Verständnisproblem mit Hardcore-Autist?
Ich bin ein Bekannter eines geistig Behinderten mit einer schweren Form von Autismus und würde, weil ich ihn grundsätzlich sympathisch finde, ihm gern versuchen sowas wie ein Freund zu sein. Leider scheitert das an starken Kommunikationsproblemen.
Der Junge kann kaum bis gar nicht Nein sagen und macht aus Angst alles, was man sagt. Dadurch habe ich bereits die Angst, dass er eine zwischenmenschliche Beziehung gar nicht genießen kann, weil sie ihm eher unbewusst freiwillig auf sich genommene Lasten aufbürdet, die er gar nicht will, oder dass er generell eher Angst und Respekt vor seinem Gegenüber hat, obwohl dieses ihm gegenüber freundlich gesinnt ist.
Man muss sich generell viel Zeit für ihn nehmen, er schafft es nur sehr selten mehr als einen Satz zu sprechen. Er kann auch nicht Gesprächsinhalte in der richtigen Reihenfolge wiedergeben, ich merke, dass er oft zwischen teilweise sehr unterschiedlichen Arten umherswitcht. Manchmal ist er relativ redselig, dann wirkt seine Stimme auf einmal sehr schwer und bedrückt.
Es kommt nicht selten vor, dass wir über ernste, teilweise bedrückende Themen reden und er sich dann einfach kaputtlacht, obwohl es mitunter wirklich überhaupt nichts Lustiges ist, im Gegenteil. Ich kann das sogar noch einigermaßen nachvollziehen, da ich selbst einen eher strangen Humor habe. Bei ihm habe ich aber das Gefühl, dass er sich der Ernsthaftigkeit gar nicht bewusst ist, was ja nochmal einen Unterschied dazu ausmacht, ob man vielleicht nur indem Moment nicht anders kann als zu lachen.
Nun habe ich sogar die Erfahrung gemacht, dass er, auch während eines inhaltlich eher aufregenden und anstrengenden Telefonats, auf einmal einfach eingeschlafen ist. Ich laste mir das insofern selbst an, da ich mit einem Menschen wie ihm vielleicht gar nicht erst so spät in der Nacht so etwas hätte thematisieren sollen, aber es hatte sich halt so ergeben.
Für mich ist es einfach schwer, sein Verhalten einzuordnen, denn bei einer "normalen" Person würde man es als absolute Respektlosigkeit einordnen. Er ist nicht in der Lage, Bescheid zu sagen, wenn er müde wird, sondern lässt mich das Gespräch fortführen, bis ich ihn auf einmal schlafatmen höre. Und inhaltlich habe ich nicht das Gefühl, dass er den Inhalt überhaupt aufgenommen hat, da dieser eben eher nervenaufreibend als einschläfernd war und ich insofern nicht verstehen kann, wie man darüber überhaupt an seiner Stelle einschlafen kann.
Ich weiß wegen alledem nicht mehr so recht weiter und frage mich, ob es so überhaupt Sinn macht, zu der Person weiter den Kontakt zu halten. Auch wenn es eigentlich traurig wäre, den Kontakt abzubrechen, da derjenige auf mich schon den Eindruck macht, als würde er sich über ein bisschen zwischenmenschliche Zuneigung freuen. Ich weiß nicht, ob sein Verhalten nur auf den Autismus zurückzuführen ist, und, auch wenn dem so ist, wie ich damit umgehen soll. Und ob er meine Worte und mein Handeln überhaupt als freundlich begreift und mich nicht als Befehlshaber sieht.
1 Antwort
Es kann schon sein, dass er dich eher als Respektsperson denn als Freund sieht, aber den Kontakt würde ich deswegen nicht gleich herunterfahren, sondern erst mal nach der Ursache suchen.
Ist es möglich, dass du ihm generell zu oft sagst, dass er etwas machen soll/muss? Dann ist es besser das als Wunsch oder Bitte zu formulieren, damit er das Gefühl hat, dass es trotz allem ihm überlassen bleibt, ob er dem nachkommt.
Ist Deine Stimme vielleicht zu forsch oder trittst du sehr bestimmt auf? Gerade frühkindliche Autisten sind sehr ängstlich oder eingeschüchtert und können ein solches (auch unbeabsichtigtes) Verhalten leicht überbewerten. Durch die veränderte Wahrnehmung kann das durchaus auch als bedrohlich empfunden werden.
Sind die Gesprächsthemen vielleicht zu anspruchsvoll für ihn? Wenn er außerdem noch eine geistige Behinderung hat, ist es sehr gut möglich, dass er nicht alles versteht und er dich generell als überlegene Autorität ansieht, mit der er nicht mithalten kann.
Oder es ist auch möglich, dass er Angst hat, dass Du nicht mehr kommst, wenn er "Befehle" verweigert, weil ihm Deine Besuche sehr viel bedeuten. Ich würde ihm oft sagen, das du ihn magst und ihn gerne besuchst. Es kann sein, dass ihm das nicht richtig bewusst ist. Aber gerade das muss für ihn klar erkennbar sein, wenn er dich als Freund wahrnehmen soll.
Lachanfällt gibt es bei Autisten sehr oft. Das hat aber selten etwas mit dem Gesprächsthema zu tun. Viele sind einfach nicht in der Lage, ihr Verhalten der aktuellen Situation anzupassen. Wahrscheinlich ist er eher auf Deinen Humor fokussiert als auf den Sachverhalt. an sich. Es muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass er den Ernst der Sache nicht versteht. Leider gibt es da sehr oft Missverständnisse, auch, weil diese "Anfälle" sehr lange anhalten können. Ich würde dem jetzt keine allzu große Bedeutung beimessen. Wahrscheinlich findet er es einfach witzig, wie du erzählst, unabhängig vom Thema.
Auf was ich defintiv verzichten würde, sind nächtliche Telefonanrufe. Ich kenne keinen Autisten, der Spaß daran hat, sich am Telefon zu unterhalten. Kann sein, dass es Ausnahmen gibt, aber viele (einschl. ich) empfinden das als stressig und können die Situation des anderen schlecht einschätzen. Ich selber kann mich dabei sehr schlecht konzentrieren und muss mir dabei ständig Notizen machen, deswegen nutze ich das Telefon nur, um etwas mitzuteilen oder etwas zu fragen. Wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, dann lasse ich auch lieber den Gesprächspartner reden, egal, wer es ist. Ansonsten bevorzugen viele Autisten eher E-Mails oder WhatsApp. Ich denke, dass der Junge damit einfach überfordert ist, nachts sowieso. Ich brauche auch meinen Rhythmus und die Nacht ist für mich nicht zum reden da. Schon klar, dass es bei Nicht-Autisten auch anders sein kann, aber in dem Fall ist es nicht ratsam.
Falls Du es noch nicht gemacht hast, ist es gut, wenn es feste Besuchszeiten gibt oder Besuche rechtzeitig vorher ankündigst. Autisten mögen es gerne vorhersehbar.
Ich denke schon, dass er davon profitiert, wenn Du den Kontakt aufrecht erhältst. Nicht-Autisten haben ja auch eine Vorbild-Funktion, an dessen Verhalten er sich orientieren kann, und von denen er lernt.
Er darf allerdingst nicht das Gefühl haben, dass Du irgendwelche Erwartungen an ihn hast, die er unbedingt erfüllen muss, weil ihm sonst Konsequenzen (wie z. B. Kontaktabbruch) drohen. Wahrscheinlich hat er wenig Kontakte und deswegen kann es ihm enorm wichtig sein, dass du regelmäßig kommst und gerne Zeit mit ihm verbringst, auch wenn er es nicht immer zeigen kann. Ich würde die Besuche auf jeden Fall beibehalten. LG
Danke für die ausführliche Antwort. Ich sage ihm regelmäßig, dass er zu nichts verpflichtet ist und dass wenn ich ihn um etwas bitte, er dem nicht Folge leisten muss. Leider liegen 120 km zwischen uns, sodass das mit dem persönlichen Treff statt Telefonaten leider mehr Wunschdenken ist. Momentan ist eine Phase, in der er selbst mehrmals am Tag bei mir anruft und auch formuliert, dass er sich gern persönlich treffen möchte. Daraus entnehme ich durchaus selbst, dass er mich wirklich mag. Es gibt aber eben auch Phasen, wo er völlig desinteressiert scheint. Außerdem kann er nicht richtig einschätzen, was Freunde sind, also er denkt teilweise, dass z. B. seine Frisöse oder seine Erzieher seine Freunde sind. Aber ich habe jetzt auch nochmal einige Ratgeber zum Umgang mit Autisten gelesen und kann das jetzt alles etwas besser einordnen. Leider, muss ich festhalten, muss man im Internet wirklich sehr lange suchen, um gute Infos zu bekommen, zumindest detaillierte.