Sind Armut, Ungleichheit, Sucht und psychische Abgründe der russischen Mentalität geschuldet?

10 Antworten

Von Experte Udavu bestätigt
Sind Armut, Ungleichheit, Sucht und psychische Abgründe der russischen Mentalität geschuldet?

Offensichtlich fördert das russische System extreme soziale Ungleichheit (große Diskrepanz zwischen Armut und Reichtum), Unterdrückung, körperliche Gewalt, psychische Erkrankungen und substanzbezogene Süchte. Natürlich trägt dazu die russische Mentalität bei und die Vorstellungen darüber, was "ein richtiger Mann" und was "eine richtige Frau" sei.

Wie bei der Henne-und-Ei-Frage ist es schwer zu sagen, was zuerst da war. Das gewalttätige russische System fördert eine gewalttätige russische Mentalität (gewalttätig gegen sich selbst und andere) und die gewalttätige russische Mentalität fördert das gewalttätige russische System. Also es verläuft wechselseitig. Es gilt das Gesetz des Stärkeren. Und wer nichts hat, ist auch nichts.

Lösungsansätze sehe ich derzeit leider nicht, weil das Problem zu tief verwurzelt ist. Es müsste ein Umsturz aus dem Volk heraus passieren, aber das erwarte ich nicht, weil die reichen Machthabenden an einem Systemwechsel gar nicht interessiert sind und deshalb Aufständische gewaltsam und brutal zurückgedrängt oder niedergeschlagen werden. Entsprechend hoffnungslos und machtlos dürften sich die Russen fühlen, die sich ein anderes, humaneres Russland wünschen. Und das fördert dann natürlich Alkohol- und Drogenkonsum. Auch der Ukrainekrieg spielt dabei eine Rolle.

Hier noch ein paar Fakten zu Alkohol- und Drogenkonsum in Russland:

Alkoholismus ist in Russland ein großes Problem: Schätzungsweise jeder fünfte Russe ist Alkoholiker. Jedes Jahr trinken sich 40.000 Menschen zu Tode. Etwa 700.000 Menschen sterben dort jährlich, weil ein Betrunkener sich ans Steuer eines Autos setzt oder eine Schlägerei anfängt.

Alkoholismus in Russland - SOS-Kinderdörfer weltweit

Die Statistiken zum Drogenkonsum in Russland sind alarmierend: Jeden Monat sterben 5.000 Menschen an Drogen. Zum Vergleich: In den USA gab es im gesamten letzten Jahr 8.000 Tote. Nach Expertenschätzungen ist Russland der mit Abstand größte Verbraucher von Heroin weltweit. Hier werden 20 Prozent der weltweiten Heroin-Bestände umgesetzt. Das ist im Vergleich dreieinhalb Mal mehr als in den USA und Kanada zusammen oder doppelt so viel wie in China. Das Durchschnittsalter der Drogentoten beträgt 28 Jahre.

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/russland-208.html

Stand: 20.06.2023

Russland: Drogenmissbrauch in Armee seit Afghanistan-Einsatz?

Für den polnischen Autoren Lukas Kamienski sei der Anstieg von Drogenmissbrauch im Krieg keine Überraschung, so der Bericht weiter. Kamienski beschäftige sich seit Jahren mit dem Zusammenhang von Drogen und Krieg, und sagt: „Für Soldaten ist eine solche Selbstmedikation oft die einzige Möglichkeit, die psychische Belastung des Kampfes und die Schrecken des Krieges zu verringern.“ Das habe man demnach auch schon bei Afghanistan-Einsätzen beobachtet. Er stellte demnach klar fest: „Die große Zahl von Soldatensüchtigen erhöhte das Risiko entsprechender Probleme in der sowjetischen Gesellschaft. Die Rückkehr der Soldaten führte zu einer Intensivierung des Drogenschmuggels aus Afghanistan und Pakistan in die Sowjetunion.“

Und auch Familien von Rückkehrern würden dies bestätigen. Die investigative Plattform Insider will Chatprotokolle ausgewertet haben - darin sei unter anderem zu lesen, dass ein Soldat an einer Überdosis gestorben sei. Er sei erst im März von seinem Einsatz im Ukraine-Krieg zurückgekommen. Das wahre Ausmaß könne man erst nach Jahren sehen, meint ein Arzt gegenüber RFE/RL. 

https://www.fr.de/politik/russland-armee-drogen-problem-rueckkehrer-ukraine-donezk-krieg-zr-92352983.html


vanOoijen 
Beitragsersteller
 17.06.2024, 00:49

Danke für diese Top-Antwort, die gleichermaßen erschreckend ist.

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vanOoijen 
Beitragsersteller
 17.06.2024, 00:59

Interessant finde ich auch diese Antwort eines Russen (zumindest nach dem kyrillischen Nickname) der Dich bestätigt:

https://www.gutefrage.net/frage/sind-armut-ungleichheit-sucht-und-psychische-abgruende-der-russischen-mentalitaet-geschuldet#answer-549740626

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orangade  17.06.2024, 13:28
@vanOoijen

Das mit den Genen glaube ich nicht.

Wenn man ein russisches Baby von liebevollen deutschen Eltern adoptieren und in Deutschland aufwachsen lässt, wird es sich psychisch anders entwickeln als in Russland. Das sind aber soziale und gesamtgesellschaftliche, systemische Faktoren, die das bedingen und nicht die Gene.

Korruption ist ein reales Problem und gehört zum Machtmissbrauch. Wer Geld hat, kann sich z.B. freikaufen, wenn es darum geht, dass die Söhne vom Militär eingezogen werden sollen, oder man erkauft sich andere Vorteile. Das ist natürlich höchst ungerecht.

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IanGaepit  18.06.2024, 10:27
Natürlich trägt dazu die russische Mentalität bei und die Vorstellungen darüber, was "ein richtiger Mann" und was "eine richtige Frau" sei.

Auch wenn dass folgende Video zum Thema, die für deinen Geschmack, in der Präsentation notwendige Seriosität vermissen lässt, könnte es dich inhaltlich vielleicht interessieren:

The "Slavic Bimbo & Tradwife" Myth

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orangade  18.06.2024, 13:45
@IanGaepit

Ich schau mir keine Videos an. Entweder du schaffst es in Schriftform, oder du lässt es.

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vanOoijen 
Beitragsersteller
 18.06.2024, 13:52
@IanGaepit

Ich kann Deine Kritik am Caspian Report teilweise nachvollziehen und stimme selbst durchaus nicht immer mit der politischen Richtung überein.

Allerdings schätze ich, im Vergleich zu übrigen Nachrichten, die klare Fokussierung auf Geopolitik und die, wie ich finde, gute Vermittlung der Essenz in komprimierter Form.

Ich finde zudem dass sich durchaus um Objektivität bemüht wird.

Nicht jeden Beitrag finde ich gut, aber seit dieser fünfteiligen Dokumentation über die Geschichte des Islam bin ich durchaus begeistert von diesem Format.

https://youtu.be/bmGREuKskXk?si=F3guy6GRDGbSh0pu

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IanGaepit  18.06.2024, 14:04
@orangade

Die Quintessenz des Videos, welches im Kern Argumentiert, dass Frauen im ehemaligen Ostblock sich im Rahmen des Endes der Sowjetunion (bzw. anderer sozialistischer Staaten) und dem daraus resultierenden ökonomischen Zusammenbruchs auf ihre "klassische Geschlechterrolle" besonnen haben, da für Frauen in dieser Zeit erst rechte keine ökonomischen Möglichkeiten bestanden, um wirtschaftlich stärkere Männer anzuziehen, ist leicht zusammenzufassen.

Dies stellt das Video der relativen Gleichstellung und weniger starken Zementierung der Geschlechterrollen, insbesondere der späteren Sowjetzeit gegenüber.

Was du damit machst ist natürlich deine Sache. Es ging um die Erweiterung deines Informationsstandes, nicht des Meinigen.

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orangade  18.06.2024, 14:12
@IanGaepit

Mir ist bekannt, dass in Russland nicht alle Frauen verdummte Hausmütterchen sind, oder als Prostituierte arbeiten (oder zumindest absichtlich so aussehen um Männern zu gefallen).

Gebildete Russinnen suchen z.B. in Deutschland nach einem Partner, weil sie keine Lust auf einen gewalttätigen Alkoholiker als Partner haben, den man in Russland leicht finden kann.

Und mir ist auch bekannt, dass es unter den jungen Russen progressive und aufgeschlossene Menschen gibt, die dann aber möglicherweise aus Russland auswandern, weil sie für sich in Russland keine Zukunft sehen.

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vanOoijen 
Beitragsersteller
 18.06.2024, 14:46
@orangade

Du hast da ein Frauenbild das nur teilweise stimmt.

"Meine" russischsprachige Ukrainerin war kein "Weibchen" auf Pumps wie Melania Trump - aber durchaus geldgeil - nur nicht unbedingt auf das Geld westlicher Männer. Sie wusste selbst wie sie Geld verdienen konnte, nämlich schwarz auf Parfumo.de durch den Ankauf und Verkauf seltener Parfums. Ihr Biotechnologie-Studium ließ sie hingegen extrem schleifen. War eigentlich nur eingeschrieben und ging seit Monaten gar nicht mehr hin.

Zudem war sie nicht dumm, hatte in Deutschland Abitur gemacht obwohl sie erst ab dem Alter von 13 hier war und zuvor kein Wort Deutsch sprach. Sie sprach elaborierten Sprachcode und ihr Wortschatz wies keine Lücke auf - was für hohe Intelligenz spricht. Akzent hatte sie dennoch unüberhörbar. Mit 8 Jahren musste sie zudem erstmal Polnisch lernen, weil die erste Zwischenstation zwischen Ukraine (Saporoschje/Saporischja) und Deutschland Polen war.

Ihre Mutter hatte tatsächlich ihren alkoholsüchtigen Ex-Mann in der Ukraine zurückgelassen und war als Geschäftsfrau nach Polen gegangen - ganz ohne Krieg, einfach für ein wirtschaft besseres Leben (klassische Wirtschaftsmigration), was auch gelang obwohl Ukrainer in Polen zu der Zeit Mitte der Neunziger nicht gut angesehen waren.

Bevor Sie Ihren neuen, jüdischen Mann, der auch aus Saporoschje stammte aber ebenfalls dann in Polen lebte, kennenlernte hatte sie in Polen schon zwei Eigentumswohnungen gekauft.

Trotzdem gingen beide, nach der Heirat, auf dem "Judenticket" nach Deutschland und mussten hier dann erstmal im Flüchtlingsheim leben, was mir meine Freundin als sehr schrecklich schilderte.

Härte war die Devise und klar war Geld der Antrieb nach Deutschland zu gehen. Die Eigentumswohnungen in Polen gab es 2015 übrigens noch immer, waren vermietet.

Jedenfalls ist die Mentalität anders. Durchaus intelligent, aber Deutschland und den Deutschen nicht unbedingt freundlich geseonnnen. Es geht tatsächlich um Geld. Nicht um Sicherheit. Ich habe da keine Illusionen mehr. Ich habe 1 1/2 Jahre mit ihr zusammengelebt.

Die Familie war übrigens innerlich genauso kaputt wie viele deutsche Familien, wenn nicht noch mehr. Es gab psychische Abgründe und Kälte.

Sowohl Mutter (auf Besuch) hat mit weinend in den Armen gelegen uns sich beklagt ihre Tochter sei sonkaltherzig zu ihr weil sie auch jung Mutter geworden war und Fehler gemacht hat. Der jüdische Stiefvater tat mir gegenüber auf deutsch freundlich und hinter meinem Rücken somderte er auf russisch unverschämte Fragen über mich aus an meine Freundin.

Aber wenn ich mich mit ihr stritt machte sie keine Szene wie meine deutschen Freundinnen allesamt, sondern verließ mit ihrem kleinen Sohn zusammen die Wohnung und ließ mich dort allein zurück. Das war ein großer Unterschied zu deutschen Frauen und eigentlich gar keine schlechte Strategie.

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Es ist nicht die russische Mentalität, sondern die Politik. Es sind die Erfahrungen der Leute. Obwohl die Systeme in den letzte 130 Jahren mehrfach wechselten, waren die Erfahrungen mit der Machtzentrale in Moskau immer die selben. Die Politik arbeitet nicht für das Volk. Der Staat stellt nur Forderungen und am Besten ist es, wenn man sich von ihm fern hält. Jeder muss selbst zusehen, wie er klar kommt. Aus diesen wenigen Punkten ergibt sich die russische Mentalität.

Das kannst Du doch jeden Tag sehen - Häuser in London, Häuser auf Zypern, Häuser und Luxus irgendwo auf der Welt - im Lande investieren können vermutlich nur Leute mit guten Beziehungen zur Nomenklatura - Rechtssicherheit gehört doch zu dem frühen Forderungen des Liberalismus und das ist nicht umsonst so...

Ich denke die Russen sind oft so alles oder nichts Typen (russisch Roulette), aber das auch sehr kurzfristig denkend (russisch Roulette). Damit auch die von dir genannten Punkte. Genie oder nichts.

Da ist beständiger Durchschnitt besser und ausdauernder und das ist eher die deutsche Mentalität

Woran liegt es ansonsten?

Was Putin sicher nicht weiß

Unterdrückung, Diktatur usw. motiviert höchstens seine Diener und Schergen, nicht aber Arbeitnehmer usw., die nicht gerade an Putins Saugnapf hängen.

Außer seinem Kriegswahn kann Putin weder seinem Volk noch anderen - souveränen - Staaten etwas anbieten.

Diktatoren können nur Gewalt bzw. dessen Androhung verbreiten.