Es kann verschiedene Erklärungen dafür geben, wieso du keine (romantischen?) Gefühle für andere Menschen empfindest. Manche davon hängen mit psychischen Erkrankungen zusammen, manche auch nicht. Entscheidend ist, ob du deshalb einen Leidensdruck verspürst, also ob du wirklich von dir aus mehr bzw. anders fühlen möchtest, oder ob deine Motivation mehr ist da einer Vorstellung der Gesellschaft zu entsprechen.
Um ein bisschen zu ergründen, was dafür bei dir die Ursache sein könnte ist es wichtig dass du nicht nur auf deine romantischen Beziehungen schaust sondern auf deine Gefühle generell.
Würdest du sagen du hast einen Zugang dazu? Was sind Emotionen die du wirklich fühlst und bewusst wahrnimmst? Spürst du die auch körperlich, oder eher in deinem Kopf? Wie gehst du dann damit um, besonders auch mit als unangenehm empfundenen Gefühlen? Wie gehst du mit Anspannung um, als unangenehm empfundenen Situationen, etc?
Wie ist das mit anderen Menschen in deinem Leben, Familie Freunde etc., würdest du sagen dass du für diese Menschen Zuneigung empfindest? Fühlst du dich Leuten wirklich nah, lässt du sie an dich heran, oder bleibt eher immer eine kleine Distanz bestehen? Wie gehst du damit um wenn es dir wirklich schlecht geht, was ist dein erster Impuls, an wen wendest du dich? Würdest du sagen, du kannst Gefühle bei anderen Menschen wahrnehmen und darauf reagieren? Würdest du dich als empathisch bezeichnen?
Wenn du sagst, du fühlst nichts für andere Menschen, sprichst du dann nur von fehlendem romantischen Interesse, einer Gleichgültigkeit allgemein, oder wie würdest du das beschreiben? Empfindest du ein anfängliches Interesse an Menschen und es kommt dann nicht zu tieferen Gefühlen, oder fehlt diese romantische Anziehung ganz?
Wenn du einen Leidensdruck spürst und dich gerne damit auseinander setzen möchtest, was da in dir vorgeht kann das ein Ziel für eine Therapie sein, selbst wenn du sonst keine weiteren Symptome haben solltest. Wenn nicht ist das aber auch völlig in Ordnung!
Ich kenne was du beschreibst gut von mir. Ich bin ca so alt wie du und habe mich mit dem Thema vor einigen Jahren begonnen auseinander zu setzen. Eine Zeit lang habe ich mich als aromatisch und asexuell identifiziert, das hat mir in der Zeit sehr geholfen und ich hatte auch endlich Worte dafür zu beschreiben, wie ich mich fühle, die nicht nur einen "Fehler" bei mir beschrieben haben. In meiner Therapie, die ich eigentlich aus ganz anderen Gründen begonnen hatte, kam das ganze dann wieder auf und wurde von meinem Therapeuten damals als Symptom meiner sozialen Angst eingeordnet. Ich konnte das damals gar nicht hören, war nicht an dem Punkt mich damit wirklich auseinander zu setzen und auch noch sehr weit davon entfernt einen Zugang zu meinen Gefühlen zu finden und echte Nähe zu anderen Menschen in irgendeiner Form zuzulassen - im Nachhinein betrachtet war es auch genau das, was mich davon abgehalten hat, wirklich Gefühl für jemanden zu entwickeln, denn so habe ich mich von vornherein davor geschützt, jemandem nah zu werden. Nach meiner ersten Therapie habe ich mich eine ganze Weile zwanghaft am Dating versucht um mich selbst davon zu überzeugen, dass ich das doch kann, natürlich eher erfolglos, denn Gefühle kann man nicht erzwingen. Aber irgendwas ist wohl doch hängen geblieben aus der Therapie, in den letzen Monaten habe ich große Fortschritte mit mir und meinen zwischenmenschlichen Beziehungen gemacht, gelernt meine Emotionen und Bedürfnisse wahrzunehmen und im Kontakt mit anderen Menschen weniger eine Rolle zu spielen. Als ich vor einem halben Jahr meine neue Therapie begonnen habe war mich auf romantische Beziehungen einlassen zu können eins meiner Ziele, und jetzt bin ich tatsächlich gerade das erste Mal in meinem Leben wirklich verliebt. Ich warte immer noch darauf, dass wie ich das von mir kenne alle Gefühle plötzlich verschwinden und ich merke, dass ich mich nur wieder in etwas reingesteigert habe, wir ich das so gut kann. Aber bisher passiert das nicht, und es fühlt sich auch tatsächlich anders an als sonst und ich bin ganz fasziniert weil ich nicht dachte, dass das etwas ist, was für mich passiert.
Ein kleiner Roman, sorry! Ich weiß nur wie sehr ich mit dem Thema immer gehadert habe und wie schwer ich es fand bzw finde darüber zu sprechen. Wenn du dich darin irgendwie wiedererkennst und das Gespräch fortführen möchtest schreib mir gerne. Auch falls nicht wäre meine Zusammenfassung vielleicht einfach: es muss sich nicht um eine schwere psychiatrische Erkrankung handeln und es kann auch sehr gut sein dass du noch lernst, zu fühlen, wenn du das möchtest.