Entropie und Leben (und Gott)?

10 Antworten

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Hm. Eine geklammerte Frage … also die erste Klammer:

Entropie und Leben

Die selbstorganisierten Prozesse, die schließlich auch das Leben hervorbrachten, sind nicht zu unterschätzen. Gegen alle Entropie und durch Zufuhr von Energie (Sic!) konnten sich erst komplexe Moleküle, dann Vorläuferorganellen und schließlich die ersten Zellen bilden. Letztere entwickelten noch die RNA später DNA als Botenstoff über die eigene Zelle und die Existenz der eigenen Zelle hinaus. Fertig ist das Leben.

Und: Wahrscheinlichkeit hat zwei Betrachtungsrichtungen. Aus der Vorwärtsrichtung vom Standpunkt des Urknalls aus betrachtet ist unsere Entstehungswahrscheinlichkeit verschwindend gering. Schauen wir aber zurück auf die Geschichte und verstehen, welche einfachen Mechanismen zu komplexen Zusammenhängen führen, dann ist es unvermeidlich gewesen, dass wir entstehen.

Entropie/Leben und Gott

Die Schöpfung lässt einen Menschen einfach nur staunen! Wie das alles entstanden ist! Aber, seufzt: Warum wird hier "der Alte-Herr" benötigt, um das fast (Sic!) unbegreifbare zu erklären? Eine eingehende Beschäftigung mit der Entwicklung des Universums und schließlich der Evolution lässt erkennen, wie aus einfachen Mechanismen schließlich (menschliches) Leben entsteht. Der Donner benötigt keinen Donnergott und für die Entstehung des Lebens benötige ich (als Christ) keinen Lückenbüßergott.

Ergo: Wir dürfen sicher über den Sinn des Ganzen rätseln und bei einer Sinnsuche viellicht auf Gott stoßen. Wir dürfen aber nicht leichtfertig naturwissenschaftliche Zusammenhänge einem "Donnergott in die Schuhe schieben".

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Nein, ist nicht fragwürdig.

An einem Ort im Universum, der über einen ausreichend langen Zeitraum über eine entsprechende Energiezufuhr verfügt, ist ein solcher Vorgang nicht unwahrscheinlich und mit physikalischen, chemischen und biologischen Vorgängen erklärbar.


forward01 
Beitragsersteller
 28.09.2020, 12:00

aber genau das ist der Punkt! Es ist doch extrem unwahrscheinlich , dass so etwas passiert..

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Rolf42  28.09.2020, 12:05
@forward01

Na und?

Über einen hinreichend langen Zeitraum hinweg und in einem entsprechend großen "Experimentierfeld" werden auch unwahrscheinliche Ereignisse mit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit eintreffen.

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der Urknall selbst war der Punkt minimaler Entropie. Auf dem weiteren Weg zur globalen Vergrößerung der Entropie kann es immer lokale Gebiete kleinerer Entropie geben, wo Arbeit geleistet wird. Das ermöglicht Leben, aber nicht unendlich lange.

Es sollte doch inzwischen jeder wissen das alles vom Fliegenden Spaghettimonster erschaffen wurde.

Alles was wir kennen auch die ganzen Religionen und Götter und Physik und und und sind von IHM gemacht.

Darum muss ich mir darüber keine Gedanken machen.

Auch aus unserer alltäglichen Erfahrung kann Ordnung nur dort entstehen, wo eine Arbeit von außen geleistet wird. Also muss es auch etwas (jemanden?) geben der die Ordnung (das Leben) auf der Erde schafft. Ist das nicht aus der Thermodynamik so??

Das ist nur in der Nähe des Thermodynamischen Gleichgewichtes so. Dieses Argument, der 2. Hauptsatz der Thermodynamik würde der Entstehung von Leben widersprechen, kommt gerne mal von Kreationisten, ist aber falsch. Meine Erfahrung ist außerdem aus Diskussionen zu diesem Thema, dass fast alle, die dieses Argument bringen, das nur nachplappern, selber aber das Wesen und die Bedeutung der Entropie überhaupt nicht verstanden haben.

Ich hole dazu etwas aus.

Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten unabhängig voneinander Rudolf Clausius und William Thomsen (ab 1892 zu Lord Kelvin befördert), dass natürliche Prozesse immer nur in eine Richtung ablaufen, was daran liegt, dass dabei Energie immer entwertet wird, indem ihre Arbeitsfähigkeit verringert wird („Dissipation of energy“). Clausius führte dann einen Äquivalenzwert für die Verminderung der Arbeitsfähigkeit ein und nannte diesen „Entropie“. 1877 leitete Ludwig Boltzmann statistisch die Größe der Entropie her, wodurch sie berechenbar wurde. In den 1960er Jahren vollendete dann H. .D. Baehr das Lehrgebäude der klassischen Thermodynamik und führte die Begriffe Exergie und Anergie in die Thermodynamik ein. Exergie ist dabei die Energie, die 0 Entropie enthält und beliebig umwandelbar (arbeitsfähig) ist, während Anergie 100% Entropie enthält und keinerlei Arbeit mehr leisten kann. Und nur nebenbei: Baehr kannte ich sehr gut persönlich, da er mein Lehrer war.

Alle, die mit der Thermodynamik und insbesondere dem 2. Hauptsatz mit der Aussage über die Entropie beginnen, beginnen mit geschlossenen Systemen nahe des Thermodynamischen Gleichgewichtes und lernen den Grundsatz „Entropie kann niemals abnehmen sondern immer nur zunehmen“. Eng an die Entropie ist auch der Zeitpfeil gekoppelt, denn wenn Vorgänge immer nur in eine Richtung verlaufen können, weil die Entropie nur zunehmen kann, dann kann auch die Zeit nur in eine Richtung laufen und andersrum, wenn die Entropie abnehmen könnte, müsste nach der klassischen Thermodynamik auch die Zeit rückwärts laufen.

Diesen Grundsatz haben auch so ziemlich alle Physiker verinnerlicht und den hatte auch Stephen Hawking bis 1986 vertreten, siehe hier:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522084.html

Und da wären wir bei Ilya Prigogine und seiner Theorie Dissipativer Strukturen angelangt.

In einem Gesamtsystem kann Entropie niemals sinken. Sie kann aber lokal in einem System sinken und dadurch neue Strukturen erzeugen. Die Senkung der Entropie lokal geschieht aber immer auf Kosten der Umwelt, deren Entropie dadurch umso schneller zunimmt. Die lokale Abnahme der Entropie ist unabdingbare Voraussetzung, dass neues wie z.B. Sonnensysteme oder Leben entstehen kann.

Wie es gelingt, dass eine lokale Abnahme der Entropie, z.B. bei der Entstehung von Leben, entstehen kann und wie diese lokale Abnahme der Entropie zur Selbstorganisation führt, wird in der Theorie Dissipativer Strukturen beschrieben.

Der Kern dieser Theorie beschreibt die Fälle, in denen Energie, und zwar viel mehr als bei obigen Systemen, aus der Umwelt in ein System gepumpt wird. Treten nun in diesem System mindesten 3 Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Systemelementen auf, dann können sich diese gegeneinander aufschaukeln und das ganze System zum Kippen bringen. Das ist der Moment der Selbstorganisation, in dem das System nach dem Kippen mit einer höheren Ordnungsstruktur das Chaos wieder verlässt.

Sowohl die ständige Entropiezunahme in geschlossenen bzw. toten Systemen als auch die lokale Entropieabnahme in lebenden Systemen hat eine gemeinsame Triebfeder. Die besteht darin, dass sich jegliche Energie versucht, so schnell wie möglich zu entwerten. Exergie versucht von alleine immer zur Anergie zu werden. Dieses bestreben der Energie, Arbeit zu leisten und dabei an Arbeitsfähigkeit zu verlieren ist die Triebkraft für alle Vorgänge in der Natur. Das geht von einfachen Prozessen wie dem Herunterfallen eines Glases vom Tisch und dem Zerschellen auf dem Boden, das bewirkt dass der Regen herunterfällt und in strudelnden Bächen und Flüssen zum niedrigsten Energieniveau, dem Meer, strebt und das bwirkt, dass Wälder abfackeln, wenn man nur einen kleinen Impuls (z.B. brennende Zigarette) dafür gibt.

Dissipative Strukturen, zu denen auch das Leben gehört, spielen sich grundsätzlich fernab des thermodynamischen Gleichgewichtes ab. Hier führt der Begriff von Unordnung im Zusammenhang mit der Entrópie völlig in die Irre. Das liegt daran, dass die statistische Herleitung der Entropie über die Vorstellung von Ordnung und Unordnung immer voraussetzt, dass sich ein System im thermodynamischen Gleichgewicht befindet. Das ist bei lebenden Systemen aber nie der Fall, die sind extrem weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt. Daher macht es hier keinen Sinn, Entropie mit Unordnung zu assoziieren, sondern da macht es nur noch Sinn, Entropie als ein Maß für die bereits erfolgte Entwertung von Energie hin zur Wärme zu betrachten.

Nun hat Prigogine festgestellt, dass in sogenannten dissipativen Strukturen, zu denen jegliches Leben gehört, die Energieentwertung, also die Umwandlung von Exergie in Anergie noch viel schneller geht, als bei rein physikalischen Vorgängen. Wenn hochwertige Energie, also Exergie, irgendwelche Voraussetzungen vorfindet, wo sie die Möglichkeit hat, sich auf diesem schnellen Weg zu entwerten und dabei besonders viel Entropie zu erzeugen, dann nutzt sie diesen Weg auch. Bei den dissipativen Strukturen, zu denen wie gesagt alles Leben gehört, tritt aber das Phänomen auf, dass in ihnen zwar enorm viel Entropie erzeugt wird, dass sie aber die Fähigkeit haben, noch schneller diese Entropie an die Umwelt abzugeben, als in ihrem inneren erzeugt wird, wodurch im Inneren solcher Strukturen bzw. Systemen die Entropie tatsächlich sinkt.

Genau dieses Phänomen, dass Leben zwar besonders viel Entropie erzeugt, aber gleichzeitig noch mehr Entropie an die Umwelt abgeben kann und dadurch die innere Entropie im Gegensatz zu toten Systemen erniedrigen kann, wird mit deinem Zitat beschrieben. Tote Systeme sind dazu nicht in der Lage. Und Schuld daran ist das Bestreben der Energie, sich so schnell wie möglich zu entwerten. Dieser ganz grundsätzliche Unterschied zwischen toten und lebenden Systemen, nämlich die eigene innere Entropie aktiv zu verringern, dient Forschern nach außeriridischem Leben als Hauptkriterium dafür, solches zu entdecken, selbst wenn es äußert exotische Formen annimmt, die wir ohne dieses Kriterium womöglich gar nicht als Leben erkennen würden. Basierende auf dieser prinzipiellen Eigenschaft von Leben ist man auch zu der Erkenntnis gekommen, dass Leben auch ohne die typischen irdischen Rahmenbedingungen entstehen kann, z.B. auch auf Silizium- anstatt auf Kohlenstoffbasis.

Mehr zur Entropie hier:

https://www.gutefrage.net/frage/kann-mal-jemand-entropie-einfach-erklaeren

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Thermodynamik im Hauptfach studiert.

grtgrt  19.12.2021, 12:17

Man sollte vielleicht noch darauf hinweisen, dass die Zeit im thermodynamischen Sinne nicht genau das ist, was wir als Zeit im intuitiven Sinne vorliegen haben: Letztere kann nämlich auch in Ausnahmefällen nicht rückwärts fließen: Sie ist einfach nur gegeben dadurch, dass sich fortlaufend Veränderung ergibt.

Ferner sollte man sich klar gemacht haben, dass die Aussage » Entropie kann niemals abnehmen sondern immer nur zunehmen « nur fast richtig ist.

Wie Brian Greene in mindestens zwei von seinen Büchern erklärt (am ausführlichsten auf den Seiten 24-33 seines Buches "Until the End of Time"), gilt tatsächlich nur: » Mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird in einem energetisch abgeschlossenen System jeder Zustandsübergang bewirken, dass die Entropie des Systems zugenommen hat. «

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