Liebe Schweizer, liebe Schwarmintelligenz,
ich bin seit drei Monaten beruflich in der Schweiz beheimatet und werde dies noch bis zum Sommer 2024 bleiben. Danach ist das Projekt beendet und ich gehe zurück nach Deutschland.
Grundsätzlich möchte ich als Einleitung sagen, dass ich die Schweiz sehr mag. Ich mag die Menschen, die Küche, die Systeme. Mir erscheinen die Schweizer nicht fremd, genau so wenig wie die Österreicher. Aufgrund der (Basis-) Sprache vermutlich und der damit verbundenen Ähnlichkeiten. In Luxembourg fühle ich mich z.B. "fremder" als in der Schweiz.
Ich lebe derzeit in Zürich und muss immer mehr feststellen, dass mir Menschen im Alltag aus dem Weg gehen, sobald sie merken, dass ich das Zürichdeutsch noch nicht vollumfänglich beherrsche. An internationalen Orten, wie dem Flughafen, komme ich problemlos durch. In alltäglichen Situationen, wie z.B. im Supermarkt, entstehen jedoch keine kurzen Konversationen, sobald man merkt, dass ich Hochdeutsch spreche.
Neulich benötigte ich einen Arzttermin, habe in der Praxis angerufen, um einen Termin zu vereinbaren. Ich begrüßte die Dame freundlich, schilderte kurz meine Absicht und es wurde ohne weiteres aufgelegt. Meine Nachbarn im Haus sind zwar grundsätzlich freundlich, reduzieren ihre Kommunikation zu mir aber auf das Mindeste. Auf der Arbeit werde ich zwar akzeptiert und mir wird freundlich begegnet, aber eine tiefere Freundschaft entsteht dort nicht.
Mir ist klar, dass es aus menschlicher Sicht hin und wieder nicht passt. Aber auf so breiter Front ist mir dies noch nicht begegnet. Eine Kollegin, die etwas offener als die anderen ist, meinte zu mir, dass erwartet werde, dass ich zumindest versuche, Zürichdeutsch zu lernen. Es sei ein Zeichen des Respektes.
Zum Verständnis: Ich verstehe Zürichdeutsch inzwischen sehr gut. Aus Höflichkeit und Respekt versuche ich es inzwischen auch zu sprechen, das klingt aber extrem bescheuert und die Menschen schauen mich fragend an. Aus Gründen der Peinlichkeit (oder Höflichkeit mir gegenüber) wechselt das Gegenüber dann meist ins Hochdeutsch (oder ins Englisch, neulich in einem Restaurant geschehen). Daraus entsteht dann aber nichts. Mir ist nur eine Situation erinnerlich, wo dies mal anders war: An einer Bushaltestelle machte ein Busfahrer kurz Pause und beklagte sich über den Verkehr in Zürich. Ob es ihm egal war, dass ich Hochdeutsch spreche oder einfach nur mit mir sprach, weil gerade sonst kein anderer da war, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall tat es gut, einfach mal eine leichte Konversation zu betreiben. Auch wenn es nur über den Verkehr in Zürich war. Es ist traurig, wie sehr ich diese Konversation genoss.
Leute, ich bin echt verzweifelt. Ich gehe täglich 8 bis 10 Stunden zur Arbeit, habe dort nur berufliche Konversationen, und sitze dann allein zu hause rum. Ich will nicht rumheulen und habe auch lange überlegt, ob ich dass hier wirklich schreiben möchte, aber so langsam vereinsame ich in Zürich. Es wäre schön, wenn mal etwas tieferes entstehen und man vielleicht Abends mal was trinken gehen könnte. Oder was essen. Oder irgendwas.
Ich will den Schweizern ja nichts. Ich beabsichtige nicht, für immer dort zu bleiben und die schweizerische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Ich greife auch keine Gelder ab, werde ganz normal von meinem deutschen Arbeitgeber bezahlt. Aber für mich ist der Sprachgebrauch von Zürichdeutsch in etwa so schwer zu erlenen, wie für einen Zürcher das Plattdüütsch.
Da ich mir kaum vorstellen kann, dass ich seit drei Monaten schlicht an die falschen Menschen geraten bin, frage ich mich, ob es eine gewisse Abneigung gegenüber der hochdeutschen Sprache oder dem Deutsch sein an sich gibt.