Evolutionstheorien?

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Moin,

Wesentliche Punkte in Cuviers Argumentation:

  • In verschiedenen Zeitaltern lebten verschiedene Tierarten
  • Arten sind unveränderlich (Unterschiede seien Varietäten eines Faunenschnitts)
  • Arten werden einmal erschaffen, können aber aussterben
  • Durch stetig vorkommende Naturkatastrophen werden die meisten Arten eines Gebiets schlagartig ausgelöscht (Kataklysmentheorie); danach kommt es zu einer Neubesiedelung
  • Dass Cuvier an wiederholte göttliche Neuschöpfungen geglaubt habe, ist wohl nur eine Unterstellung, ein Gerücht!
  • Keine in Texten belegbaren Gedanken zur Entstehung von Arten

 Auf die Ausbildung von beispielsweise den langen Giraffenhals:

Es ist schwer zu sagen, was Cuvier letztlich konkret dazu gesagt hätte, weil er im Grunde keine Ansichten über die Entstehung von Arten veröffentlichte.

Immerhin ist es aber nicht völlig unwahrscheinlich, dass Cuvier daran glaubte, Gott habe alle Lebewesen erschaffen und dass die Arten nach ihrer Schöpfung unverändert bleiben.
Dafür spricht einerseits, dass er Lamarcks gradualistische Artveränderung nachweislich ablehnte, andererseits hielt er zumindest die Unterschiede von Fossilien in verschiedenen Sedimentschichten des Pariser Beckens lediglich für Varietäten der enthaltenen Arten. Damit erklärte er diese Arten als unveränderlich und gestand nur zu, dass die Individuen einer Art in der Ausprägung von Merkmalen eine gewisse Variationsbreite besitzen.

Daher darf man wohl annehmen, dass Cuvier die Giraffe als Gottes Schöpfung angesehen hätte, die von jeher seit ihrer Erschaffung unveränderlich einen mehr oder weniger langen Hals besessen hat.

Damit kannst du Cuvier zugute halten, dass er das Aussterben von Arten in den Evolutionsgedanken einbrachte und mit natürlichen katastrophalen Erscheinungen verknüpfte (Katastrophentheorie).

Andererseits glaubte er (wohl) an die Unveränderlichkeit von Arten und an eine göttliche Schöpfung. Allerdings erkannte er die Variabilität von Individuen innerhalb einer Art durchaus an.

Oft wird daraus gemacht, dass Cuvier an eine ständige Neuschöpfung durch Gott geglaubt habe, wenn eine Naturkatastrophe wieder einmal einen Teil der Arten ausgerottet hätte. Dafür gibt es aber in Cuviers Schriften keinen Beleg, so dass dies eine Unterstellung ist.

LG von der Waterkant


Motte300 
Beitragsersteller
 11.12.2021, 15:12

Vielen dank, ich hätte aber noch eine frage, wie sehen Sie selber die Evolutionstheorie also was ist Ihre eigene Meinung darüber?

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DedeM  11.12.2021, 15:36
@Motte300

Zunächst einmal kannst du mich duzen; das mache ich umgekehrt ja auch und außerdem ist das in Foren wie diesem hier üblich...

Für mich persönlich ist die Evolution Fakt. Ich bin ein Anhänger der sogenannten Synthetischen Evolutionstheorie, die im Wesentlichen auf Darwins Sichtweise aufbaut, aber durch viele Erkenntnisse aus allen möglichen Wissensgebieten (meist naturwissenschaftlichen Ursprungs) ergänzt wird.

Ich finde es bemerkenswert, dass bisher jede neue Erkenntnis die Evolutionstheorie ergänzte und unterstützte. Alles war bisher problemlos integrierbar, nichts war letztlich widersprüchlich oder widerlegte gar den Evolutionsgedanken. Und da, wo es tatsächlich noch Lücken in der Erklärung gibt, fällt es mir überhaupt nicht schwer anzunehmen, dass wir das bloß noch nicht entdeckt oder erforscht haben. Und selbst wenn es uns nie gelingt, so what?! Eine Lücke in einer Erklärung macht die Erklärung noch nicht falsch!

Ganz schlimm finde ich es, wenn irgendwelche religiösen Fantasien als gleichberechtigt oder - noch übler - als richtiger eingestuft werden (ein schöner Gruß an alle fanatischen Christ*innen oder Islamist*innen).

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Cuvier gilt als einer der Wegbereiter der modernen Paläontologie. Damals wurden erstmals die Überreste längst vergangener Lebewesen (Fossilien) entdeckt und, das war neu, wissenschaftlich beschrieben. Man hat sicher schon zuvor Fossilien gefunden, diese aber fûr mythische Kreaturen gehalten. So konnte man z. B. Dinosaurierknochen für die Überreste eines Drachen halten. Nun erkannte man erstmals, dass es sich um Überreste längst ausgestorbener Tiere handelte.

Das Problem war, dass die Fossilien nicht ins Bild der vorherrschenden Vorstellung über die Schöpfung passten, wonach ja alle Arten in unveränderlicher Weise von Gott erschaffen worden sein sollen. Nun tauchten also Fossilien auf, die Gottes scheinbar perfekter Schöpfung widersprachen. Wenn Gottes Schöpfung perfekt ist, weshalb sollten dann einige Arten ausgestorben sein?

Um diese neuen Befunde mit der vorherrschenden Meinung in Einklang zu bringen, entwickelte Cuvier seine Katastrophen-Hypothese, auch Kataklysnustheorie oder Katastrophismus genannt. Demnach sind alle Arten in unveränderlicher Weise von Gott erschaffen worden. Durch Naturkatastrophen starben diese Arten aus. Anschließend wurde die Erde von den verbliebenen Arten neu bevölkert. Eine Alternativvorstellung geht davon aus, dass die Katastrophen (Kataklysmen) jedes Mal fûr eine Tabula rasa sorgten. Nach jeder Katastrophe hätte Gott die Erde dann durch eine komplette Neuschöpfung mit anderen Arten besiedelt. Dass Cuvier von einer wiederholten Neuschöpfung ausging, ist heute jedoch zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist, dass diese Unterstellung durch seinen britischen Kontrahenten Charles Lyell gezielt verbreitet wurde.

Charles Darwin schließlich fiel auf, dass die ausgestorbenen Arten keine unabhängigen Schöpfungen sein konnten, sondern sich problemlos durch gemeinsame Merkmale in einen Stammbaum des Lebens einordnen ließen. Daraus schlussfolgerte er, dass Arten nicht unveränderlich sind, sondern dass die heute lebenden (rezenten) Arten mit den ausgestorbenen Arten verwandt sein müssten. Die ausgestorbenen Arten sind also Vorfahren, aus denen sich in einem graduellen Prozess die heute lebenden Arten entwickelt haben. Alle rezenten Arten stammen demnach von einem gemeinsamen Vorfahren ab (Abstammungs- oder Deszendenztheorie). Einer von Darwins größten Unterstützern, Thomas Henry Huxley, erkannte z. B. schon sehr früh, dass die Vögel sich aus Dinosauriern entwickelt haben mussten. Diese Idee geriet zunächst in Verfessenheit und wurde erst in den späten 1960ern wieder aufgegriffen. Heute gilt die Vorstellung des Ursprungs der Vögel als allgemein akzeptiert.

Nicht nur Darwin, auch andere Forschende waren von der Unveränderlichkeit der Arten nicht überzeugt und glaubten an eine Evolution der Arten. Höchst unterschiedlich waren aber die Vorstellungen über die Mechanismen der Evolution. Jean Baptiste Lamarck glaubte beispielsweise, dass durch Gebrauch bzw. Nichtgebrauch erworbene Eigenschaften an Nachkommen weitergegeben wurden und die Arten sich so Schritt für Schritt veränderten. Er glaubte z. B., dass Giraffen sich nach Nahrung in den Bäumen strecken mussten, wodurch der Hals immer länger und länger wurde (ähnlich wie ein Bodybuilder durch wiederholtes Training mehr und mehr Muskelmasse aufbaut). Diese Eigenschaft gaben die Giraffen an ihre Kinder weiter, die also mit einem längeren Hals geboren wurden. Lamarcks Hypothese gilt heute als widerlegt. Das würde ja bedeuten, dass der Sohn eines Bodybuilders ebenfalls schon mit großen Muskelpaketen geboren werden würde. Tatsächlich muss der Sohn, will er auch wie ein Bodybuilder aussehen, aber genau wie sein Vater zuvor selbst trainieren.

Darwin war hingegen davon überzeugt, dass die Merkmale (z. B. die Halslänge der Giraffenvorfahren) nicht konstant war, sondern variierte: es gab manche Individuen mit kürzeren Hälsen, manche hatten etwas längere usw.). Einige Individuen haben im Vergleich mit ihren Artgenossen einen Überlebensvorteil, weil sie in ihrer Umwelt besser überlebten. Giraffen mit einem längeren Hals konnten z. B. eher die Blätter in der Baimkrone erreichen, dadurch mehr Nahrung zu sich nehmen und verhungerten weniger häufig. Weil sie länger überlebten, pflanzten sie sich auch erfolgreicher fort und vererbten ihre hilfreiche Eigenschaft. Unter den Nachkommen waren nun wiederum nicht alle gleich und wieder waren diejenigen mit den längsten Hälsen im Wettstreit um die Nahrung am erfolgreichsten. Durch diesen Prozess der natürlichen Selektion, der stets die am besten an ihre Umwelt angepassten Individuen bevorzugt, entwickelte sich nach und nach (graduell) der lange Giraffenhals.

Heute wissen wir durch zahlreiche Befunde aus den verschiedensten Disziplinen der Biologie, dass Darwin mit seiner Theorie vom Ursprung der Arten durch natürliche Selektion (Selektionstheorie) und der Vermutung von der Abstanmung aller Arten von einem gemeinsamen Vorfahren (Abstammungstheorie) richtig lag. Diese verschiedenen Einzelaspekte werden heute als Evolutionstheorie zusammengefasst. Als synthetische Evolutionstheorie wurden Darwins Vorstellungen weiter präzisiert und konkretisiert. Wir wissen heute z. B. dass die Gene der Sitz der Erbinformation sind, dass neue Variationen dhrch Mutation von Genen entstehen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten Genvarianten (Allele) vererbt werden (klassische Mendel-Genetik) und wie Allele sich im Genpool ausbreiten (Populationsgenetik). Auch der Zufall wird heute als weitere Triebkraft der Evolution anerkannt (Gendrift und Neutralitätstheorie). Weitere wichtige Aspekte steuern auch die Ökologie bei sowie die Verhaltensbiologie.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig