Philosophie Wittgensteins - Determinismus und freier Wille?

2 Antworten

womit er die Grenzen des Denkens und der Philosophie durch die Sprache aufzeigt.

Wohl eher des zu Wort Bringens von Gedanken. Denken kann der Mensch nahezu alles.


sigma03 
Beitragsersteller
 22.08.2021, 22:43

Dem würde ich nicht zustimmen, denn das Denken ist eng an die Sprache geknüpft (wie soll ein Gedanke funktionieren, bei dem du nichts dir bekanntes durch die Verwendung von Sprache referenzieren kannst? Das wäre höchstens bei Gefühlen möglich, aber das sind keine Gedanken!).

Im Zusammenhang mit Wittgensteins Philosophie ist meine zusammengefasste Aussage schon korrekt, was ich mit dem folgenden Abschnitt aus Tractatus begründen würde, "[4] Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. [4.001] Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache".

Bei der von mir gestellten Frage wäre für mich eher interessant und relevant, wie die Position zu Determinismus und einem freien Willen aussehen würde (also bei der Betrachtung aus der Perspektive der analytischen Sprachphilosophie nach Wittgenstein).

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Das ist jetzt ein spannendes Problem.

ich gehe damit einig, dass man Philosophie nur durch die Sprache betreiben kann.

Mit der Behauptung: Die Ethik wird als unsinnig aufgefasst. bin ich absolut nicht einverstanden. Die Unterschiede der verschiedene Ethik-Arten und die Auswirkungen auf Rechtssystemen können sehr wohl und eindeutig mit der Sprache definiert und diskutiert werden.

Die Wittgensteinste Einschränkung ist (nach mir) anwendbar auf Fälle, wo der Bedeutungsbereich von Wörtern stark erweitert wird oder neue Abstracta gebildet werden, die nicht definiert wurden oder definierbar sind.

Beispiel ist das ,,Sein" in der Ontologie. Dem Wort ,,Sein" das eigentlich zusammen mit anderen Wörtern eine Eigenschaft oder Sachverhalt ausdrückt (,,ich bin krank", ,,ich bin ein Berliner") wird eine abstrakte Bedeutung zugeordnet welche an sich nichts aussagt. (,,das Sein") Da hat Wittgenstein recht.

Zu Deiner Frage:

Du kannst in der Sprache über ,,freien Willen" diskutieren, nur nachdem Du ,,frei" und ,,Wille" eindeutig und vollständig definiert hast. Ob das prinzipiell unmöglich ist, kann ich nicht sagen, aber dass es bisher niemandem gelungen ist, weiß ich. Nach dieser Voraussetzung gilt also die Forderung Wittgenstens: ,,Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen"

Interessante Randbemerkung: Der frühmittelalterliche Philosoph Augustinus von Hippo hat bereits festgestellt, dass der Begriff ,,Zeit" prinzipiell undefinierbar ist. Dan sollte es keine Philosophie der Zeit geben??


sigma03 
Beitragsersteller
 19.08.2021, 00:37

Die Formulierung von mir war ungenau und damit irreführend gewählt, tut mir leid. Also Ethik ist nicht allgemein unsinnig, aber das Reden darüber. Dazu würde ich folgende Quelle heranziehen (PDF, Seite 1064):

"Vor allem der Schluß des Buches, der Kulminationspunkt von Wittgensteins Überlegungen zur Ethik, fordert immer wieder die Interpreten heraus. Seine Gedanken zur Sprache, zum Sinn von Sätzen führen zu einem radikalen Ergebnis: Es verbietet sich, über ethische Fragen zu reden, Ethik ist »transcendental«, unaussprechlich. Wittgenstein war zwar der Meinung, mit dem Tractatus alles gesagt zu haben, aber im Anschluß an das verordnete Schweigen ging es ihm darum, daß das Unaussprechliche, wenn schon nicht gesagt, dann aber wenigstens in beziehungsweise mit den Handlungen gezeigt werden mußte."

Wittgenstein betrachtet Ethik (welche er als "allgemeinste Untersuchung dessen was gut ist" auffasst) als etwas, das nur durch das Individuum gelebt werden kann (also durch Handeln geäußert werden kann), nicht aber als etwas, über das man sinnvoll reden könnte.

Das genannte Kriterium, dass etwas sinnvoll (sprachlich) diskutiert werden kann, sobald die Begriffe klar abgegrenzt werden können, ist meines Erachtens nach nicht korrekt. Es wäre kein Problem, Willensfreiheit oder auch Determinismus zu definieren. Ein Versuch von mir - Willensfreiheit ist die durch ein Individuum ausgeübte Möglichkeit, eine Entscheidung unbeeinflusst durch äußere Faktoren zu treffen.

Das macht es aber noch nicht sinnvoll, sondern ist zunächst nur eine Grundvoraussetzung bei mehrdeutigen/ vagen Begriffen, um eine begriffliche Irreführung zu vermeiden. Wittgensteins Theorie müsste dazu eigentlich noch mehr aussagen, nehme ich an.

Du sprichst an, dass Zeit undefinierbar wäre. Es ist ein äußerst abstrakter Begriff, insofern stimme ich dir zu, dass dieser ein Problem darstellt. Die fehlende Definitionsmöglichkeit könnte allerdings sehr weitreichende Konsequenzen haben, weil man sich in dem Fall auf die reinen Raumdimensionen und den Inhalt dieser begrenzen müsste, würde man nicht eindeutig durch Sprache definierte Begriffe ausschließen wollen. Alles andere, auch die zeitliche Reihenfolge von Ereignissen (vor/nach etwas), Beobachtungen und Abläufen wären damit in ihrer Verwendung unzulässig, denn sie müssten sich bei ihrer Definition auf den Zeitbegriff beziehen.

Dennoch kann der Begriff der Zeit in der Philosophie genutzt werden, es wird sich dann auf eine Art implizite Definition beziehungsweise intuitive Vorstellung verlassen. Auf die Entwicklung der menschlichen Sprachfähigkeiten geht Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen ein.

Das Verständnis wird zunächst durch die Verknüfung der Worte (genauer, die in Form von Lauten wahrgenommenen Begriffe/ Worte) und das durch andere Personen erfolgende Referenzieren auf existierende Objekte (mit ihren wahrnehmbaren Eigenschaften) ermöglicht. Der Spracherlernende gleicht also langsam die eigene Vorstellung mit der gegebenen Verwendung ab. Überhaupt basiert die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation darauf, dass in einem gewissen Rahmen ein Konses über die Bedeutung eines Wortes existiert.

Auch bei dem Begriff der Zeit ist dies möglich, da sich das Vergehen der Zeit in unseren Beobachtungen bemerkbar macht, das heißt, der Theorie Wittgensteins nach kann (so meine Einschätzung) beispielsweise Vorzeitigkeit ohne Schwierigkeiten genutzt werden, auch wenn seine Definition kompliziert sein mag. Der Begriff wurde von jedem bei dem Erlernen der Sprache begriffen, nur ist derjenige nicht in der Lage, eine Definition aufzustellen. Die Aussage bezieht sich allerdings auf die spätere Position, in Tractatus wäre die Position zu dem Begriff der Zeit wohl noch eine andere.

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ulrich1919  19.08.2021, 09:24
@sigma03
Wittgenstein betrachtet Ethik (welche er als " allgemeinste Untersuchung dessen was gut ist" auffasst) als etwas, das nur durch das Individuum gelebt werden kann (also durch Handeln geäußert werden kann), nicht aber als etwas, über das man sinnvoll reden könnte.

Dieser Satz ist für mich ein Beweis, dass auch bekannte Philosophen sich irren können. Viele sinnvolle und lehrreiche Vorträge und Bücher über ethische Themata zeigen, dass es sehr wohl möglich ist sinnvoll über Ethik zu diskutieren. Man muss aber damit anfangen die inhaltsleere Definition (allgemeinste Untersuchung dessen was gut ist) durch eine schärfere zu ersetzen und zweitens akzeptieren, dass ,,materielle" ethische Aussagen nie eine in Zeit und Raum universelle Gültigkeit haben können.

Deine Definition von Willensfreiheit ist nicht schlecht, aber unrealistisch. Welche Gedanke oder Gehirnleistung ist schon vollständig von ,,äusseren Faktoren" unabhängig? Und wo liegt die Grenze zwische ,,äusseren" und ,,inneren" Faktoren?

Sowohl Wittgenstein als Du haben sich gründliche Gedanken gemacht. Ihr seid zu Schlussfolgerungen und Aussagen gekommen, die ich respektiere und wertschätze, aber nicht teile. Das ist nicht schlimm und keine Abwertung, sondern ein in der Philosophie häufig vorkommender Vorgang.

Mit Deinen Aussagen im letzten Absatz (,,Zeit") bin ich aber einverstanden

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sigma03 
Beitragsersteller
 19.08.2021, 17:08
@ulrich1919

Sicherlich irren Philosophen auch mal - was ja im Grunde genommen Seneca schon niederschrieb, "errare humanum est". Nun ja, Philosophen sind auch Menschen. Wittgenstein schrieb selbst in den Philosophischen Untersuchungen, dass er überzeugt davon sei, sich bei Tractatus in manchen Dingen geirrt zu haben.

Ich würde der These widersprechen, dass Wittgenstein sich bezogen auf die Ethik vollkommen irrte. Für mich ist es verständlich, wie man zu diesem Gedanken gelangt. Ich denke, dass gerade auch bei der Interpretation seiner Werke einige Fehler entstehen - auch ein Grund, weshalb ich diese Frage gestellt hatte.

Neben der Korrektheit ist meines Erachtens nach eine nachvollziehbare Struktur der Überlegungen zu beachten. Das ist etwas, womit Wittgenstein sehr gut überzeugen kann, auch wenn es teilweise sehr kompliziert werden kann. Ich finde, man merkt, dass es nicht irgendwelche Einfälle sind, es steckt mehr dahinter.

Gut, die von mir vorgeschlagene Definition ist unrealistisch, ja... Es ging mir eher darum, aufzuzeigen, dass es sehr gut möglich ist, den Begriff zu definieren. Würde allerdings alleine die Definition eines Begriffs über die Sinnhaftigkeit entscheiden, wären praktisch beliebig unsinnige metaphysikalische Diskussionen möglich, das wäre für mich ein Widerspruch - es gibt weitere Kriterien bei Wittgenstein.

Bei der Philosophie ist es meines Erachtens nach wichtig, zunächst bestehende Positionen nachzuvollziehen, unabhängig davon, ob man mit ihnen übereinstimmt oder nicht. Letztlich liegt es dann an einem selbst, daraus eine eigene Position abzuleiten, insofern kann ich dem nur zustimmen.

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ulrich1919  19.08.2021, 17:28
@sigma03

1) Definierbarkeit ist eine notwendige Voraussetzung zum diskurs; nicht immer eine hinreichende.

2) Würde allerdings alleine die Definition eines Begriffs über die Sinnhaftigkeit entscheiden, wären . . . Definitionen müssen strengen formalen und materiellen Anfoderungen entsprechen, um für sinnvolle Diskussionen brauchbar zu sein.

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sigma03 
Beitragsersteller
 25.11.2021, 00:19
@ulrich1919

Inzwischen habe ich übrigens eine teilweise Antwort finden können, denn Wittgenstein schrieb im Tractatus etwas dazu (es war mir nur nicht direkt aufgefallen).

"[5.1361] Die Ereignisse der Zukunft können wir nicht aus den gegenwärtigen erschliessen. Der Glaube an den Kausalnexus ist der Aberglaube."

"[5.1362] Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können. Nur dann könnten wir sie wissen, wenn die Kausalität eine innere Notwendigkeit wäre, wie die des logischen Schlusses. Der Zusammenhang von Wissen und Gewusstem, ist der der logischen Notwendigkeit. (»A weiss, dass p der Fall ist« ist sinnlos, wenn p eine Tautologie ist.)"

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