nötig gewesen.

Hieraus folgt u.a., dass dann, wenn der Teufel schon an die Wand gemalt werden muss, es Uneinigkeit gibt, und den Menschen, die entweder nicht wissen was gut und böse ist, oder nicht wissen wollen, gesagt werden muss, wie es sich verhält.

Hätte es einen Konsens, würde es keine Propaganda brauchen.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – private Studien

Darkwater9723  18.10.2022, 14:16

Sehe ich wie gesagt etwas anderes: Zwar setzt Bosheit voraus das derjenige willentlich handelt, nicht aber, dass er oder seine Lebenswelt die Handlung im Konkreten Fall als böse begreift, sondern nur, dass sie sie unter Rawls Schleier des Nichtwissens als Unparteiliche als böse/ungerecht einstufen würden.

Der Ansatz die subjektive Einschätzung heran zu ziehen liefe hingegen auf Kommunitarismus hinaus (eine Ideologie die ich selbst als Böse einstufe - die läuft konsequent angewendet auf sowas wie die "Fourth Theorie" (A. Dugin) oder "Juche" (Nordkorea) hinaus) - vielmehr müssen genau diese Faktoren soweit wie möglich ausgeklammert werden - die Aufgabe einer Gerechtigkeitstheorie ist nicht möglichst "realitätsnah" zu sein oder sich an den Gefühlen der menschen zu orientieren - denn Realität und Menschen sind ja oft Ungerecht. Vielmehr ist es ihre Funktion allgemeine Spielregeln zu entwerfen an denen Menschen und Realität gemessen und auch gegensätzliche Sichtweisen gegeneinander abgewogen werden können (und das schafft Rawls und der Luckegalitarismus in meinen Augen derzeit am besten)...

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OliverKrieger  18.10.2022, 14:28
@Darkwater9723
die Aufgabe einer Gerechtigkeitstheorie ist nicht möglichst "realitätsnah" zu sein oder sich an den Gefühlen der menschen zu orientieren - denn Realität und Menschen sind ja oft Ungerecht

Gut und Böse entstanden und entstehen aus subjektiven Bewertungen der Wirklichkeit, und sind darum nicht von den Gefühlen zu trennen, die Menschen empfinden, wenn sie Wert oder Unwert begreifen.

Gut und Böse sind hierdurch, besonders in Demokratien, unvermeidlich, denn die Opposition ist notwendigerweise schlecht, wenn nicht böse, weil nicht gewiss ist, ob ihre Zwecke lauter sind, und die Richtigkeit der politischen Sache sachlich projizieren, oder ob diese unlauter sind, und nur den Machtgewinn zum Gegenstand haben.

"Sie wollen doch nur regieren!" Ist ein nicht zu entkräftender Vorwurf in Demokratien, darum ist die Gut und Böse Dichotomie untrennbar noch vom politischen Kontext.

Außerdem ist nur im Kollektiv die subjektive Perspektive soweit aufhebbar, dass ein einheitlicher - also objektiver - Begriff dessen überhaupt entstehen kann, von dem, was für alle dann Gutes, oder Böses oder Schlechtes ist.

Das heisst, je mehr Menschen zu Individuen werden, und je deutlicher das Schicksal einzigartiger, und exklusiver Perspektiven für die demokratischen Staatsbürger begreifbar, aber auch nützlich wird, umso deutlicher wird die - bestenfalls - intersubjektive, aber niemals objektive Deutung von Gut und Böse.

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Darkwater9723  18.10.2022, 18:08
@OliverKrieger

Nein, das was sie beschreiben ist nichts anderes als der Soziokulturelle Überbau, der bereits von Stirner hinreichend dekonstruiert wurde.

Das was sie schreiben erinnert argumentativ an den Kommunitarismus, der sich immer wieder als Ideologie des Bösen bzw. als Ideologie entpuppt hat, die immer wieder dazu diente Minderheiten-, Trans- und Fremdenfeindlichkeit und alle anderen Arten von Antindividualistischen und Antiliberalen Übergriffen zu legitimieren.

Diese Ideologien Scheidern nicht nur bereits an der Selbstzweckformel des Kategorischen Imperatives, da sie die Gemeinschafft und Beziehungen anstelle dem Individuum ins Zentrum stellen und sich damit eher an der Ungerechtigkeit bzw. der Gesellschaftlichen Realität als an der Gerechtigkeit orientieren, welche eben diese Realität in Frage stellen soll sondern schon ganz Praktisch, als dass sie nicht in der Lage sind objektiv Böses verhalten gegenüber Individuen klar als solches zu Bennen und zu verurteilen sondern dienen nur dazu das Böse zu relativieren, weil sie es immer nur im Lebensweltlichen Kontext von sozialen Konstrukten sehen wollen und vor allem darauf abzielen, dass Menschen nicht schon deshalb als Böse gelten können weil sie sich an den Normen ihrer Gesellschafft und Sozialisation Orientieren, was aber diese Ideologien selbst schon böse macht.

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OliverKrieger  18.10.2022, 18:12
@Darkwater9723

Dass Sie die innerlich-moralische Bewertung des sozialen Umfelds eines Menschen durch diesen selbst, mittels der Kategorien gut und böse aber nicht mit dem Verweis auf einen äußerlich-rechtlichen Gerechtigkeitsbegriff unterdrücken dürfen wissen Sie aber schon ?

Oder herrscht bei Ihnen da noch Unklarheit ?

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Darkwater9723  18.10.2022, 19:44
@OliverKrieger

Die Unterdrückung findet ja eben durch das moralische Umfeld, Sozialisiation und die Kulturelle und Religiöse Identität des Menschen statt.

Diese müssen erst ausgeklammert werden, damit der Mensch überhaupt erst in der Lage ist unparteilich zu bewerten (was durch Rawls Schleier des Nichtwissens geschieht). Diese Unparteilichkeit ist aber die Voraussetzung für ein Universelles Konzept der Gerechtigkeit und damit einer Bewertung in Gut und Böse - die lebensweltliche Bewertung welche Menschen in der Gesellschafft vertreten sind hingegen genau dafür ungeeignet weil eben subjektiv und nicht unparteilich.

Das ist wie mit einem Kartenspiel - wenn man da um Haus und Hof spielt und ein Streit über die Regeln auftritt, wird es einem schwer fallen sich zu einigen wenn man bereits sein Blatt kennt und ggf. in eine bestimmte Strategie investiert hat, die eine bestimmte Regelauslegung voraussetzt um aufgehen zu können (das ist die Situation aus der die Kommunitaristen heraus argumentieren).

Vor dem Spiel, bevor man sein Blatte kennt und eine Strategie dafür festlegen kann, könnte man sich allerdings durchaus auf gemeinsame Regeln einigen, weshalb die Regeln auf die man sich dot geeinigt hätte folglich auch diejenigen sind die innerhalb des Spiels am gerechtesten sind, da wir ihnen zugestimmt hätten wenn wir nicht wüssten welches Blatt wir am Ende erhalten (das ist stark vereinfach Rawls ansatz).

Ein König und ein bildungsnaher Bettler werden über Gerechtigkeit sicherlich unterschiedlicher Ansicht sein wenn sie ihre eigene Situation und Sozialisation mit einbeziehen.

In einem Fiktiven vorgeburtlichen zustand, wo beide nicht wissen ob- und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie als König oder Bettler geboren werden, würden sie hingegen mit ihren Gerechtigkeitsvorstellungen deutlich näher bei einander, wenn sie versuchen ihre eigenen Chancen zu optimieren. Auch dort wird es noch einen gewissen interpretationsspielraum geben, aber solange sie die anderen Rawlschen Bedingungen erfüllen (Gegenseitiges Desinteresse, Neidfreiheit usw.), ist dieser nicht so groß, als dass man hier nicht von einem Universellen Konzept der Gerechtigkeit sprechen könnte und damit eben auch einem entsprechenden Konzept des Guten, woraus sich dann auch eines des Bösen ergibt, was sich dadurch auszeichnet damit in Konflikt zu stehen...

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OliverKrieger  18.10.2022, 19:53
@Darkwater9723
Die Unterdrückung findet ja eben durch das moralische Umfeld, Sozialisiation und die Kulturelle und Religiöse Identität des Menschen statt.

Eben nicht. Das reine moralische Urteil eines Menschen über die Beschaffenheit des eigenen Umfelds, der Gedanke und die Bewertung desselben, sonder jeder Tat, ist eine Angelegenheit des innerlichen, moralischen Gesetzes, und diese Freiheit der Urteilskraft darf kein äußeres Gesetz oder Recht einschränken.

Es gibt keine objektive Moral, das wäre Gleichschaltung !

Das einzige, was überhaupt objektiv sein könnte, wäre das ideale äußere, hoheitliche Gesetz.

Sie haben mich eigentlich falsch verstanden : Mir liegt nicht an der Relativierung dessen, was als Böse beurteilt wird, diese ergibt sich notwendigerweise aus den mannigfachen Perspektiven der Menschen. Dass das eigene böse Handeln durch den Versuch, die Zwänge der Natur hierfür verantwortlich zu machen, von Nazipillemännern wie Konrad Lorenz relativiert wird, ist falsch - und nicht mein Zweck.

Böswilligkeit ist der bewusst, und verantwortlich, trotz moralischer Freiheit bestimmte, und zum Schaden der Gesellschaft in die böse Tat umgesetzte böse Wille. Dieser ist dann allerdings immer mindestens so schlecht oder böse, wie die Ideologie, die die Legitimität solcher Handlungen verheisst.

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Darkwater9723  18.10.2022, 21:05
@OliverKrieger
Es gibt keine objektive Moral, das wäre Gleichschaltung !

Eben nicht, die Gleichschaltung findet ja genau durch die Soziokulturelle Konditionierung, zwischenmenschliche Bindungen und Loyalitätserwartungen und biologisch zumindest mitbestimmten Neigungen der Menschen statt.

Hierdurch werden Menschen von klein auf darauf konditioniert im Sinne ihrer sozialen gruppe zu entscheiden, was man auch sehr gut daran sehen kann wie z.B. das Wahlverhalten in bestimmten Gebieten ist.

Dennoch neigen Menschen zu recht ähnlichen Ansichten in bestimmten Bereichen, wo es keine oder nur wenig Gruppenpräferenzen gib und das ist vor allem im Bereich der sogenannten Verfahrensgerechtigkeit.

D.h. wenn zwei eine Torte die ihnen geschenkt wurde gerecht teilen sollen, werden sie sich auch, wenn jeder seinen Anteil maximieren will am Ende doch darauf einigen können, das es gerecht ist, wenn Einer diese in Zwei teilt und der andere sich zuerst aussucht welchen Teil er will.

Im Gegensatz zur Ergebnisgerechtigkeit kann die verfahrens Gerechtigkeit durchaus einen gewissen Grad an Objektivität für sich beanspruchen.

Der Rawlsche Ansatz zielt nicht darauf ab eine bestimmte Ideologie aufzuzwingen sondern vielmehr die ganzen subjektiven soziokulturellen Werte über welche Leute Ideologisch gesteuert werden, auszuklammern, aber nicht indem er sie negiert (das wäre tatsächlich Gleichschaltung) sondern indem er sie Abstrahiert:

D.h. es wird z.B. nicht gesagt, "Religion spielt keine Rolle!", sondern: Es gibt verschiedene Glaubensrichtungen die z.B. Atheisten Christen Moslems oder was anderes seien können, nennen wir sie X, Y und Z du gehörst einer dieser Gruppen an, weist aber nicht welcher und auch nicht wie die Macht- und Mehrheitsverhältnisse zwischen den Gruppen aussehen.

Wie sollten die Regeln und Kompetenzbereiche der gruppen aussehen, wie weit sollten sie reichen und wo beschränkt sein?

Es ist eben keine Gleichschaltung weil es meine Subjektivität nicht negiert, sondern lediglich mein Wissen darüber hinter welchen der drei "Türchen" sich meine Weltanschauung versteckt und dadurch fangen wir an verfahrensgerecht zu entscheiden und kommen zu recht ähnlichen Ergebnissen...

...ein Großteil der Subjektivität entsteht nicht, weil wir alle Grundverschiedene Gerechtigkeitsauffassung haben, sondern weil wir um unsere Soziale Position, unsere Zugehörigkeit und Präferenzen wissen.

Ohne dieses Wissen sind wir nicht Gleichgeschaltet (sonst wären Neugeborene oder Menschen mit Amnesie gleichgeschaltet), können uns aber dennoch plötzlich viel besser auf gemeinsame Regeln verständigen...

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OliverKrieger  18.10.2022, 22:09
@Darkwater9723

Ich will und werde "Ihnen" nicht folgen : Ich bin kein Kenner von Rawls, aber soweit ich weiss, befasste sich Rawls mit Gerechtigkeit, das heisst mit der Theorie des äußeren, hoheitlichen Rechts, und diese ist von der inneren, moralischen Regel und dem moralischen Gesetz der Vernunft zu trennen.

Auch bin ich Indeterminist, und Liberalist : Für mich haben die Zwänge und Manipulationen der Gesellschaft und ihrer Ideologien, Gruppen und Entitäten ein Ende, und das ist meine Individualität.

D.h. es wird z.B. nicht gesagt, "Religion spielt keine Rolle!", sondern: Es gibt verschiedene Glaubensrichtungen die z.B. Atheisten Christen Moslems oder was anderes seien können, nennen wir sie X, Y und Z du gehörst einer dieser Gruppen an, weist aber nicht welcher und auch nicht wie die Macht- und Mehrheitsverhältnisse zwischen den Gruppen aussehen.

Das bist du selbst, und nicht ich ! Ich weiss schon welchen Gruppen ich angehöre und welchen nicht ! Befasse dich bei der Gelegenheit doch auch einmal mit der Theorie der Religion, als einer sakralisierenden Gemeinschaft, dann weisst du, warum Säkularisierung eine Rolle spielt.

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OliverKrieger  18.10.2022, 22:11
@Darkwater9723
...ein Großteil der Subjektivität entsteht nicht, weil wir alle Grundverschiedene Gerechtigkeitsauffassung haben, sondern weil wir um unsere Soziale Position, unsere Zugehörigkeit und Präferenzen wissen.

Subjektivität entsteht notwendigerweise durch meine körperliche Getrenntheit von allen Menschen der Gesellschaft, und nicht durch meine Gerechtigkeitsauffassung. Diese ist in letzter KOnsequenz Sache der Richter und Richterinnen.

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Darkwater9723  18.10.2022, 22:52
@OliverKrieger
Ich bin kein Kenner von Rawls, aber soweit ich weiss, befasste sich Rawls mit Gerechtigkeit, das heisst mit der Theorie des äußeren, hoheitlichen Rechts, und diese ist von der inneren, moralischen Regel und dem moralischen Gesetz der Vernunft zu trennen.

Korrekt: nur haben diese inneren Moralischen Regeln in meinen Augen nichts mit Gut und Böse zu tun, oder würden sie behaupten z.B. Hitler, Stalin usw. seien gute Menschen, wenn sie sich selbst für ebensolche hielten?

Wenn es darauf hinausliefe wäre es jemanden als Böse zu bezeichnen oder Boshaftigkeit zu unterstellen keine Beleidigung mehr sondern hieße lediglich das ich ihn nicht mag. Da es aber von vielen inklusive mir als Beleidigung und als Unterstellung aufgefasst wird vorsätzlich unmoralisch oder unethisch zu handeln. Dürfte das wiederum eine Minderheiten Meinung sein.

Moral und Ethik werden gemeinhin nicht als rein Subjektive Neigung verstanden sondern als gesellschaftliche Basis, oder um es mit Rawls zu sagen:

"Aristoteles bemerkt, es sei eine Eigenart der Menschen, daß sie einen Sinn für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit hätten und daß bei ihnen eine gemeinsame Gerechtigkeitsauffassung eine Polis bilde. Ähnlich könnte man [...] sagen, eine gemeinsame Auffassung der Gerechtigkeit als Fairneß bilde eine konstitutionelle Demokratie." (Rawls, 1971)

Subjektivität entsteht notwendigerweise durch meine körperliche Getrenntheit von allen Menschen der Gesellschaft, und nicht durch meine Gerechtigkeitsauffassung.

Korrekt, aber Subjektivität ist nicht das was ich unter Gut und Böse verstehe und das wiederum Hängt in meinen Augen eben Primär mit der Gerechtigkeitsauffassung zusammen.

Wenn ich jemanden als Böse bezeichne meine ich (und vermutlich auch viele andere) das derjenige bewusst Ungerecht handelt - z.B. durch Rücksichtslose Parteilichkeit, Unverhältnismäßigkeit, Machtmissbrauch usw. - damit versuche ich nicht einfach nur auszudrücken dass ich seine Handlung nicht mag, sondern unterstelle ihm auch gegenüber anderen einen vorsätzlichen verstoß gegen die Gerechtigkeit, welche Otfried Höffe wie folgt definiert: "Die Semantik weist die Gerechtigkeit als die moralische Verbindlichkeit aus, deren Anerkennung Menschen einander schulden [...]" (Höffe, 2006)

Hierbei geht es eben nicht um Subjektivität sondern um Reziprozität.

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OliverKrieger  18.10.2022, 23:15
@Darkwater9723
oder würden sie behaupten z.B. Hitler, Stalin usw. seien gute Menschen, wenn sie sich selbst für ebensolche hielten?

Ich würde das nicht behaupten, denn ich verachte Totalitarismus, aber bei putinistischen Russen, und hitleristischen Neonazis sieht die Sache anders aus. Alles was eine legale Autorität tun kann, ist, deren Ideologie zu delegitimieren, doch dies ist Gerechtigkeit - äußeres Recht.

Moral und Ethik werden gemeinhin nicht als rein Subjektive Neigung verstanden sondern als gesellschaftliche Basis,

Nein, darum muss auch über Ethik so viel gesprochen, und verhandelt werden, weil sie eben nicht selbstverständlich ist, wie das äußere hoheitliche Gesetz, dessen annähernde Objektivität wenigstens denkbar ist.

Moral und Ethik werden gemeinhin nicht als rein Subjektive Neigung verstanden sondern als gesellschaftliche Basis, oder um es mit Rawls zu sagen:
"Aristoteles bemerkt, es sei eine Eigenart der Menschen, daß sie einen Sinn für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit hätten und daß bei ihnen eine gemeinsame Gerechtigkeitsauffassung eine Polis bilde. Ähnlich könnte man [...] sagen, eine gemeinsame Auffassung der Gerechtigkeit als Fairneß bilde eine konstitutionelle Demokratie." (Rawls, 1971)

Sie eröffnen den Absatz mit einer Rede über Moral, die sie objektivieren wollen, unter Zuhilfenahme des folgenden Zitats über Gerechtigkeit. Diese äußere Rechtlichkeit führt auch zur Bildung des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Rawls vollendet mit seiner Weiterentwicklung zur äußerlich-rechtlich verfassten Demokratie. Das hat mit Ethik und Moral nichts zu tun, sondern mit Recht.

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Darkwater9723  19.10.2022, 01:40
@OliverKrieger
Sie sind starker ethischer Realist, ich bin Antirealist und Nonkognitivist.

Ja diese Einschätzung könnte stimmen, wobei ich mich mit diesen Labels noch stärker beschäftigen muss, bevor ich zu sagen vermag, ob ich mich voll damit identifizieren kann...

Das hat mit Ethik und Moral nichts zu tun, sondern mit Recht.

Eben nicht, da recht in vielen fällen nicht Ethisch ist, sondern diese auch dazu dient dieses zu Kritisieren (siehe dazu auch Ronald Dworkins Argumentation gegen den Rechtspositivismus und seinen Ansatz eines Richter-Herkules).

Aber ja, diese Frage kam auch schon während meines Studiums als ich im Ethikseminar die Vertragstheorie vorstellte und gerade Rechtsphilosophie ist ein wichtiger Teil davon (Otfried Höffe wird hierzulande nicht umsonst gerne von der Regierung in Ethikkommissionen berufen wenn es um solche Fragestellungen geht).

In der Praxis entstehet Recht und Gesetz meist nicht aus Ethischen Gesichtspunkten sondern als ethisch zumindest Fragwürdiger Kompromiss zwischen fachlich fragwürdigen Parteien, die im Staat weniger eine Ethik-Institution als einen Viehmarkt zu sehen scheinen. Weshalb ich auch verschiedenen Anarcho-Individualistischen Theoretikern nahe stehe - obwohl ich nicht das Konzept des Staates ansich ablehne, sondern weil ich das ablehne was Konservative und Kommunitaristen daraus machen, während Definitionen die Anarchie als das Ideal einer gesellschafft begreifen "in der jedes Individuum die größtmögliche Freiheit besitzt die für alle zugleich möglich ist" sowohl mit dem Ersten Gerechtigkeitsgrundsatz Rawls als auch meinem Demokratieideal (Isocracy) übereinstimmt...

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Darkwater9723  19.10.2022, 02:29
@OliverKrieger

Kommt sehr auf die Anarchiedefinition an, aber im allgemeinen ist Anarchie ja keine Anomie sondern richtet sich vielmehr gegen die Hierarchie, also Gehorsamsforderungen die sich aus der Autorität des Fordernden ableiten (bzw. Rechtspositivismus und dem Mittelalterlichen Herrschaftskonzept von Treu und Gnade, was in den Augen vieler Anarchisten den Staat ausmacht).

Und genau das ist dann wieder an das Anschlussfähig was z.B. im Technoliberalism usw. gefordert wird, der im Gegensatz zum Anarchismus zwar nicht den Staat abschaffen will, wohl aber den "Gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum" stark beschränken.

Gerade wenn die Freiheit aller maximiert werden soll, setzt dass aber natürlich starke Regulierung voraus (und ist deshalb mit Anomie unvereinbar), oder um einen hamburger Richter zu zitieren, der einen Raufbold antwortete der meine es sei seine bürgerliche Freiheit seine Fäuste frei in alle Himmelsrichtungen bewegen zu können: "Die Bewegungsfreiheit ihrer Fäuste, wird durch die Lage der Nase ihres Gegenübers beschränkt!"

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