GFS Stoa

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Günstig ist es, wenn mitgeteilt wird, wo die Schwierigkeiten beim Verstehen liegen. Knappe Aussagen können vielleicht ein Einstieg zum Nachvollziehen sein, aber ein Verstehen von Zusammenhängen ist erforderlich, um sich das Thema gut anzueignen.

höchstes Ziel und höchstes Gut

Ziel (griechisch: Telos [τέλος]; lateinisch: finis) und Gut (griechisch: ἀγαθόν; lateinisch: bonum) sind der Sache nach beim höchsten Ziel und höchstem Gut das Gleiche, nur einmal unter dem Gesichtspunkt der Ausrichtung des Strebens angesprochen, einmal unter dem Gesichtspunkt der Bewertung. Höchstes Ziel (summus finis) und höchstes Gut (summum bonum) bestehen nach der Stoa im guten Leben (griechisch: εὖ ζῆν; lateinisch: bene vivere) oder anders gesagt im Glück/in der Glückseligkeit/im glücklichen Leben (griechisch: εὐδαιμονία; lateinisch: vita beata). Tugend/Vortrefflichkeit allein reicht nach der stoischen Ethik in allen Lebensumständen aus, glücklich/glückselig zu sein.

Die Ethik der Stoa ist Lebenskunst. Sie erklärt Glück/Glückseligkeit/glückliches Leben für erreichbar.

Mensch und Vernunft des Weltganzen:

Vernunftbegabung gilt als eine Eigentümlichkeit/ein wesentliches Merkmal des Menschen, eine ihn besonders kennzeichnende Eigenschaft und Fähigkeit. Sie ist beim Menschen zunächst nur als Anlage vorhanden und entwickelt sich, wobei Reifung und Einübung wichtig sind. Der menschliche Geist (lateinisch: animus) wird als Teil einer göttlichen, den Kosmos lenkenden Allvernunft, eines ihn erfüllenden Logos (lateinisch: ratio) verstanden. Der Logos ist eine mit der Natur (griechisch: φύσις; lateinisch. natura) gleichgesetzte Norm des Handelns. Ein Individuum, das Wissen/Erkenntnis/Einsicht erreicht, stimmt mit der richtigen/aufrechten Vernunft (griechisch: ὀϱθός λόγος; lateinisch: recta ratio) des Kosmos überein.

Übereinstimmung:

Die ethische Hauptforderung besteht darin, diese vernunftgeleitete Übereinstimmung zu erlangen. Die Vollkommenheit des Kosmos, der Welt im Ganzen einer Ordnung, kann im Stoizismus nicht verneint werden, da sie nach seiner Lehre auf notwendige/unentrinnbare Weise durch den göttlichen Logos verwirklicht wird. Der Mensch hat die Aufgabe, den individuellen Logos mit dem universalen Logos in Übereinstimmung zu bringen.

Der Mensch soll nach der stoischen Ethik in Einklang/Übereinstimmung leben (Zenon: ὁμολογουμένως ζῆν) bzw. anders ausgedrückt in Übereinstimmung mit der Natur leben/der Natur gemäß leben (griechisch: ὁμολογουμένως τῇ φύσει ζῆν; lateinisch: secundum naturam vivere/naturae convenienter vivere) bzw. in Übereinstimmung mit dem Logos/der Vernunft leben/vernunftgemäß leben (griechisch: κατὰ λόγον ζῆν; lateinisch: secundum rationem vivere), was inhaltlich alles auf das Gleiche hinausläuft.

Oikeiosis (»Selbstzueignung«) als Grundbestrebung:

Eine Grundbestrebung in der Welt ist nach der Stoa die Oikeiosis (οἰκείωσις; „Einhausung“; „Aneignung“; „Zueignung“; lateinisch gibt es keine völlige sprachliche Entsprechung, Cicero übersetzt mit commendatio und conciliatio, Seneca verwendet neben commendatio die Begriffe amor sui und conservatio sui). Jedem Lebewesen geht es um den ihm eigentümlichen Bestand seines eigenen Seins (Selbsterhaltung). Dafür Nützliches/Förderliches/Zuträgliches wird angestrebt, Schädliches/Abträgliches gemieden. Ausgehend von der Selbstzugewandtheit bezieht sich die Zuwendung nicht nur auf das eigene Selbst, sondern auch auf die anderen, verbindet schließlich die ganze Menschheit. Teilhabe an der Vernunft stiftenden Gemeinschaft gibt ein verbindendes Gesetz des Handelns vor.

Tugend/Vortrefflichkeit:

In der stoischen Ethik ist das einzige sittlich/moralisch Gute die Tugend/Vortrefflichkeit (griechisch: ἀρετή; lateinisch: virtus). Unterschieden wird, was Menschen verfügbar und unverfügbar ist (was in ihrer Macht steht und was nicht). Allein die innere Einstellung ist nach der Stoa zu beeinflussen. Die Vernunft erteilt von außen an sie herantretenden Vorstellungen, die ein Streben in Bezug auf eine Verwirklichung auslösen können, ihre bewußte Zustimmung oder nicht. Die menschlichen Entscheidungen bestehen in der dabei vorgenommenen Wahl (zustimmen oder nicht). Ein Antrieb kann als Handlungsauslöser wirksam werden, aber nur wenn die Vernunft, die eine Kontrolle ausübt, dies zuläßt. Wenn eine (aufgrund verführerischer Überredung der Außendinge oder schlechter Unterweisung der Mitmenschen) verdrehte Vernunft falsch urteilt, entstehen Leidenschaften/Affekte. Diese können zu falschem Verhalten hinreißen. Tugend/Vortrefflichkeit besteht darin, irrigen Meinungen nicht zu verfallen und so den richtigen Weg zum Glück zu beschreiten. Tugend/Vortrefflichkeit gilt als ausreichend, Glück/Glückseligkeit zu erreichen.


Albrecht  22.04.2014, 02:37

Das sittlich/moralische Schöne, das Anständige/Ehrenhafte (lateinisch: honestum; Übersetzung des griechischen Ausdrucks τò καλόν), das in einem tugendhaften/vortrefflichen Verhalten besteht, und das Nützliche (utile) fallen nach stoischer Lehre zusammen.

stoische Apatheia:

Eine zentrale Lehre in der stoischen Ethik ist das Anstreben von „Apatheia" (ἀπάθεια; lateinisch impassibilitas; nicht einfach mit „Apathie" als Mattheit, Stumpfsinn und Gleichgültigkeit gleichzusetzen). Dies bedeutet wörtlich einen Zustand der Erleidenslosigkeit. Dieser wird durch Leidenschaftslosigkeit erreicht, eine seelische Verfassung, die gegen das Erleiden einer Gemütsbewegung unempfänglich macht. Apatheia bezieht sich auf nicht Verfügbares.

stoischer Weiser

Der stoische Weise (lateinisch: sapiens) ist ein idealer Mensch. In vollkommener Form wird eine vollständige Verwirklichung des Ideals höchstens in seltenen Fällen erwartet. Der stoische Weise ist frei von den Leidenschaften/Affekten Lust und Schmerz. Diese beruhen auf irrigen Meinungen und der Weise verweigert solchen von außen an ihn herantretenden Vorstellungen seine bewußte Zustimmung. Damit wird nicht das Gefühlsleben schlechthin verworfen, sondern nur unangemessene Gefühle. Allerdings hielten die Stoiker die meisten Gefühle tatsächlich für Abirrungen. So galt z. B. Furcht insgesamt als unvernünftig. Leidenschaften/Affekte stören nach den Stoa die Seelenruhe (lateinisch: tranquillitas animi) und sind ein Hindernis für das glückliche Leben. Der stoische Weise lebt in Übereinstimmung mit der Natur bzw. Vernunft und ist durch Tugend/Vortrefflichkeit gekennzeichnet. Er hat als Eigenschaften einzelne Erscheinungsformen der Tugend/Vortrefflichkeit, darunter als besonders wichtige Klugheit/Weisheit, Besonnenheit/Maßhalten, Tapferkeit, Gerechtigkeit. In einem zugespitzen Paradox wird behauptet, der Weise sei sogar unter Folter glücklich.

Rolle der Götter

In der Stoa wird ein umfassendes grundlegendes Prinzip, nämlich der Logos (griechisch meistens λόγος genannt, daneben z. B auch νοῦς [Geist/Vernunft]; lateinisch: ratio [Vernunft], mit Gott/Gottheiten/dem Göttlichen gleichgesetzt.
Eine Vielzahl von Gottheiten kann als Vielfalt von Erscheinungsformen einer Gottheit/des einen Göttlichen verstanden werden. Theologisch sind nicht alle Vertreter der Stoa völlig einheitlich, aber es besteht eine Neigung zum Pantheismus (Auffassung, Gott/das Göttliche existiere in allen Dingen der Welt, auch im Menschen, bzw. sei mit dem Kosmos/der Natur identisch) Die Stoa lehrt in ihrer Naturlehre (Physik), es gebe ein zugleich geistiges und materielles/stoffliches Prinzip, dargestellt als ein feinstoffliches Feuer, als ein warmer Hauch (πνεῦμα [pneuma]) und als die Weltvernunft, der Logos. Der Logos durchwirkt alles, mit unterschiedlicher Konzentration (Reinheit und Stärke). Der Logos ist ein aktives Prinzip, das die Materie als passives Prinzip durchdringt, prägt, formt/gestaltet (wobei beide Prinzipien als Körper verstanden werden) und so die ganze Welt/Wirklichkeit zu einer organischen Einheit verbindet, den Kosmos. Der Logos ist weltimmanent (der Welt innewohnend) und belebend. In jedem Wesen ist keimhafte Vernunft anwesend. Es gibt also Ausflüsse oder Absplitterungen des universalen Logos, unvergängliche Samen oder Keime. Der Logos lenkt den ganzen Kosmos. Er bestimmt also das Weltgeschehen. Der Logos bringt gemäß einer festen Gesetzmäßigkeit die Entwicklung des Kosmos zustande. Alles hat seinen Platz in der universalen Ordnung.

Der Logos wird von Stoa mit der Gottheit/dem Göttlichen, der Vorsehung (griechisch: πϱόνοια [pronoia] ; lateinisch: providentia) und dem Schicksal (griechisch: εἱμαϱμένη [heimarmene] ; lateinisch: fatum) gleichgesetzt.

Der Logos kann als eine Art von Träger von Information/geistigem Gehalt gedeutet werden, während er unter dem Gesichtspunkt einer Entwicklung von einem Bewegungsursprung her als Physis/Natur (griechisch: φύσις; lateinisch: natura) auftritt.

In der Welt vollzieht sich das Geschehen nach stoischer Auffassung mit Notwendigkeit. Freiheit hat eine Person in der Innerlichkeit, in der Einstellung zum Geschehen (dies steht in Spannung zur Annahme der Schickalsnotwendigkeit und schafft ein Vereinbarungsproblem, weil eigentlich zu denken wäre, die Notwendigkeit erstrecke sich auch auf die innerliche Zustimmung/Nicht-Zustimmung).

Der Gang des Schicksals des Menschen wird nach stoischer Auffassung als feststehend angenommen. Wer sich nicht fügen will, wird nachgezwungen und erleidet es also dennoch.

Der Weise hat Einsicht darin, daß eine göttliche Vernunft (der Logos) die Welt durchwaltet und ist bereit, ihre Sinnhaftigkeit anzuerkennen, auch wenn das begrenzte menschliche Wissen nicht immer dazu ausreicht, dies voll zu durchschauen. Daher fügt er sich in das Schicksal/das Göttliche/die göttliche Ordnung.

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Albrecht  22.04.2014, 02:37

Eine Veranschaulichung der auf notwendige Weise geschehenden Bestimmung durch das Schicksal ist ein Gleichnis von Hund und Wagen: Wenn der an einen Wagen angebundene Hund folge und neben dem Wagen herlaufe, spüre er die Leine nicht. Wenn er sich zu widersetzen versuche, werde er mitgeschleift/fortgezogen. Entsprechend heißt es bei Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 107, 11: Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. (Den Wollenden führt das Schicksal, den Nicht-Wollenden zieht es.)

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Das war genau das, wonach ich gesucht habe!!

Vorher hatte ich das Problem, dass mir nicht so ganz klar war, was beispielsweise das höchste Ziel jetzt genau sein soll? Tugend - ein glückliches Leben - ein Weise zu werden - Affektfreiheit?

Habe da wohl die Zusammenhänge nicht so wirklich verstanden - in diesem Sinne: vielen, vielen Dank für diese anschauliche Erklärung, Albrecht! :-)