Pflichtethik nach Kant?

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Unter einem moralisch guten Menschen versteht Immanuel Kant einen Menschen, dessen praktische Grundsätze von einem guten Willen bestimmt sind.

Es gibt nach Auffassung Immanuel Kant eine Pflicht zur Hilfe für andere, aber nicht eine Hilfe zu einem beliebigen Zweck und unter beliebigen Umständen, sondern eine Pflicht zur Wohltätigkeit als Hilfe in der Not zugunsten eines Menschen, der auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Diese Pflicht besteht für einen Menschen, der die Fähigkeit und die Mittel zum Helfen hat.

Immanuel Kant vertritt eine Pflichtethik. Mit Pflicht ist dabei nicht etwas gemeint, das von außen durch Autorität als Vorschrift auferlegt wird, sondern eine innere Bindung eines vernunftbegabten Wesens an etwas, das von der Vernunft bestimmt ist und eingesehen wird. Bei Kant bedeutet Pflicht die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung vor dem (moralischen) Gesetz.

Geprüft werden Maximen des Handelns. Eine Maxime ist ein subjektiver Grundsatz. Es geht um praktische Grundsätze, die allgemeine Bestimmungsgründe des Wollens/allgemeine Willensbestimmungen sind.

Eine Maxime, die nicht widerspruchsfrei als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gedacht und gewollt werden kann, ist vernunftwidrig und sittlich/moralisch verboten, eine widerspruchsfreie erlaubt.

Hilfe/Beistand für andere in der Not zu verweigern (eine Maxime der Verweigerung wäre ein Unterlassen von Hilfeleistung, weil jemand keine Lust hat, für jemand etwas beizutragen, der mit großen Mühseligkeiten zu kämpfen hat) kann nach Auffassung von Kant nicht widerspruchsfrei als Teil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gewollt werden. Denn dann wäre auch eine Hilfe anderer im Fall eigener Hilfsbedürftigkeit ausgeschlossen.

Es gibt eine Tugendpflicht der Wohltätigkeit. Liebe als allgemeine Menschenliebe hat als Grundsatz ein Wohlwollen, das Wohltun zur Folge hat. Achtung hat als Grundsatz eine Einschränkung unserer Selbstschätzung, durch die Würde der Menschheit in eines anderen Person.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785; 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 423/BA 56 - 57:

„Noch denkt ein vierter, dem es wohl geht, indessen er sieht, daß andere mit großen Mühseligkeiten zu kämpfen haben (denen er auch wohl helfen könnte): was geht's mich an? mag doch ein jeder so glücklich sein, als es der Himmel will, oder er sich selbst machen kann, ich werde ihm nichts entziehen, ja nicht einmal beneiden; nur zu seinem Wohlbefinden, oder seinem Beistande in der Not, habe ich nicht Lust, etwas beizutragen! Nun könnte allerdings, wenn eine solche Denkungsart ein allgemeines Naturgesetz würde, das menschliche Geschlecht gar wohl bestehen, und ohne Zweifel noch besser, als wenn jedermann Von Teilnehmung und Wohlwollen schwatzt, auch sich beeifert, gelegentlich dergleichen auszuüben, dagegen aber auch, wo er nur kann, betrügt, das Recht der Menschen verkauft, oder ihm sonst Abbruch tut. Aber, obgleich es möglich ist, daß nach jener Maxime ein allgemeines Naturgesetz wohl bestehen könnte: so ist es doch unmöglich, zu wollen, daß ein solches Prinzip als Naturgesetz allenthalben gelte. Denn ein Wille, der dieses beschlösse, würde sich selbst widerstreiten, indem der Fälle sich doch manche ereignen können, wo er anderer Liebe und Teilnehmung bedarf, und wo er, durch ein solches aus seinem eigenen Willen entsprungenes Naturgesetz, sich selbst alle Hoffnung des Beistandes, den er sich wünscht, rauben würde.”

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Zweiter Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Ethische Elementarlehre. Zweiter Teil. Von den Tugendpflichten gegen Andere. Erstes Hauptstück. Von den Pflichten gegen Andere, bloß als Menschen. Erster Abschnitt. Von der Liebespflicht gegen andere Menschen. A. Von der Pflicht der Wohlthätigkeit. § 30. AA VI, 453:

„Wohltätig, d.i. anderen Menschen in Nöten zu ihrer Glückseligkeit, ohne dafür etwas zu hoffen, nach seinem Vermögen beförderlich zu sein, ist jedes Menschen Pflicht.

Denn jeder Mensch, der sich in Not befindet, wünscht, daß ihm von anderen Menschen geholfen werde. Wenn er aber seine Maxime, anderen wiederum in ihrer Not nicht Beistand leisten zu wollen, laut werden ließe, d.i. sie zum allgemeinen Erlaubnisgesetz machte: so würde ihm, wenn er selbst in Not ist, jedermann gleichfalls seinen Beistand versagen, oder wenigstens zu versagen befugt sein. Also widerstreitet sich die eigennützige Maxime selbst, wenn sie zum allgemeinen Gesetz gemacht würde, d.i. sie ist pflichtwidrig, folglich die gemeinnützige, des Wohltuns gegen Bedürftige, allgemeine Pflicht der Menschen und zwar darum: weil sie als Mitmenschen, d.i. bedürftige, auf einem Wohnplatz durch die Natur zur wechselseitigen Beihülfe vereinigte vernünftige Wesen anzusehen sind.“

Die Maxime, zum Wohlbefinden eines anderen nichts beitragen oder ihm keinen Beistand in der Not zu leisten, wenn jemand keine Lust hat, einem anderen zu helfen, kann widerspruchsfrei gedacht werden. Denn mit dieser Denkungsart als allgemeines Naturgesetz wäre ein Bestehen des Menschengeschlechts nicht denkunmöglich.

Die Maxime kann aber nicht widerspruchsfrei als allgemeines Naturgesetz gewollt werden.

Niemand kann völlig ausschließen, irgendwann Hilfe/Beistand nötig zu haben. Mit einer Maxime, die eine Pflicht zu Hilfe/Beistand ablehnt, als allgemeines Gesetz würde sich jemand der Hoffnung auf Hilfe/Beistand für einen solchen Fall berauben.

Ein Mensch wünscht sich aber vernünftigerweise Hilfe/Beistand für einen solchen Fall.

Ein Wille, der die Maxime beschließt, widerstreitet sich selbst. Die Maxime kann nicht widerspruchsfrei gewollt werden.

Vernunftbegabte Wesen, die zugleich Naturwesen sind (wie die Menschen), haben Bedürfnisse und benötigen Mittel, sind aber nicht allmächtig. Daher ist es für kein solches Wesen ausgeschlossen, irgendwann einmal Hilfe dafür zu benötigen, elementare Bedürfnisse zu befriedigen und lebenssichernde Dinge zu bekommen. Hilfe ist in einer Notlage der Inbegriff der Mittel zu einer Befreiung/Rettung aus der Notlage.

Etwas zu wollen bedeutet, Ziele zu haben und ihr Erreichen zu verfolgen, also Mittel zur Verwirklichung einsetzen zu wollen. In einer Notlage bedeutet Hilfe/Beistand die Möglichkeit, elementare Bedürfnisse zu befriedigen und lebenssichernde Dinge zu bekommen.

Der Wille eines vernunftbegabten Wesen gerät bei der Maxime in einen Widerspruch mit sich selbst. Es ist widersprüchlich, die Befriedigung elementare Bedürfnisse und das Bekommen lebenssichernder Dinge als Ziele zu haben, aber zugleich ein allgemeines Gesetz/eine allgemeine Naturordnung zu wollen, nach der die einzige Möglichkeit/der einzige Weg zum Erreichen/zur Verwirklichung der Ziele ganz grundsätzlich abgelehnt/verweigert wird.

Hallo NekoMinYoongi

Nur wenn du willst das es alle, unter allen Umständen tun und bei widerhandlung weg gesperrt werden..

Dann gibt's aber viele Pflicht-Suizide ^^

Lg,

Lacrimis

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Selbst aktiv beobachtet über viele Jahre; belesen