Existiert überhaupt ein Induktionsproblem?

Ich bin heute in der Bibliothek zufällig auf ein altes Buch gestoßen, in welchem mit sehr einfachen Worten Popper "widerlegt" wird, und ich muss gestehen (als bloßer "Hobby-Philosoph"), dass die Argumente bestechend sind... ich würde dem gerne etwas entgegensetzen, schließlich ist Poppers Falsifikationismus doch heute die geltende Wissenschaftstheorie... würde mich also für folgenden Textabschnitt, den ich einfach mal im Ganzen abschreibe, über Gegenargumente freuen:

"Karl R. Popper gilt heutzutage allgemein als der Philosoph, der das Induktionsproblem gelöst habe. Hier jedoch liegt ein Irrtum vor.
Popper hat zwar das Induktionsproblem formal ausgeschaltet, indem er behauptet, wissenschaftliche Erkenntnisse würden einfach auf 'kühne' Weise erraten. Aber eine eingehendere Betrachtung der Erkenntnisproblematik kann zeigen, daß Poppers Ausschaltung des Induktionsproblems nicht aus der Problematik herausführt, sondern lediglich die eine Seite der Problematik verläßt und in die andere Seite hineinmündet: Anstelle eines Induktionsproblems entsteht ein Deduktionsproblem [alle Hervorhebungen im Original].
Dieses Deduktionsproblem beinhaltet zwei Aspekte:
1. Ein Wissenschaftler kann z.B. behaupten, daß in dem Schema des Popperschen Lösungsversuches die Beobachtung die allgemeingültige Theorie gar nicht falsifizieren kann; und zwar ausgerechnet deshalb nicht, weil eben die Beobachtung der Theorie widerspricht. Der Wissenschaftler kann sich auf den Standpunkt stellen, daß eine Theorie für widersprüchliche Beobachtungen einfach nicht zuständig sei.
2. Auch das Umgekehrte kann der Wissenschaftler geltend machen. Er kann von irgendeiner - vielleicht gar nicht zuständigen - Theorie willkürlich behaupten, sie sei für eine widersprüchliche Beobachtung zuständig. Und aus diesem Grunde sei jene Theorie von nun an falsifiziert.
[...]
7. Beispiel: Das schließlich bevorzugte Beispiele zur Demonstration des Induktionsproblems ist der Satz von den weißen Schwänen: 'Alle Schwäne sind weiß.' Dieser Allsatz sei angeblich mit der Entdeckung schwarzer Schwäne widerlegt worden.
Daß auch bei diesem Beispiel die Zuständigkeit des Allsatzes verweigert werden kann, deutet z.B. Thomas S. Kuhn an: 'Der betreffende Vogel soll eben kein Schwan sein, weil er schwarz ist.' Selbstverständlich könnte nun argumentiert werden, daß es ja nicht die Farbe, sondern ganz bestimmte Größen- und Formbesonderheiten seien, was das Wesen der Schwäne ausmachen würde, und daß deshalb mit der Entdeckung eines entsprechenden Vogels der Allsatz eben doch falsififiziert sei. Doch eine solche Argumentation verfängt sich rasch in unauflösbaren Widersprüchen. Es ist nämlich auch ein junger Schwan sehr wohl ein Schwan; trotzdem unterscheiden sich seine Form- und Größenbedingungen (oder gar erst die Form- und Größenverhältnisse eines Schwaneneies!) so radikal von der Größe und Form eines erwachsenen Schwanes, daß auch in der Größe und Form des Tieres sein 'Wesen' nicht leichthin gefunden werden kann. Deshalb stellt sich die Frage, was in dem Allsatz 'Alle Schwäne sind weiß' mit dem Wort 'Schwan' eigentlich gemeint sei?
Wer beim Aufstellen dieses Allsatzes so etwas wie das Wesen der Schwäne im Auge gehabt hätte, wäre natürlich nicht auf den Gedanken gekommen, zu behaupten, alle Schwäne seien weiß. Denn dieses Weißsein gehört ja gerade nicht zum Wesentlichen der Schwäne, gehört nicht zur Erscheinungsform aller Schwäne. Wer also das Wesen eines Schwanes kennen würde, wäre davor behütet, falsche und falsifizierbare Aussagen zu hypothetisieren.
[...]
Es kann die Betrachtung der Beispiele von Karl R. Popper zusammengefaßt werden:
Aus keinem der genannten Beispiele geht hervor, daß das Induktionsproblem gelöst sei. Jedesmal erscheint das Induktionsproblem in verwandelter Form wieder als Deduktionsproblem. Keines der Beispiele kann die Behauptung stützen, daß der Falsifikationismus das Wesen der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung richtig erfasst hätte."

Achso, und, damit die Überschrift nochmal klarer wird, hier noch ein zitierter Abschnitt, ein paar Seiten weiter:

In der erkenntnistheoretischen Tradition, die sich von David Hume bis Karl R. Popper erstreckt, herrscht der Glaube an das Induktionsproblem. Man ist der Auffassung, daß es unmöglich sei, von den Ereignissen oder Zuständen der Vergangenheit - 'induktiv' - auf die Ereignisse oder Zustände der Zukunft zu schließen. Es wird aber nicht bedacht, daß man für dieses Schlußfolgern überhaupt erst einmal begriffen haben muß, daß man für dieses Schlußfolgern überhaupt erst einmal begriffen haben muß, um was es sich bei den vergangenen Ereignissen oder Zuständen eigentlich gehandelt hat, was das Wesentliche dieses Vergangenen gewesen ist.
Wissenschaft, Erkenntnistheorie, Kant, Naturwissenschaft, Philosophie, Wissenschaftstheorie

Meistgelesene Beiträge zum Thema Wissenschaft