Warum wird Huxleys Vision ("Schöne neue Welt") in der Philosophie als eine negative Utopie bezeichnet?
In der Utopie "Brave new World" oder auf Deutsch "Schöne neue Welt"(1932) von Aldous Huxley, beschreibt er ein fasst perfektes Verhältnis von Wissenschaft und Technik.
Bereits im ersten Kapitel behandelt er den Einsatz von Brutapparaturen zu Modifizierung des Menschen und die dadurch von Geburt bestimmte Einteilung in Klassen. Diese Utopie wird auch als negative Utopie bezeichnet.
Liegt dies daran, weil die Natur des Menschen, also z.B. natürlich Kinder zu gebären, gestört wird? Oder warum schätzt man diese Utopie als negativ ein?
(ich würde hierbei gern den Focus wirklich nur auf das erste Kapitel des Buches, das in der Brut- und Normzentrale spielt, setzen)
Kann mir jemand diese Frage beantworten?
Vielen Dank im Voraus!
4 Antworten
Weil seine Utopie bereits so utopisch ist, dass sie negativ wird. Wie das Schlaraffenland, in dem niemand arbeiten muss und alle so viel essen können wie sie wollen. Es klingt zwar auf den ersten Blick positiv, also utopisch, bei genauerer Betrachtung ist es jedoch ein Trauerspiel, das in Hedonismus und Apathie endet.
Huxley hatte Angst vor Dingen die uns Spaß machen und erschuf in "Schöne neue Welt" eine Gesellschaft die sich dadurch identifiziert Spaß zu haben. Steril, emotionslos, hedonistisch, mit festen Kasten und Strukturen, konservativ und Drogenabhängig. Pure Stagnation. Jeder ist seine Abläufe gewohnt, Freizeit und Arbeitszeit sind perfektioniert, Drogenkonsum ist kontrolliert etc.etc.
Also alles in allem: Reine Stagnation.
Stillstand ist immer negativ. Keine Entwicklung, kein Fortschritt. Menschen die ihr Potential nicht mehr nutzen und nur noch dahinvegetieren. Sie leben nicht mehr, sie sind nur noch am Leben und jede Unregelmäßigkeit, wie der Besuch des "geborenen Mannes" in "Schöne neue Welt", artet in eine Katastrophe aus.
In welcher Philosophie? Das wäre nur sehr dumm.
Das ist ein dystopischer Roman, weil er polarisiert gedeutet werden kann:
Für jeden Leser, der in seinem Leben die Folgen seiner Entscheidungen nicht verantworten will, der sich um nichts kümmern will, der andere herrschen lassen will, damit es im Besonderen ihm gutgeht, bewertet diese beschriebene Utopie positiv.
Da erinnert es mich z. B. an das frauenfeindliche indische Kastensystem oder den Staatskapitalismus Chinas: Die Empathie- und Kreativlosen der Gebildeten spielen aus Egomanie brav mit. Im Roman steht dafür z. B. Henry Ford, der als erster Unternehmer das Einheitsmodell eines Autos am Fließband produzieren ließ.
Für jeden Leser, der möglichst viel Freiheit in seinem Leben haben möchte, auch die Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidungen tragen kann - können will, der sich kümmern will, dadurch dass er auch herrscht und herrschen lässt, damit es ihm und ruhig auch anderen gutgeht, bewertet diese beschriebene Utopie als negativ.
Da erinnert es mich z. B. an den Raubtierkapitalismus der USA mit gleichzeitig religiös fundamentalistischer "Naivität", die einerseits rassistisch nationalistisch andrerseits naiv altruistisch (wegen der typischen hohen Spendengelder für alles nur Mögliche, z. B. Arme Leute, Krankenhäuser, Schulen und Hochschulen, Stiftungen) handelt.
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Selbstverständlich ist auch die Übersetzung des Wortes BRAVE schwierig; das SCHÖN Shakespeares passt aus meiner Sicht genauso wenig wie das modernere TAPFER.
Mich erinnert der Romaninhalt eher an den mittelalterlichen Fatalismus mit auserwählten Menschen als Herrscher (vgl. mit der Ideologie der Zeugen Jehovas oder der Scientology-Church, auch mit Adolfs "germanischem" Menschenbild der Herren- und Sklavenrassen, auch wenn bzw. weil der durch und durch bösartige Adolf das Lesen des Romans in seinem Deutschen Reich verbieten ließ), der absichtlich futuristisch als gesellschaftliche Geisteshaltung eingesetzt wird.
Deshalb würde ich in diesem Sinn BRAVE lieber mit EITEL übersetzt wissen:
Eitle neue Welt
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Das philosophische Problem
ist im Roman, dass der Mensch nicht ontologisch betrachtet, also nicht die Würde eines Menschen geschützt wird, sondern der Mensch nur teleologisch betrachtet, also nach einem für die Gesellschaft vorbestimmten Wert manipuliert wird. Selbstverständlich ist das ein sehr gutes Thema für einen Roman, weil viel zu viele Menschen den Unterschied zwischen Würde und Wert nicht begreifen. Die Natur sagt es ihnen nämlich nicht, sie müssen es erkennen und zur Kultur gestalten.
Vgl. z. B. Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten (Never let me go, Roman 2005), Literaturnobelpreisträger 2017, PS: Auch eine dämliche Übersetzung des Titels ins Deutsche!)
Vielen Dank für deinen Kommentar. Die offizielle deutsche Übersetzung heißt jedoch tatsächlich "Schöne neue Welt", auch wenn dies - vermutlich - nicht hundertprozentig passend ist.
Ich nahm an, dass du weißt, dass ich weiß, dass dieser Begriff nicht von dir stammt: Er sei die typische Bedeutung im Shakespareschen Sinn (brave > schön), die Huxley ironisch verwendet hätte. Ironie ist aber etwas Schwieriges, gerade wenn beide Pole von den "Botschaft-Empfängern" für richtig gehalten werden können. Das ist mir "schön" zu einfach. Als Gymnasiast schlug ich einst im Unterricht zur Intensivierung vor - im Goethes Sinn des Sturm und Drang:
"Ach, die schöne neue Welt."
Deine Frage zeigt, dass wir in einer solchen Gesellschaft schon leben. Denn es fällt Dir nicht mal auf, das Menschen im Voraus in drei Klassen aufgeteilt wird und so er keinerlei Freiheit hat sich selbst zu entscheiden oder zu entwickeln. In Deutschland herrscht das drei Schulen System immer noch. Mit Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien werden Arbeiter, Mittelschicht und Führungsschicht festgelegt. Dies war im 19. Jahrhundert normal, ziemt sich aber nicht mehr für eine Demokratie. Das nennt man eine negative Utopie. Natürlich könnte man noch viel mehr als Beispiel nehmen, aber Du wolltest eine Antwort auf den ersten Teil des Buches.
Zu einem wirklich menschlichen Leben gehören Trauer, Leid und Schmerz. Durch das “Soma” verliert der Mensch dort aber die Möglichkeit zu diesen Emotionen. Zusätzlich ist die komplette Struktur der Gesellschaft auf die Vermeidung aller negativer Erfahrung ausgelegt.
In Huxleys “dystopischer Utopie” ist der Mensch seiner eigentlichen Menschlichkeit enthoben.
Aber warum wird dies philosophisch als negativ angesehen?