Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik dürften eigentlich keine Planeten existieren oder?

7 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Kompliment! Du stellst genau die richtigen Fragen und hast das Wesen des 2. HS offensichtlich schon weiter durchblickt als die meisten, die sich mit ihm beschäftigen.

In der Tat ist es so, dass der 2. Hauptsatz in seiner klassischen Formulierung und seiner klassischen Interpretation dagegen steht, dass Neues mit höheren Ordnungsstrukturen entstehen kann. Genau diese Frage, wie die tägliche Beobachtung um uns herum, also Himmelskörper, Natur, Leben und unsere eigene Existenz einschließlich dem Phänomen "Bewusstsein" trotz 2. HS entstehen konnte, stellte sich auch Mitte des letzten Jahrhunderts einer der bedeutensten Naturforscher des letzten Jahrhunderts, Ilya Prigogine. Dieser Frage widmete er sein gesamtes Forscherleben. Das Ergebnis seiner Erkenntnisse wird zusammengefasst die Theorie Dissipativer Strukturen (TDS) genannnt, für die er 1977 den Nobelpreis erhielt. Im Bildungsbürgertum ist Prigogine (gesprochen Prigoschin) weitgehend unbekannt, dafür in der akademischen Forschung überall dort, wo man sich mit komplexen Systemen und Selbstorganisation beschäftigt, umso mehr. Mit seiner TDS hat Prigogine die größte wissenschaftliche Revolution seit Newton ausgelöst.

Das Thema ist insgesamt sehr komplex und berührt viele verschiedene Bereiche der Natur-. Human- und Geisteswissenschaften. Da ich zu vielen Aspekten der TDS hierzuforum schon einiges geschrieben habe, erlaube ich mir, ein paar ausgewählte Links dazu anzugeben:

https://www.gutefrage.net/frage/wieso-strebst-das-universum-und-auch-unsere-winzige-erde-nach-unordnung#answer-429812027

https://www.gutefrage.net/frage/unbekannte-persoenlichkeiten-die-etwas-bewirkt-haben#answer-420838790

https://www.gutefrage.net/frage/zeit-ist-eine-illusion-2

https://www.gutefrage.net/frage/sind-die-naturgesetze-im-raum-enthalten

https://www.gutefrage.net/frage/frage-zum-thema-argumentation-ueber-ein-philosophisches-thema#answer-301173815

https://www.gutefrage.net/frage/fragen-zur-tds-dissipative-strukturen-entropiebegriff-versagen-der-klassischen-physik

https://www.gutefrage.net/frage/warum-muss-zu-jeder-wirkung-eine-ursache-existieren#answer-292883495

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Thermodynamik im Hauptfach studiert.

verreisterNutzer  18.07.2022, 11:43
Kompliment! Du stellst genau die richtigen Fragen und hast das Wesen des 2. HS offensichtlich schon weiter durchblickt als die meisten, die sich mit ihm beschäftigen.

Nein :) Ich habe nur einen Vortrag von einem Wissenschaftler angeschaut, der sich mit dem neuen Weltraumteleskop beschäftigt.

Ich bin absoluter Laie :)

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Hamburger02  19.07.2022, 10:54
@verreisterNutzer

Dann kurz dargestellt:

In Bezug auf den 2. HS in seiner klassischen Formulierung und Interpretation stimmt diese Aussage.

In der neuen Formulierung des 2.HS durch Ilya Prigoine stimmt dieses Aussage nicht mehr. Die lässt auch die Entstehung von Planeten zu.

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verreisterNutzer  19.07.2022, 11:07
@Hamburger02

Auf dem Weg zur Unordnung kann es ja auch "geordnete" Zwischenstände geben. Ob etwas geordnet ist oder nicht, ist ja auch bis zu einem gewissen Grad eine Interpretationssache.

Ich fand da auch den Link von dem anderen Nutzer über die Belousov-Zhabotinski Reaktion sehr interessant:

https://www.youtube.com/watch?v=pXZ-UTfTaOw)

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Hamburger02  19.07.2022, 11:26
@verreisterNutzer
Ich fand da auch den Link von dem anderen Nutzer über die Belousov-Zhabotinski Reaktion sehr interessant:

Solche oszillierenden Reaktionen, bei denen eine lokale Störung letztlich das Verhalten des gesamten Systems bestimmt, waren für Prigogine der Einstieg in seine Theorie dissipativer Strukturen, da diese Art von Reaktionen tatsächlich dem 2. HS in seiner klassischen Formulierung widersprechen. Er wollte genau wissen, was da eigentlich passiert und wie das zu erklären ist.

Auf dem Weg zur Unordnung kann es ja auch "geordnete" Zwischenstände geben.

Das kann man grob so formulieren.

Bildlich abstrakt kann man sich das so vorstellen, dass es im Universum große Gebiete mit hochwertiger Energie (Ordnung) gibt und große Gebiete mit wertloser Energie (Wärme, Unordnung) gibt und in der Grenzschicht zwischen beiden, in der hochwertige Energie dissipiert (entwertet) wird, spielt sich alles Werden und Vergehen im Universum ab. Durch diese Dissipation entsteht zuerst Chaos, dann aber neue, höhere Ordnungsstrukturen. Diese neuen Ordnungstrukturen sind Emergenzen, das Zusammenspiel zwischen Ordnung und Chaos ist das deterministische Chaos.

Diese Vorgänge sind die Grundlage aller Selbstorganisation von Sonnen und Planeten über das Leben bis hin zu Geist und Bewusstsein. Das Universum als Gesamtheit strebt zu immer größerere Unordnung. Es treten aber an der Grenzschicht zwischen Ordnung und Unordnung lokale Gebiete auf, deren Ordnung stark zunimmt. In diesen Gebieten wird besonders viel hochwertige Energie "verbraucht" und Entropie (Unordnung) produziert, die jedoch an die Umgebung abgegeben wird. Das Streben des Universums nach zunehmender Unordnung kann dadurch beschleunigt werden.

Als einfaches Beispiel kann der Mensch bzw. das menschliche Bewusstsein/Geits angeführt werden. Das menschliche Gehirn ist die höchste Ordnungsstruktur im gesamten Universum, die wir kennen. Aber genau diese besonders ausgeprägte Struktur von Ordnung sorgt dafür, dass mehr hochwertige Energie dissipert und Entropie erzeugt wird, als es die unbelebte Natur alleine jeweils könnte. Konkret ist damit das Verfeuern von Kohle, Erdöl und Erdgas gemeint. Die Unordnung, die wir damit schaffen, das Chaos, das wir dadurch hervorrufen, ist eines unserer größten Probleme.

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Von Experte hologence bestätigt

Auch wenn man das Universum als abgeschlossenes System ansieht (da bin ich mir gerade nicht sicher, ob es das ist, vermutlich schon), was wiederum nötig ist für deine Argumentation, bedeutet das lediglich, dass im gesamten Universum die Entropie nicht abnimmt. Durch Bildung eines Planeten nimmt an diesem Ort die Entropie ab, an anderen Orten wird sie dann aber zunehmen.

Was du meinst ist aufgrund der irreversiblen Entropieproduktion. Da Entropie nur über Wärme oder Stoffströme übertragen wird, die es beide in abgeschlossenen Systemen nicht gibt, kann in abgeschlossenen Systemen die Entropie niemals abnehmen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Maschinenbaustudent, RWTH Aachen

Der Satz gilt nicht in jedem Bezug. Er gilt für vielteilchensysteme, am besten ideale Gase in einem abgeschlossenem System. Ob das Universum eines ist, kann man drüber streiten. Was fakt ist, ist das sehr wohl die Entropie im Universum ansteigt, das Formen von Planeten etc. unterliegt gewissen physikalischen Gesetzmäßigkeiten, diese stellen praktisch Randbedingungen für die Entwicklung des Systems dar. Wenn man in einem Raum Teilchen manuel sortieren würde, könnte man auch denken, dass die Entropie abnimmt, was zwar nicht passiert (siehe Maxwell-Dämon), aber es erweckt den Anschein.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studiere Physik

der zweite Hauptsatz gilt in abgeschlossenen Systemen. Ein Planet ist weit davon entfernt, das zu sein, schließlich ist da ein G2-Hauptreihenstern vor der Haustür.


verreisterNutzer  17.07.2022, 08:17

Moment, das Universum ist aber doch ein abgeschlossenes System oder

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hologence  17.07.2022, 08:27
@verreisterNutzer

vielleicht (obwohl Horizonte den Austausch zwischen beliebigen Punkten verhindern), aber selbst in abgeschlossenen Systemen erzwingt der zweite Hauptsatz nicht einen stetigen Übergang zur Unordnung, es kann geordnete Zwischenzustände geben (wie bei der BZ-Reaktion: https://www.youtube.com/watch?v=pXZ-UTfTaOw), und die Sonne wird uns hoffentlich noch viele solcher Zwischenzustände erlauben.

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verreisterNutzer  17.07.2022, 10:04
@hologence

Jepp, aber das Fazit ist dann doch: alles stirbt irgendwann. Alles hat ein Ende. Auch das Universum.

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"Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik trifft ja Aussagen darüber, dass alle Ordnung allmählich in Unordnung übergeht. "

So ausgedrückt ist das einfach falsch. Die Ordnung im Sonnensystem ist übrigens etwas ganz anderes als die Ordnung in einem gasgefüllten Behälter. Die starke Gravitationskraft der Sonne dominiert die Bewegungen der Planeten. Die gewisse Chaotizität des frühen Sonnensystems ist längst den heutigen sehr stabilen Bewegungen der Planeten gewichen.


verreisterNutzer  17.07.2022, 17:08

Jaaa, Zwischenstände die relativ stabil sind, gibt es zwar. Aber wenn die Sonne ausgebrannt ist, dann siehts vermutlich anders aus.

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