Beispiel aus der Gegenwart für den Positivismus?

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Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Hi. Der Positivismus ist Erkenntnisweg und Problem in einem.

Zum Erkenntnisweg: Man geht davon aus, dass Wissen oder Wahrheit nur aus etwas stammen darf, was wirkliche (im Sinne von sinnlich erfahrbaren) Erfahrungsgüter sind. Dies endete in der Wissenschaftlichen Empirie: nur, was in Zahlen messbar ist (mit der Unterstellung, dass Zahlen unumstößliche Fakten sind), ist eine echte Erkenntnis. Daran hält man heute weitestgehend fest.

Es ist aber auch ein Problem: alle Wissenschaften sind in ihrer letztendlichen Instanz im 20. J.h. auf diesen Positivismus hingedrängt worden, so z.B. auch die Psychologie. Das Problem des Positivismus ist, dass Manches außer acht gelassen wird und der Welt stets unterstellt, sie sei so empirisch messbar.

Beispiel dazu, gerne Politik: Aktuell ist das Thema Emanzipation nach wie vor groß. Die letzte Wahl wurde damit bestritten, dass der Gender Pay Gap bei 21 % liegt. Und das ist Positivismus: Die mittleren Unterschiede zwischen Männern und Frauen liegen wirklich bei 21%. Nun gibt es ein Problem: dabei wurde der IT-Chefentwickler mit der Tagesmutti verglichen. Und man merkt an den Jobs: das Eine ist eher Männerbesetzt, das Andere durch Frauen. Das hatte man zunächst nicht mit betrachtet. Wenn man aber IT-Männer mit IT-Frauen sowie Tagesmuttis mit Tagesvätern vergleicht, dann liegt der Gehaltsunterschied nur bei 6%. Und erweitert man den Blick nun auf andere Vergleiche, dann liegt ein Ost-West-Paygap bei 25% und ein Gender-Death-Gap (also die Frage, ob mehr Männer oder Frauen im Job sterben) bei >90%. Da stellt sich also die Frage: ja, es gibt eine Daten-ausgangsbasis von 21% - aber was wurde hierfür alles in den Blick genommen? Denn die Wirklichkeit wurde ja - entschuldige den Ausdruck - für die Zahlenwelt verprostituiert. Sie bildet keine Wahrheit ab, wie die Welt ist, sondern immer nur das nummerische Werk der Welt. Denn wer sagt dass sich emanzipatives Gefühl im Endgehalt ausdrückt? Da hat man sich ja die Emanzipation auch nur auf ein Honorar eingedampft. Das ist die Positivismuskritik: an dieser Stelle wird klar, dass die Zahl kein Faktum, sondern nur Willkür ist. Denn sie ist a) die Unterstellung, dass alles messbar (und nicht etwa widersprüchlich) sei, wir b) immer alle Faktoren zur Bestimmung eines Ergebnisses verfügbar seien und c) all diese Faktoren objektiv gehaltene Determinanten der Realität sind. Und da stellen wir allzu häufig fest: so ist das nicht. Und wenn man nun ausschließlich Positivistische (faktische) Entscheidungen trifft, kommt man auch nicht voran.


kittycore15 
Beitragsersteller
 03.07.2018, 15:19

Vielen Vielen Dank !!

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Im Alltag begegnet man ständig Beispielen von Positivismus, manchmal recht fragwürdigen...

Zum Beispiel wird vor Gericht groß und breit erklärt und erläutert, warum ein Mörder eben so geworden ist, wie er nun ist.

Wie war seine Kindheit, was war ererbt, anerzogen oder ist durch schlechte Behandlung entstanden u. s. w.

Eigentlich sind alle Argumentationen die im politischen Raum zu Wirtschaftsfragen geäußert werden , anti-positivistisch .

Wer positivistisch argumentiert, muß mit Modellen und Statistiken hantieren, weil nur sie das empirisch Vorhandene abbilden; trotz der methodischen Probleme , die zur Nutzung einer bestimmten Statistik gehören. Aber das ist nicht eine Frage des P , sondern der Methodologie und der Methoden in den Wissenschaften.


Halbrecht  03.07.2018, 10:00

Es gibt da noch einen Spruch : Das glaube ich erst , wenn ich es sehe....... sehr posi gedacht !

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