Hey, wir haben die Biogenetische Grundregel nach Haeckel uns angeguckt, jedoch verstehe ich den nicht? Inwiefern ist das ein Beleg für die Evolution?

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Die biogenetische Grundregel oder Rekapitulationsregel besagt, dass die Ontogenese (Individualentwicklung) eine kurze Wiederholung (Rekapitulation) der Phylogenese (Stammesentwicklung) sei. Während der Embryonal- und Larvalentwicklung durchlaufe ein Individuum die verschiedenen früheren Stationen seiner stammesgeschichtlichen Vorfahren.

Besonders deutlich wird das beispielsweise bei der Metamorphose der Amphibien. Aus dem Laich schlüpfen die Larven der Amphibien, die Kaulquappen. Sie sind fischähnlich, haben noch keine Gliedmaßen und schwimmen mit einem Schwanz mit einem Flossensaum. Zum Atmen besitzen sie äußere Kiemen. Auch ihr Stoffwechsel ist noch sehr fischähnlich. Genau wie Fische scheiden sie Stickstoff aus dem Aminosäurestoffwechsel in Form von Ammoniak aus (ammonotelisch).
Schließlich beginnt die Verwandlung zum erwachsenen Tier: die Beine bilden sich nach und nach aus, die Kiemen werden reduziert, stattdessen entwickeln sich Lungen. Bei den Froschlurchen wird auch der Schwanz nach und nach immer kleiner. Und auch die Stickstoffausscheidung wird anders. Als erwachsene Lurche scheiden sie überschüssigen Stickstoff in Form von Harnstoff (ureotelisch) aus. Aus dem "Fisch" ist also innerhalb kurzer Zeit ein Landtier geworden. Auch die Evolution der Landwirbeltiere (Tetrapoda) stellt man sich in ähnlicher Weise vor. Landwirbeltiere stammen von fischähnlichen Vorfahren ab, die im Wasser lebten. Die Metamorphose ist also gewissermaßen nichts anderes als eine Wiederholung der Stammesgeschichte der Landwirbeltiere in Zeitraffer.

Ernst Haeckel, der Begründer der biogenetischen Grundregel, hat die Embryonene verschiedener Wirbeltiere untersucht und miteinander verglichen. Die verschiedenen Wirbeltierembryonen sind sich v. a. in ihrem frühen Stadium sehr ähnlich und äußerlich nur schwer voneinander zu unterscheiden. Nach und nach bilden sie dann immer abgeleitetere Merkmale aus, trotzdem werden bestimmte Merkmale der Ontogenese rekapituliert. Beim Menschen bilden sich z. B. Kiemenspalten aus (wie bei einem Fisch), die sich aber schließlich wieder schließen. Manchmal kann es vorkommen, dass Kiemenspalten erhalten bleiben. Diese so genannten Halsfisteln sind als so genannter Atavismus ein weiterer Beleg für die Evolutionstheorie. Auf diese Weise lässt sich durch die Betrachtung unterschiedlich alter Embryonen die Stammesgeschichte einer Art wie mit einem Daumenkino gewissermaßen noch einmal ansehen.

Die Rekapitulationsregel gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Haeckel wurde sogar vorgeworfen, seine Untersuchungen gefälscht zu haben. Tatsächlich hat er die angefertigten Zeichnungen der Embryonen geschönt. Es war und ist aber gängige Praxis, dass in Zeichnungen die Dinge der besseren Übersichtlichkeit wegen idealisiert dargestellt werden. Von einer bewussten Täuschung kann deshalb keine Rede sein.

Es kann vorkommen, dass bestimmte Stadien der Stammesgeschichte während der Ontogenese einfach "übersprungen" werden. Vögel z. B. rekapitulieren keine Zähne, obwohl sie ja, wie wir heute wissen, von kleinen, flugunfähigen Raubd-Dinosauriern abstammen, die viele Zähne besaßen. Zwar bilden Vögel einen Eizahn aus, mit dem sie beim Schlüpfen die harte Eierschale durchbrechen. Das ist aber nur eine hornartige Erhebung auf dem Oberschnabel, die mit echten Zähnen (die aus Zahnbein und Zahnschmelz bestehen) nichts zu tun haben.

Andere Merkmale in der frühen Ontogenese eines Lebewesens können auch Neubildungen (Apomorphien) sein. Libellenlarven bilden z. B. einen Fangkorb aus, mit dem sie kleine FIsche, Kaulquappen und Wasserinsekten fangen. Der Fangkorb verschwindet später wieder. Tatsächlich ist dieses Merkmal aber nicht das Erbe eines Libellenvorfahren, der dieses Merkmal hatte, sondern es ist eine evolutionäre Neubildung bei den Libellenlarven selbst. Man darf schließlich nicht vergessen, dass Evolution immer wirkt, nicht erst beim erwachsenen Individuum. Folglich können also zu jeder Zeit neue Merkmale entstehen, auch in der frühen Embryonalentwicklung.

Obwohl die Rekapitulationsregel sicher nicht uneingeschänkt gültig ist, ist sie nach wie vor ein sehr anschauliches Beispiel für die Evolutionstheorie.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

VortexDani  11.01.2021, 12:27

Vielen Dank für die Klarstellung. Dass Hackel etwas gefälscht haben soll, habe ich allerdings nicht vorausgesetzt. Lediglich die Kritik zur Grundregel etwas aufgenommen, die mir zuvor völlig unbekannt war ^^

Kann es eigentlich auch parallele unabhängige Entwicklungen zweier unterschiedlicher Phylogenesen geben, welche für unsere Mustererkennung gleich wirken, aber durch ihre Unterschiede im genetischen Bauplan voneinander getrennt werden können? Verzeihe, wenn ich die falschen Begriffe verwende, ich hoffe du verstehst, was gemeint ist.

Immerhin gab es ja nachweislich unabhängig ausgebildete "Eigenschaften" (mir fällt grade kein besseres Wort ein) bei voneinander (räumlich, zeitlich) getrennten Arten :)

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Das einzige was dir diese Abbildung sagen soll, ist, dass die embryonale Entwickelung aller Wirbeltiere sehr ähnlich verläuft. So ähnlich, dass man einen Fischembryo ganz am Anfang nicht von einem humanen Embryo unterscheiden kann.

Darauf folgert man, dass diese Form der Entwicklung (also die einzelnen Schritte und deren Reihenfolge) sehr alt und auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen ist. Mit anderen Worten: alle Wirbeltiere haben einen gemeinsamen Vorfahren.

LG

Die Abbildung zeigt die Embryonalentwicklung verschiedener Wirbeltiere. Man sieht, dass diese am Anfang alle sehr ähnlich aussehen und sich erst später differenzieren. Alle Wirbeltiere sind also nach dem gleichen Grundbauplan aufgebaut. Sie unterscheiden sich darin, wie lange gewisse Entwicklungsphasen laufen, also z. B. wie lange der Hals wächst oder wann das Wachstum der Beine stoppt.

Ausserdem soll eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Individualentwicklung und der Stammesentwicklung bestehen. Möglicherweise ist es diese Aussage, welche von den anderen Leuten hier angezweifelt wird. So wie ich gelernt habe, entwickeln auch Säugetiere zunächst einen Ansatz von Kiemen, die sich aber später zurück bilden. Der Mensch entwickelt in einer bestimmten Phase ein Fell, entwickelt dieses dann aber wieder zurück. Haeckel nahm an, dies komme daher, dass die Vorfahren der Säugetiere Fische waren und dass spätere Vorfahren des Menschen ein Fell trugen.

Ich habe nie davon gehört, dass diese Idee widerlegt sei. Ich bin gespannt auf Argumente.


Darwinist  11.01.2021, 11:04
Ich habe nie davon gehört, dass diese Idee widerlegt sei. Ich bin gespannt auf Argumente.

Wirklich widerlegt nicht. Sie gilt aber nicht uneingeschränkt. Vögel z. B. rekapitulieren während ihrer Ontogenese keine Zähne, obwohl sie phylogenetisch von Vorfahren abstammen, die selbst noch Zähne besaßen.

Andere frühe Bildungen sind hingegen keine Wiederholungen eines alten Bauplans, sondern stammesgeschichtlich Neubildungen, z. B. die Fangmaske der Libellenlarven. Evolution findet halt auf allen Ebenen statt, daher können auch Larven evolutionäre Neuheiten ausbilden.

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Das wurde sehr lange so gelehrt, ist mittlerweile aber überhohlt.

Ich vermute mal das wird noch so 20 oder mehr Jahre dauern, bis es aus den Schulbüchern verschwindet.


KirBigsoft  19.07.2021, 07:10

Diese Zeichnungen, wie mache sagen geschönt, sind schon kurz nach der Veröffentlichung kritisch hinterfragt worden und sind falsch.

Aber es ist Teil der Gehirnwäsche, wenn man Argumente der Evolutionisten genügend häufig wiederholt stehen alle "Crationisten", die feststellen, daß die biblischen Darstellungen den Forschungsergebnissen durchaus entsprechen könnten als Deppen da.

Mich würde es nicht wundern wenn das weitere 100 Jahre so bleiben würde

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VortexDani  10.01.2021, 14:37
Ich vermute mal das wird noch so 20 oder mehr Jahre dauern, bis es aus den Schulbüchern verschwindet.

Verrückt, dabei wurde sie quasi seit den 1950ern widerlegt.

Habe ich aber ebenso in der Schule kennengelernt und auch in populärwissenschaftlichen Formaten gesehen. Dem Mythos bin ich ebenso verfallen.

Vielleicht sollte man sie im Lehrplan differenziert und anhand Kritik aufarbeitend behalten?

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diderot2019  10.01.2021, 14:55
@VortexDani

Was ist denn deiner Ansicht nach falsch an dieser Darstellung? -Die Bilder sind ja wohl richtig.

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VortexDani  10.01.2021, 15:01
@diderot2019

Der Kontext ist entscheidend. Siehe die Bildbeschreibung. Die "Grundregel", nach der Embryonen im Laufe alle die gleichen Stadien durchlaufen sollen, wurde längst widerlegt - Schulbücher verbreiten häufig Mythen und lang überholte Darstellungen bzw. solche, welche in akademischen Kreisen nie Historizität erreichten.

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diderot2019  10.01.2021, 15:17
@VortexDani

Nun, ich sehe gerade bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Biogenetische_Grundregel#Wissenschaftliche_Kritik , dass die Kritik an Haeckel von meinem Ur-ur-ur-grossvater Carl Wilhelm von Nägeli kommt. Sie ist also zweifellos fundiert. :-) Aber auch wenn man Haeckel nicht in allen Details folgt, liefert die Darstellung doch einige bemerkenswerte Erkenntnisse. Zitat wikipedia:

Ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese ist nicht bestreitbar, da die DNA einerseits als der Bauplan des einzelnen Lebewesens und andererseits als das informationstheoretische Protokoll der Stammesgeschichte anzusehen ist.

Dies, finde ich, ist doch eine Erkenntnis, die man im Biologieunterricht erwähnen sollte. In der kopierten Darstellung sehe ich nichts, was man kritisieren müsste. Das Schulbuch ist also wohl in Ordnung. Möglicherweise wird Haeckels Idee im übrigen Text ja sogar noch relativiert.

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VortexDani  10.01.2021, 18:06
@diderot2019

Interessant :D Natürlich, im Artikel wird ja auch angemerkt, dass das Konzept im Rahmen der Heuristik weiterhin gelehrt wird, halt ohne die ursprünglichen erweiterten Annahmen :) Die Ähnlichkeiten lassen sich natürlich nicht bestreiten.

Aber ich würde da lieber eine Antwort eines (Evolutions)Biologen abwarten, da ich als Laie und mit meinem Siebgedächtnis leider nicht gut einordnen kann inwiefern da Unstimmigkeiten herrschen.

Ich hoffe, dass das Schulmaterial dies nicht unkommentiert stehen lässt, mir ist schon einiges untergekommen ^^

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Darwinist  11.01.2021, 11:13
@VortexDani

Sagen wir mal so: die biogenetische Grundregel gilt nicht ausnahmslos, weshalb man sich zumindest fragen kann, ob der Begriff "Grundregel" wirklich passend ist.

Aber dieser Einwand trifft tatsächlich auf jede "Regel" zu, z. B. auch auf die Bergmannsche Regel oder die Allensche Regel. Tatsächlich ist es schon überragend, wenn eine "Regel" in der Biologie in mehr als 60 % der Fälle zutrifft. Überspitzt formuliert könnte man sagen, Biologie ist "die Wissenschaft von den Ausnahmen der Regel".

Tatsächlich gibt es viele Ausnahmen von der biogenetischen Grundregel. Was aber eigentlich nicht verwundern dürfte, denn Evolution setzt ja zu jeder Zeit bei den Individuen an und nicht erst bei den adulten Tieren. Daher kann es vorkommen, dass während der Ontogenese Merkmale ausgebildet werden, die nicht eine Rekapitulation sind, sondern eine stammesgeschichtliche Neubildung. Auf der anderen Seite werden bestimmte Merkmale der Phylogenese während der Ontogenese manchmal übersprungen.

Insgesamt gibt es aber auch gute Beispiele, wo die Regel zutrifft. Wale etwa bilden während ihrer Embryogenese noch Beine aus, die später reduziert werden.

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