Ist Pragmatismus eine Form des Egoismus? Bzw worin unterscheiden sich die beiden Philosophien?
Meine Freundin und ich hatten heute eine interessante Diskussion zu Pragmatismus und Egoismus. Jedoch mussten wir feststellen, dass wir die Grenze zwischen den beiden Philosophien kaum ziehen konnten. Sie äußerte den Gedanke, dass Pragmatismus und Egoismus doch ineinenander gehen.?!? Nun haben wir ein heilloses Durcheinander 😅
3 Antworten
Nein. Der Gegensatz von Pragmatismus ist Dogmatismus, auch als Prinzipienreiterei benannt.
Es gibt nicht nur pragmatische Egoisten, sondern auch sowohl pragmatische Altruisten als auch dogmatische Egoisten.
Ein Dogmatiker entscheidet nach Prinzipien, also nach Regeln, die er für sich mal aufgestellt hat. Ein Pragmatiker lehnt starre Regeln und Prinzipien und Regeln ab, er entscheidet durch Abwägung je nach Situation. Man könnte auch sagen, ein Dogmatiker entscheidet digital, ein Pragmatiker analog.
Egoisten und Altruisten unterscheiden sich in Zielen und Werten, aber unabhängig von der Art der Entscheidungsfindung.
Hallo steffi61012,
stelle dir vor, du hast einen dringenden Termin – etwa eine Prüfung. Auf dem Weg dorthin verunglückt vor dir ein Kind mit seinem Roller.
Pragmatisch betrachtet stehen zwei Handlungsziele im Konflikt miteinander: Termin wahrnehmen oder dem Kind helfen.
Entscheidest du dich für deinen Termin, wendest du dich pragmatisch dem egoistischen Ziel zu, hilfst du dem Kind entscheidest du dich - pragmatisch? - für ein altruistisches Ziel.
Da der Pragmatismus immer auf das zielführende Handeln ausgerichtet ist und der Pragmatiker dabei sich wohl meist an seinen eigenen Zielen orientiert, schätze ich, dass bei „rein pragmatisch“ denkenden Menschen der Egoismus im Vordergrund steht. Im genannten Fall wäre für einen ichbezogenen Pragmatiker das helfende Eingreifen nur dann angesagt, wenn es mit einem persönlichen materiellen Vorteil verbunden wäre.
Das Erleben der Verbundenheit mit anderen Menschen und die Freude helfen zu können sind mit einer radikal pragmatischen Orientierung wohl kaum vereinbar.
Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass eine radikal pragmatische Sichtweise dem Egoismus näher steht als dem Altruismus.
Herzlichen Dank für deine interessante Kommentierung!
Du schreibst:
Beim Pragmatismus geht es weniger um ein Ziel, als um das Entscheiden durch situatives Abwägen statt nach Regeln oder Prinzipien.
Bei den Regeln und Prinzipien hast du - vermute ich - von außen vorgegebene Normen im Blick. Dann wird ein situatives Abwägen durch Prinzipienreiterei unterdrückt.
Nun habe ich - wohl mit meinem störrischem Hang zum Spirituellen - noch eine andere Motivierung meines Handelns im Sinn. Fern von jeder pragmatischen Abwägung bin ich ein Handelnder. Am Beispiel: Wenn das Kind gestürzt ist handle ich ohne rationales Kalkül.
Ich meine, dass wichtige Lebensentscheidungen nach diesem Motto: "Hier stehe ich und kann nicht anders" erfolgen.
Der Pragmatiker ist stets darauf bedacht, seine Entscheidungen vernunftgemäß zu treffen.
Mit dem Ahnen des "Darüberhinaus" im Rücken gerät leicht auch mal das Ego ins Wanken. Die Selbstaufgabe kann aber auch ein Schritt ins Leben sein.
Aber ich weiß - da stehe ich auf schwankendem Boden ;-)
Wenn das Kind gestürzt ist handle ich ohne rationales Kalkül.
Ich würde auch erstmal anhalten und nach dem Kind sehen. Das erfolgt aus meinem Verantwortungsgefühl. Es steht aber nicht im Widerspruch zum Abwägen oder zur Vernunft.
Zum Abwägen muss ich ja auch die Situation erfassen. Hat es nur ein paar Schrammen und braucht nur ein paar tröstende Worte? Oder muss es schnellstens ins nächste Krankenhaus? Wenn ja, einen Krankenwagen rufen oder es selbst hinbringen, wenn ich weiß, wo es ist? Sind andere Menschen da, die dem Kind helfen können und wollen? Sind seine Eltern in der Nähe? Wenn solche Fragen geklärt sind, kann ich mich getrost auch wieder meinen eigenen Problemen widmen.
Natürlich ist mein Satz "Wenn das Kind gestürzt ist handle ich ohne rationales Kalkül." zunächst einmal unsinnig. Das hast du mit deinen Überlegungen deutlich gemacht.
Mir ging es allerdings darum, dass es auch intuitiv gesteuerte Entscheidungen gibt.
Wenn ich einer plötzlichen Eingebung folgend zu einem Freund fahre und dann erlebe, dass er dringend meine Hilfe braucht, dann stehen auch vernünftige Überlegungen an, wie ich am besten helfen kann.
Ich gebe zu, dass ich Pragmatismus eher mit einer egozentrischen Handlungsweise in Zusammenhang bringe.
Wenn z.B. Ministerin Julia Klöckner die gesetzeswidrige, entsetzliche Quälerei der Säue in der Kastenhaltung nun legalisieren will, dann orientiert sie sich sehr pragmatisch an den ökonomischen Zwängen der Schweinezuchtbetreiber.
Aber sicher könnte man sich auch sehr pragmatisch für ein "tierwürdiges" Leben in der Landwirtschaft einsetzen.
Ein Pragmatismus aus der Sicht der Säue - das wär`s!
Die beiden Dinge haben mal so absolut gar nichts miteinander zu tun und sind auch nicht vergleichbar. Das ist als müsstest du den Kaugummigehalt von Fleisch und unserer Sonne in Referenz stellen.
Beim Pragmatismus geht es weniger um ein Ziel, als um das Entscheiden durch situatives Abwägen statt nach Regeln oder Prinzipien. Die eigenen Ziele oder besser Werte können durchaus auch altruistisch und solidarisch sein.
Im dem von dir beschrieben Fall würde ich als pragmatischer Altruist abwägen zwischen dem, was meine mögliche Hilfe für das Kind bedeutet, und dem, was eine Verspätung für mich bedeutet. Je nach Umständen kann die Entscheidung unterschiedlich ausfallen. Wenn ein Kompromiss möglich ist, würde ich ihn aber auf diese Weise finden.
Ein dogmatischer Altruismus grenzt an Selbstaufgabe, was aber auch bedeutet, dass man später Anderen weniger helfen kann.