Wie kam es dazu, dass Hochkulturen wie das alte Ägypten ihre Entwicklung nicht beenden konnten?

10 Antworten

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Völker und Kulturen entstehen, haben einen Höhepunkt und vergehen letztendlich wieder. So schließt sich immer wieder ein Kreis, in dem ständig dieselben Muster und Stufen durchschritten werden. Die Geschichte hat keinen Anfang und kein Ende, sondern läuft ewig innerhalb dieser Kreisläufe weiter.

Die Hochkulturen durchlaufen bestimmte Stadien, die man in Kurzform durch Geburt, Aufstieg, Blütezeit und Verfall definieren könnte.

Jede Kultur entsteht urplötzlich, ihr Auftauchen ist rein zufällig und nicht zu erklären. Sie erlebt eine Geburt, kommt zu einem einheitlichen Bewusstsein, das in der Phase vor ihrer Geburt nicht existiert hatte. Es folgt eine Zeit des Erwachens, des Sich-Bewusst-Werdens, eine Zeit des langsamen Aufstiegs. Allmählich entfaltet sich die Kultur, ein klares Bewusstsein ihrer selbst reift heran, sie entwickelt eine eigene Religion, eigene Künste, eine eigene Wissenschaft und ist schließlich auf dem Höhepunkt ihrer Gestaltungskraft. Doch kaum hat sie diesen Höhepunkt erreicht, ist er auch schon fast wieder überschritten. Die Kultur beginnt zu altern, sie wird künstlich, verliert ihre ursprüngliche Schöpfungskraft, wird schwächer und schwächer. Zwar erlebt sie häufig in dieser Zeit des Niedergangs noch einmal eine Größe von ungeahntem Ausmaß, doch sind gerade diese Imperien ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kultur innerlich zerfällt. Am Ende steht der völlige Zerfall der Kultur, der oft nach außen hin lange nicht sichtbar ist, sich nach innen aber unaufhörlich fortsetzt.

Schließlich erstarrt die Kultur, nimmt ihre endgültige, versteinerte Gestalt an, die sie aus eigener Kraft nicht mehr verändern kann. Der Wiedereintritt in die geschichtslose Zeit ist somit vollzogen. Was folgt, ist wieder das zoologische Auf und Ab des primitiven Zeitalters, mag es sich auch in noch so durchgeistigte religiöse, philosophische und vor allem politische Formen hüllen.


evangelista  12.08.2010, 07:16

Ich finde, dass Du eine sehr gute Erklärung gegeben hast.

Ergänzend möchte ich auf einige Gedanken eingehen

a) "Die Geschichte hat keinen Anfang und kein Ende."

Das ist eine Geschichtsschau, wie sie auch in den fernöstlichen Religionen zu finden ist. Sie wird als ewiger Kreislauf interpretiert. So wie auch das persönliche Leben, aufgrund der Reinkarnation, als Kreislauf verstanden wird.

@ Mit der Frage nach dem Sinn und Ablauf der Geschichte haben sich schon viele Menschen(z. B. Historiker, Philosophen) auseinandergesetzt.

Etliche gingen daran, überhaupt nach dem "Sinn der Geschichte" zu forschen und etwaige "historische Gesetze" zu entdecken. (Auf die Du ja auch eingegangen bist.)

@ Dabei haben sich "DREI GRUNDLEGENDE VORSTELLUNGEN" herauskristallisiert:

aa) Die Geschichte hat keine Richtung und kein Ziel(evolutionistische Vorstellung).

bb) Die geschichtlichen Ereignisse laufen nach einem sich ständig wiederholenden Kreislauf ab. (Diese These, wie es scheint, vertrittst auch Du. Sie hat ihren Ursprung in den fernöstlichen Religionen.)

cc) Die Geschichte ist linear und strebt einem Ziel zu.

Die Schau, die wir von der Geschichte und damit vom Leben haben, wird auch unser Leben im hohen Mass bestimmen.

Fortsetzung.

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evangelista  12.08.2010, 07:32
@evangelista

Fortsetzung.

Schlussfolgerung zur ersten Geschichtsbetrachtung:

@@ "Eine Geschichtsschau, die auf der Annahme beruht, dass die Vergangenheit einfach nur eine Folge von "zufälligen" und "wahllosen Ereignissen" darstellt, kann dem Menschen weder Sinn noch Hoffnung geben. Auch können wir darin keine Grundlage für das humane Verhalten des Menschen finden."

@@ Zur Geschichte als KREISLAUF:

Wie bereits erwähnt geht dieses Konzept auf die Antike zurück.

Grundlage für diese Schau liefert der RHYTHMUS der JAHRESZEITEN. Z.B. hat sich bereits HOMER vor 3000 Jahren in der ILLIAS dieses Vergleiches bedient.

Auch die RÖMER haben dieses "ZYKLISCHE KONZEPT" von den Griechen übernommen und es zu einem bedeutenden Element ihrer WELTSCHAU gemacht. So schreibt der römische Historiker SENECA:

"Der Nacht folgt der Tasg auf den Fersen. Der Tag folgt gleich der Nacht. Der Sommer endet im Herbst, und der Winter stürzt sich auf den Herbst. Der Winter wird vom Frühling verdrängt. Und so verschwindet alles in der Natur, um wieder zukehren."

Genauso wurde dieses Prinzip auf das Kommen und Gehen der Kulturen übertragen.

@ Schlussfolgerung:

Die zyklische Ansicht ist nur eine unzureichende Antwort auf das menschliche Leben. Der Mensch kann weder SINN und ZWECK in der Geschichte erkennen, die nicht mehr sein soll, als eine IRRELEVANTE ENDLOSE WIEDERHOLUNG."

Fortsetzung!

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evangelista  12.08.2010, 07:54
@evangelista

Fortsetzung.

@@ Die Geschichte als LINEARES KONZEPT.

Nach dieser Ansicht sind die Ereignisse, die die menschliche Geschichte geformt haben auf ein bestimmtes Ziel hingeordnet. Dieses lineare Konzept seiner ziel orientierten Grundannahme ist in den letzten beiden Jahrhunderten weit verbreitet worden und ein Bestandteil der modernen Geschichtsphilosophie geworden.

Jedoch ist man sich bei der LINEAREN SICHT nicht über das ZIEL im klaren. Was soll den HÖHEPUNKT der GESCHICHTE sein?

Seit dem der KOMMUNISMUS zerbrochen ist(der diese Vorstellung vertreten hat), stehen uns nur noch zwei Möglichkeiten offen:

a) FORTSCHRITT zu einer BESSEREN WELT durch Technik, Wissenschaft usw. Diese Idee wurde sehr stark im 19. Jhd. vertreten.

Doch nach zwei Weltkriegen, Wirtschaftskrisen, Umweltzerstörung, weltweiten sozialen Problemen wird das Konzept des Fortschritts in Frage gestellt.

Trotz dieser Entwicklungen hoffen doch viele Menschen darauf alle diese Menschheitsprobleme in den Griff zu bekommen, um die Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen.

Aufgrund der Gegebenheiten scheint es tatsächlich die einzige Alternative zu sein auf diese positive Entwicklung zu hoffen.

Fortsetzung.

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evangelista  12.08.2010, 08:14
@evangelista

Fortsetzung.

@ Zuletzt möchte ich zur ältesten und langlebigsten linearen Konzeption der Geschichte kommen.

Sie kommt aus dem "jüdisch-christlichen Bereich".

@ Diese gründet sich auf die Überzeugung, dass Gott dieses Universum und unsere Welt geschaffen hat(was natürlich heute anders gesehen wird), und dass dieser unsere Welt sich nicht selbst überlassen hat. (Was von vielen heute so gesehen wird.)

@ Dies schenkt uns einen bedeutungsvollen Rahmen, mit dem wir Geschichtsschau betreiben können(von der vertikalen Perspektive aus).

@ Diese Geschichtsschau finden wir bereits bei den alttestamentlichen Propheten, besonders in einer der faszinierendsten Visionen, die wir im Propheten Daniel finden. Eigentlich nimmt sie ihren Ausgangspunkt beim babylonischen König NEBUKADNEZAR, den Begründer des neubabylonischen Reiches im 6. Jhd. v. Chr.

Diese Geschichtsperspektive beginnt im 6. Jhd. v. Chr. und reicht bis zur Aufrichtung des REICHES GOTTES auf ERDEN.

Auf die geschichtlichen Detailangaben möchte ich hier nicht eingehen, aber auf das Ziel, welches für diese Welt angegeben wird:

"Aber zur Zeit dieser Könige(Herrschaft) wird der Gott des Himmels ein Reich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird; und sein Reich wird auf kein anders Volk kommen.(Auch das wird genau erklärt - Volk.) Es wird alle diese irdischen Reiche zerstören; aber es selbst wird ewig bleiben." Daniel 2 44.

@ Dieses Reich ist identischen mit jenen Reich (Vater Unser: "Dein Reich komme.", dass von CHRISTUS den Menschen angekündigt wurde, und auf das die gesamte Menschheitsgeschichte hinführt.

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hndrk 
Beitragsersteller
 12.08.2010, 13:47
@evangelista

Wow. Ich bin echt beeindruckt. Das nenne ich mal eine ausführliche und nützliche Antwort! Vielen Dank dafür.

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Semilocon  12.08.2010, 17:16
@evangelista

Gute Antwort! Schade, dass man Kommis nicht bewerten kann. Nur diesen ganzen Christenmüll hätte man sich sparen können, aber sonst sehr gut strukturiert und durchdacht!

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Semilocon  15.08.2010, 16:00
@Semilocon

Also, ich beziehe den Sinn meines Daseins nicht aus Lebenslügen, sondern aus mir selbst. (I believe in myself, I'm an atheist, halt). Daher deprimiert mich die zyklische Vorstellung der Welt nicht, aber das muss natürlich jeder selbst wissen.

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rr1957  11.08.2010, 12:57

das ist eine poetische Analogie und es ist sehr anschaulich, die Kulturentwicklung mit einem individuellen Menschenleben zu vergleichen.

Aber ist seh nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass das irgenwie stimmt.

Die Entwicklung einer Kultur ist NICHT zufällig, es gibt keine "Geburt" einer Kultur, sie hat auch kein Bewusstsein und keinen biologischen Alterungsprozess. Alles nur bunte Analogien ohne Tatsachen dahinter.

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AlsterdorfKater  10.08.2010, 14:29

Wenn ich auch nicht jede Ansicht dieser Antwort teile, so ist sie doch für mich persönlich die bestmögliche. Sachlich und präzise ausgeführt. Schön, so etwas zu lesen.

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Im Falle von Ägypten denke ich auch, dass eine gewisse Stagnation und mangelnde Flexibilität eine große Rolle gespielt haben. Die Kultur war in starkem Maße durch eine starre Ideologie geprägt. Die religiösen Vorstellungen, die im Anfangsstadium zu einer sinnvollen Organisation der Gesellschaft mit einer gut organisierten Arbeitsteilung führten, wurden zu einer alles überkrustenden Ideologie. Impulse einer sich weiter entwickelnden Umwelt wurden ignoriert, genau wie sich langsam verstärkende soziale Konflikte im Land. So fiel ein ägyptischer Staat, der längst mit dem inneren Zerfall zu kämpfen hatte, den technisch, besonders kriegstechnisch weiter entwickelten Griechen leicht in die Hände.

In Rom gab es ebenfalls erhebliche Probleme, die mit der Struktur der römischen Gesellschaft zu tun hatten, aber auch mit Umweltbedingungen. Z.B. waren durch die riesige Ausdehnung der Bevölkerung und die entsprechenden Abwässer, die durch die Kanalisation gingen, große Sümpfe in der Umgebung von Rom entstanden, von denen aus sich die Malaria verbreitete und auch die althergebrachte Oberschicht nicht verschonte, die dadurch dezimiert und geschwächt wurde. Während anfangs die römischen Patrizier eine relativ homogene Schicht waren, die ihre Herrschaftsgebiete unter einer straffen Kontrolle hielten, war dies nicht mehr aufrechtzuerhalten.Es gab einfach nicht mehr genug 'echte' römische Bürger, als sich das Reich weiter und weiter ausdehnte, um alles von echten Römern kontrollieren lassen zu können. So konnten ehemalige Plebejer und Sklaven und später wichtige Leute aus den unterjochten Staaten in wichtige und einflussreiche Stellen gelangen. Auch die Grenztruppen an den endlos langen Grenzen des Reiches waren nicht mehr nur von Original-Römern oder auch nur Italienern zu besetzen. Als dann im Rahmen der Völkerwanderung an vielen Ecken das römische Reich angegriffen wurde, hatte man nicht mehr die eisernen Kämpfer und Vertreter der römischen Interessen vor Ort wie zu Cäsars Zeiten, sondern oft Truppen, die sich lieber von ihren Landsleuten oder Stammesverwandten überrennen ließen anstatt ihr Leben für ein Rom zu opfern, das ihnen wenig bedeutete.

Das sind nur einige Aspekte - insgesamt spielen bei solch einer Entwicklung immer viele Gesichtspunkte eine wichtige Rolle.

dazu gibt es eine einfache Erklärung, die Du bei Herodot und bei Plato nachlesen kannst, welche das aber beide jeweils von den ägyptischen Wissenschaftlern ("Priester" ist eine Fehlübersetzung) erfahren haben: die Hochkultur in Ägypten wurde durch wiederholte Naturkatastrophen immer wieder vernichtet bzw. weit zurückgeworfen.

In der Antike entwickelten sich Kulturen zu Hochkulturen, indem sie wie ein überdimensionaler Staubsauger die kulturellen Errungenschaften der Nachbarvölker aufsogen und nach eigenen Vostellungen zur Vollkommenheit weiterentwickelten! Solche Entwicklungsprozesse gingen nur in den seltensten Fällen ohne Eroberungskriege ab und endeten zumeist mit der vollständigen Integration des unterlegenen Nachbarvolkes ins System der siegreichen Macht. Die Geschichte ist reich an Beispielen d. g. Art! Warum aber vergehen solche Hochkulturen im Verlauf ihrer Geschichte? Ich will versuchen, diese Frage mit einigen Beispielen zu verdeutlichen:

Wenn Menschen im Laufe ihres Lebens alle ihre gesteckten Ziele erreicht haben, ruhen sie sich zumeist auf ihren vermeintlichen Lorbeeren aus. Es setzt ein schleichender Degenerationsprozess ein, der den zielgerichteten Willen lähmt sowie die Bequemlichkeit und das Wohlleben stärkt. Das lässt sich sehr schön mit dem Sprichwort ausdrücken, "wer rastet der rostet", Stillstand bedeutet jedoch immer Rückschritt! Andere drängen nun nach oben, inspiriert durch Neid oder so heere Ziele wie die qualitativ höchsten Ansprüche für sich persönlich- oder für die ihm unterstellten Menschen zu verwirklichen!

Ein Bergsteiger, der seinen höchsten Gipfel geschafft hat, muß ja irgendwann auch mal wieder runter vom Berg. Im Laufe der Zeit verschwindet dessen Motivation, auch im Hinblick auf die nachlassende körperliche Verfassung und er kann sich Rückblickend auf die großartigen Unternehmungen seiner aktiven Vergangenheit freuen und seine Erfahrungen an nachrückende weitergeben.

So war es in der Vergangenheit, so ist es gegenwärtig und so wird es auch zukünftig im Leben der Völker sein. Wir folgen alle völlig automatisch wie ferngelenkte Roboter einem Naturgesetz, auf das wir programmiert sind! Ich hoffe, mit diesen Erklärungen einiges verständlich rübergebracht zu haben?

Vermutlich ging es dabei um dasselbe, was man heute in den hochentwickewlten Ländern feststellen kann: Gier, eine alles zerstörende Eigenschaft der Menschen, die nie genug haben .