wo fängt Autismus an?

2 Antworten

Autismus fängt dann an, wenn bei der Diagnose der "Cut-Off"-Wert erreicht bzw. überschritten wird. Auch müssen Differentialdiagnosen durchgeführt werden.

Inwiefern sollte man sich autistische Verhaltensweisen antrainieren? Damit würde man sich nur selbst ins Bein schießen.

Autismus und eine Sozialphobie zu unterscheiden ist in der Regel recht simpel:

  • Autismus ist angeboren, die ungewöhnlichen Verhaltensmuster zeigen sich nur meist erst ab dem 3. Lebensjahr. Eine Sozialphobie hingegen kann im Laufe des Lebens erworben werden.
  • Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, Sozialphobie eine, nun ja, Phobie.
  • Sozialphobie ist heilbar, Autismus nicht.
  • Sozialphobiker haben nicht - wie Autisten - mit Reizfilterstörungen, Overloads/Meltdowns/Shutdowns, Spezialinteressen (keine Inselbegabungen!), dem Verstehen von Mimik und anderer, non-verbaler Kommunikation usw. zu kämpfen.
  • Autisten haben perse keine Angst/Phobie vor anderen Menschen. Sie verstehen sie nur oftmals nicht.
  • Sozialphobiker betreiben kein (exzessives) Stimming bzw. sind nicht so sehr darauf angewiesen (Neurotypische Menschen betreiben ja auch Stimming, doch Autisten machen es oft intensiver und sind, wie schon erwähnt, mehr darauf angewiesen.)
  • Angst vor/Panik bzw. Verwirrung, Frustration usw. bei Veränderungen (Können schon für Außenstehende kaum Bemerkbare sein.)
  • Oftmals sehr eingeschränktes Essverhalten, besonders im Kindesalter.

Das waren ein paar Unterschiede, die mir aus dem Stehgreif eingefallen sind. Aber natürlich ist es auch möglich, Autismus und eine Sozialphobie zu haben. Autisten sind statistisch gesehen sehr anfällig für Angststörungen und Depressionen. (Allerdings nicht aufgrund des Autismus, sondern weil die Welt, in der wir leben, nun einmal nicht für Autisten gedacht ist.)

Korrekt - Jeder Autist ist unterschiedlich. Genau so, wie jeder neurotypische Mensch unterschiedlich ist und jeder Mensch mit irgendeiner anderen Störung/Behinderung/Krankheit. Wichtig ist - wie bereits erwähnt - der Cut-Off. Zumindest habe ich das so gelernt. Meine Diagnose ist auch bereits 13 Jahre her.

Dass Autisten keine Empathie haben ist übrigens sowas von falsch. Hatte ich letztens erst in einem Artikel gelesen. Von diesem Jahr war der! Ich dachte erst, der wäre von 2001.

Augenkontakt wird - zumindest von mir - bewusst und unterbewusst vermieden. Es hat aber auch nicht jeder Autist solch große Probleme damit bzw. betreibt halt Masking. (Was sehr schädlich sein kann. Muss aber auch jeder Autist für sich selbst entscheiden.)

Autisten und Sozialphobiker sträuben sich (meistens) beide gegen Augenkontakt, doch sind die Gründe dafür unterschiedlich:

Bei Sozialphobikern ist es Angst, Scham usw. Sie fürchten sich vor Ablehnung und Augenkontakt ist nun einmal etwas Intimes (mehr oder weniger).

Autisten haben perse keine Angst, sondern werden von den Informationen, die durch Augenkontakt vermittelt werden, oft so sehr überfordert, dass sie entweder wegschauen MÜSSEN, oder sie zwingen sich dazu, weiter zu machen, können sich dabei allerdings nicht mehr so gut auf das Gesagte konzentrieren. Auch tun sie sich schwer damit, abzuschätzen, wie viel Augenkontakt nun akzeptabel ist. Manche Autisten starren einen sogar regelrecht an. Es geht also tatsächlich auch in die andere Richtung.

Nimm also einen Autisten mit Sozialphobie (aka. mich) und du hast eine "lustige" Kombination.

Ob es immer möglich ist, ist schwer zu sagen. Theoretisch ja, praktisch kommt es sicherlich auf die einzelnen Umstände an. Ich sage es mal so: Je jünger der/die zu Diagnostizierende ist, desto besser. Wichtig ist auch die - meist sehr lange - Suche nach einem geeigneten Psychiater. Auch heute noch kennen sich viele Psychiater nicht gut genug mit Autismus aus, der Cut-Off ist eher an Jungs/Männer gerichtet ... (Daher auch der Mythos, Jungs/Männer wären häufiger von Autismus betroffen als Mädchen/Frauen. Nicht zwingend. Autistinnen bekommen ihre Diagnose - wenn überhaupt - nur meist erst viel später.) Die Suche nach einem Psychiater mit genügend Kenntnissen in der Thematik hatte bei mir ungefähr 6/7 Jahre gedauert. (Meine Diagnose bekam ich mit 10 rum.) Hat man Glück und findet so jemanden - nicht die langen Wartezeiten und die Aufnahmestopps vergessen -, ist die Wahrscheinlichkeit, die Diagnose zu bekommen (oder eben nicht zu bekommen, oder eine völlig andere Diagnose zu bekommen) wesentlich höher als beim nächstbesten Psychologen etc. Keine Garantie, versteht sich.

Auch Erwachsene können sich in eine Autismustherapie begeben. Hier ist jedoch zwischen der Art von Therapie zu entscheiden, welche die Autisten wirklich in ihrem weiteren Leben unterstützen möchte, OHNE deren autistische Merkmale zu bestrafen/verbieten und der, deren Ziel es ist, Autisten so neurotypisch erscheinen zu lassen wie möglich. (Rate mal, welche Form davon schädlicher für den Betroffenen ist.)

Ob es andere Menschen stören würde ... Das käme ganz auf die Menschen an, mit denen man sich umgibt.

Autismus macht auch einen großen Teil des eigenen Charakters aus. Ein Autist, ohne seine autistischen Merkmale (der dann also kein Autist mehr wäre - logisch), wird ganz anders sein als mit diesen Merkmalen. Es sind nicht nur "hier und da ein paar Macken". So viel würde sich verändern. Das sehen viele Leute gar nicht. Die Vergangenheit prägt einen auch sehr und die kann man nicht einfach so ausradieren - Was bei Autismus natürlich auch nicht möglich ist. Wie gesagt: ist nicht heilbar.

Bin ein bisschen durcheinander gekommen ... Eine Autismusdiagnose ist schon meist schwieriger bei Erwachsenen, als bei Kindern. Nicht zuletzt, weil man nicht selten als Psychiater keine oder nur sehr wenige Bezugspersonen des Betroffenen befragen kann. (Das ist essenziell für die Fragebögen die während so einer Diagnose verteilt werden) Bei Kindern/Jugendlichen ist das viel einfacher. Die Eltern bzw. Bezugspersonen wissen in der Regel ziemlich genau, wie sich das Kind im Kindergarten benahm, welche Auffälligkeiten es gab usw. Je älter man wird, um so schwieriger wird das natürlich.

Die Diagnose bei Erwachsenen besteht vielmehr aus Reden. Einem "Interview". Reden, reden, reden. Da muss man nicht selten einige Jahrzehnte zurückdenken.

Meinst du einen Online-Test oder eine Diagnose? Also ein Online-Test lohnt sich kaum. Den kann man zum Zeitvertreib machen. Eine richtige Diagnose lohnt sich dann, wenn man bei sich selbst (oder seinem Kind) einige autistische Verhaltensmuster erkennen konnte.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

lisakk 
Beitragsersteller
 25.12.2021, 21:43

Danke für die Antwort.

Also eine Sozialphobie habe ich auf jeden Fall.

Habe auch Angst vor Menschen und davor mich zu blamieren.

Bin auch im Gespräch sehr auf mich bezogen ( wie wirke ich, verhalte ich mich angemessen).

Die Sozialphobie könnte sich bei mir natürlich auch durch Mobbing und andere nicht erkannte gesundheitliche Probleme entwickelt haben.

Mehrere Psychologen bei denen ich war haben Autismus als Diagnose ausgeschlossen.

Aber das waren eben auch keine auf Autismus spezialisierten Psychologen.

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Zitruseulchen  26.12.2021, 00:11
@lisakk

Ja, Mobbing ist ein häufiger - wenn nicht sogar der häufigste - Grund für eine Sozialphobie.

Deshalb ist es wichtig, jemanden zu finden, der darauf spezialisiert ist.

Aber sag mal: Was für Verhaltensmuster hast du denn deiner Meinung nach, die auf Autismus hindeuten könnten?

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Wann fängt Autismus genau an und wann handelt es sich nur um autistische Züge? Und woran erkennt man das entsprechendes Verhalten nur antrainiert ist? Wie ist Autismus von einer extrem starken Sozialphobie zu unterscheiden?

Eine Autismusspektrumstörung (ASS) wird nicht per Differentialdiagnostik diagnostiziert.

Das bedeutet: Die Symptome zu zeigen reicht noch nicht, damit ein Arzt die Diagnose gesichert stellen kann. Was ausschlaggebend für eine Diagnose ist, wird im ICD klassifiziert.

Der häufigste hierzulande verwendete Test für eine ASS ist der ADOS-Test (Diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen). Dir werden im Verlauf dieses Test eine Reihe von Aufgaben gestellt und dein Verhalten ausgewertet, in Punkte übersetzt und diese mit den durchschnittlichen Punkten eines NT-Menschen (Neurotyp, d.h. nicht-autistisch), eines Autisten und eines Menschen im ASS Spektrum verglichen.

Das Ganze sieht dann in der Auswertung in etwa wie folgt aus:

Modul 1: Kommunikation. (stereotyper, eigentümlicher Gebrauch von Worten oder Sätzen/ Konversation/ deskriptive, konventionelle, instrumentelle oder informative Gesten/ empathische oder emotionale Gesten)

Ermittelter Wert: X

Cut-Off-Wert für ASS: 2

Cut-Off-Wert für Autismus: 3

Modul 2: Wechselseitige soziale Interaktion. (...

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Und so weiter und so fort.

Anhand dieses Tests lässt sich eben ermitteln, ob man neurotyp ist, autistische Züge hat, oder im ASS Spektrum liegt. Achtung, bei diesem Test sind autistische Züge gleichbedeutend mit ASS; in der Fachsprache ist dies aber einfach das Wort für sämtliche autistische "Störungen".

Oft wird auch fehlender Augenkontakt genannt. Wird dieser bewusst oder unbewusst vermieden?

In der Regel bewusst - wobei es schon als eine Art Zwangshandlung angesehen werden kann. Der autistischen Person ist bewusst dass sie dies tut, sie fühlt sich aber meist auch dazu genötigt, da Blickkontakt z.B. zu starker Anspannung, oder in extremen Fällen sogar physischem Schmerz führt.

Ist es überhaupt immer möglich Autismus zu diagnostizieren? Oder wird das im Erwachsenenalter schwierig? Und es kommt eher zu dem Ergebnis: kann Autismus sein , kann aber auch kein Autismus sein?

Die Diagnose wird im Erwachsenenalter natürlich schwieriger, da man sich dann meist schon an gewöhnt hat "eine Maske zu tragen" (d.h. die Verhaltensweisen von NT-Menschen unbewusst zu imitieren). Aber eine Diagnose durch einen Spezialisten ist natürlich möglich und auch i.d.R. immer erfolgreich.

Können Erwachsene überhaupt noch therapiert werden? Oder wirkt das Verhalten dann unnatürlich und antrainiert und stört andere Menschen?

Autismus kann gar nicht therapiert werden, da es keine behandlungsbedürftige Erkrankung ist. Es ist nur möglich auf individuelle Probleme die durch die Symptomatik entstehen einzugehen. (Das können Depressionen, Stress, starke Anspannung, starker sozialer Stress, etc. pp. sein.)

Wenn man versucht sich zu verstellen, anstatt zu lernen mit seinem Verhalten klarzukommen und zu akzeptieren, dass man eben ein bisschen anders ist, dann wird es anfangs natürlich auf einige Außenstehende Menschen komisch wirken. Meiner Meinung nach (und auch der Meinung der meisten Psychiater nach) ist es aber dämlich zu versuchen die Symptome einer ASS zu unterdrücken; man sollte lieber versuchen zu lernen damit zu leben und wie bereits gesagt, symptomatisch und individuell abgestimmt zu behandeln.

Wann macht es Sinn einen Test zu machen?

Wenn man in einem Symtomfragebogen (kannst du beim Hausarzt machen) einen bestimmten Wert erreicht hat. Äußere doch einfach Mal deine Bedenken gegenüber deinem Arzt, dieser wird dich dann ggf. an einen Spezialisten überweisen.

Ich hoffe das hier bringt dir ein bisschen Klarheit!

LG