Unterschied zwischen Demokratie und Politie( Aristoteles)?

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Aristoteles, Πολιτικά (Politik; Politische Schriften; lateinischer Titel: Politica) ist das Werk, in dem die Unterscheidung dargelegt wird.

Aristoteles hat verschiedene Staatsformen/Verfassungsformen unterschieden.

Unterschied zwischen Demokratie und Politie bei Aristoteles

Politie hat bei Aristoteles zwei unterschiedliche Bedeutungen:

1) gute Form der Demokratie

2) Mischverfassung

In Fall 1) ist Politie eine gute Form von Demokratie im Gegensatz zur schlechten Form, der äußersten/extremen Demokratie.

In Fall 2) ist Demokratie eine einzelne Verfassung/Staatsform in Reinform, Politie eine Mischverfassung (aus Elementen/Bestandteilen verschiedener einzelner Verfassungen/Staatsformen – darunter der Demokratie – gemischt).

Allgemeinwohl/gemeinsamer Nutzen und Gesetzlichkeit/Regieren nach dem Gesetz sind Maßstab bei der Unterscheidung zwischen richtigen Verfassungen und Entartungen/Abweichungen/Fehlformen (παϝεκβάσεις).

Schlechte Formen der Herrschaft sind durch eigensüchtiges Streben der Herrschenden nur nach ihrem eigenen Vorteil und Ungesetzlichkeit gekennzeichnet. Dazu gehören die (äußerste/extreme) Demokratie, schlimmer die Oligarchie und am schlimmsten die Tyrannis. Demokratie (δημοκϝατία [demokratia])ist eine Entartung/Abweichung/Fehlform (παϝέκβασις) der Politie, Oligarchie (ὀλιγαϝχία [oligarchia]) eine der Aristokratie(ἀϝιστοκϝατία [aristokratia]) und Tyrannis (τυϝαννίς) eine der Monarchie (μοναϝχία [monarchia])/des Königtums (βασιλεία [basileia]).

. Was Aristoteles „(äußerste/extreme) Demokratie“ nennt, ist nach seinem Urteil eine Herrschaft der vielen Freien und Armen, zu Ungunsten der Tüchtigen und Wohlhabenden.

In der Demokratie sind im Vergleich zur Politie die Gleichheit und die politische Macht der Armen größer.

Bei der politischen Lehre des Aristoteles ist zu unterscheiden:

1) bester Staat in den meisten Fällen hinsichtlich gegebener konkreter Bedingungen/Verhältnisse/Umstände (Buch 4)

2) bester Staat, der überhaupt zu verwirklichen ist (Buch 7 – 8)

Für die beste Verfassung überhaupt (von konkreten Umständen unabhängig betrachtet) hält Aristoteles eine an Allgemeinwohl und Gesetzlichkeit orientierte Herrschaft einer Elite (des Besten bzw. der Besten), also eine Monarchie oder Aristokratie (Buch 7 und 8). Aristokratie meint mit Aristokratie Herrschaft der Besten (nicht Herrschaft des Adels/der ihrer Herkunft nach Vornehmsten).

Aristoteles überlegt, welche Verfassung unter gegebenen Verhältnissen in der Praxis am geeignetsten und stabilsten ist. In dieser Hinsicht ist die beste Verfassung für die Mehrzahl der Staaten und Menschen eine Mischverfassung, die „Politie“ genannt wird (altgriechisch πολιτεία, was „Verfassung“ bedeutet und damit der Oberbegriff ist; diese Verfassungsform hat also im Grunde keinen besonderen eigenen Namen; das Wort könnte auch mit „Bürgerstaat“ wiedergegeben werden). Die Politie hält Aristoteles nicht für eine ideale Verfassung, die beste Staatsform überhaupt, aber für die unter dem Gesichtspunkt praktischer Verwirklichung meistens empfehlenswerte. Die Politie kombiniert bei der Einrichtung der politischen Funktionen (Besetzung von Ämtern und Ähnliches) klug Elemente/Bestandteile der einzelnen Verfassungen.

Die Politie ist in der Hauptsache eine Mischung aus den Grundformen Demokratie (Herrschaft des Volkes) und Oligarchie (Herrschaft weniger). Die Beamten/Amtsinhaber sollen gewählt werden, nicht für die meisten Ämter unter allen Bürgern ausgelost wie in der Demokratie. Das Wahlrecht soll nicht oder nur geringfügig eingeschränkt sein (z. B. durch die Anforderung eines Mindestbesitzes). Die Politie ist eine Verfassung mit einiger Bandbreite, weil die genaue Art der Mischung unterschiedlich sein kann. Der Tendenz nach geht die Mischung eher etwas in Richtung Demokratie als Oligarchie.

Die Politie sucht den Ausgleich zwischen einer reichen Führungsschicht und einer armen Menge, fördert zu diesem Zweck die Mittleren (eine Bezeichnung, die eine sozialen Gesichtspunkt hat, bei dem die Mittleren eine Mittelschicht sind, und eine ethischen Gesichtspunkt, bei die Mittleren die auf die richtige Mitte ausgerichteten Leute sind) und ist eine auf Freundschaft beruhende Gemeinschaft freier Menschen mit der Mitte als maßgebender Richtlinie (4, 11- 13)


Albrecht  21.12.2013, 08:05

In Büchern gibt es ausführlichere Darstellungen, z. B. (mit Hinweisen auf weitere Literatur):

Wolfgang Detel, Aristoteles. Originalausgabe. 1. Auflage. Leipzig : Reclam, 2005 (Reclams Universal-Bibliothek ; Bd. 20301 : Grundwissen Philosophie), S. 106 - 124

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 231 – 234 und S. 303 – 316

Otfried Höffe, Aristoteles. Originalausgabe 3., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 535), S. 255 – 273

Ada Neschke-Hentschke, Die uneingeschränkt beste Polisordnung (VII – VIII). In: Aristoteles, Politik. Herausgegeben von Otfried Höffe.2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademieverlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band 23), S. 147 - 162

Kristina Reisch, Aristoteles. Politika. In: Großes Werklexikon der Philosophie. Herausgegeben von Franco Volpi. Stuttgart : Kröner, 1999. Band 1: A – K, S. 86 – 88

Eckhard Schütrumpf, Verfassungen und politische Institutionen (IV 1- 6). ). In: Aristoteles, Politik. Herausgegeben von Otfried Höffe.2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademieverlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band 23), S. 105 - 118

Eckhard Schütrumpf, Politische Schriften. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 147 – 154

Eckhard Schütrumpf, Polis. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 303 - 307

Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens : von den Anfängen bei den Griechen bis auf unsere Zeit, Band 1: Die Griechen. Teilband 2: Von Platon bis zum Hellenismus. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, S. 171 - 223

Michael Becker, Demokratie und politische Legitimität. In: Michael Becker/Johannes Schmidt/Reinhard Zintl. Politische Philosophie. 2., durchgesehene Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich, 2009 (UTB ; 2816 Grundkurs Politikwissenschaft), S. 259 – 272

S. 269: „Nach den Ausführungen in Buch IV, 8 – 9 ist die Politie die für die meisten Staaten und Menschen, also die durchschnittlich beste Verfassung. Vom Namen her ist die Politie zwar mit dem ganz unspezifischen Begriff einer „Verfassung überhaupt“ identifiziert, aber in dem weiter gebrauchten Sinn ist sie zu verstehen als die „gute“ Herrschaft der Vielen.

Was zunächst wieder den eher technisch-institutionellen Aspekt angeht, sind in einer „guten“ Politie Elemente der damals verbreiteten („schlechten“) Herrschaftsformen, der Demokratie und der Oligarchie gemischt – von daher rührt die Kennzeichnung als Mischverfassung. Oligarchische und demokratische Elemente lassen sich allerdings unterschiedlich zusammensetzten; z. B. so, daß Bestimmungen aus beiden Verfassungsformen übernommen werden und nebeneinander bestehen blieben oder so ,daß die Mitte zwischen beiden unterschiedlichen Anforderungen für die Politie als angemessen betrachtet wird (daß etwa für die Beteiligung an der Volksversammlung ein nicht zu hoch angesetztes Mindestvermögen Voraussetzung, so daß sie vielen, nicht allen zugänglich ist), oder aber so, daß in einer Regelung Elemente aus beiden kombiniert werden (daß Beamte, wie in der Oligarchie, gewählt und nicht gelost werden, daß dabei aber Besitz keine Rolle spielt).“

S. 270: „Darüber hinaus hat sie aber auch noch einen nicht extremen Volkstypus zur Voraussetzung, in dem die „Mittleren“ die größte Zahl stellen. Und dies bedeutet wiederum zweierlei: erstens bedarf es derjenigen Bürger, die weder übermäßig reich noch übermäßig arm sind; zweitens aber sind auch diejenigen Bürger vonnöten, die in ethischer Hinsicht in der Lage sind, die Mitte zu wählen. Die Politie ruht idealerweise in dieser Mittel-Schicht und ist deshalb sowohl vor demokratischen Revolutionen als auch vor oligarchischen Unruhen geschützt.“

S. 272. „Hinzukommt, daß sich dieses Vertrauen der Bürger aufgrund ihres ähnlichen, nämlich „mittleren“ Charakters“ und ihrer vergleichbaren materiellen Situation leichter einstellen kann. In der Politie nimmt die Beziehung der Bürger untereinander folglich den Charakter einer Kameradschaft unter Brüdern oder Geschwistern an.“

„Dieses freundschaftliche Verhältnis, das auf dem jeweiligen Wohlwollen beruht, ist ein wesentlicher Faktor der Stabilität der Politie, weil eine weit verbreitete vertrauensvolle Einstellung wiederum zuträglich für das Funktionieren der politischen Institutionen ist.“

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