"Goethes Weimar hat Buchenwald nicht verhindert" von August E. Hohler
"[...] Weimar, ohne Zweifel, war ein Hort der Kultur, aber diese Kultur war nur für wenige da: für eine kleine Elite, für die happy few der damaligen Zeit, für einen erlauchten Kreis, für die Mächtigen und Besitzenden. Mag wohl sein, daß diese Kultur „die reinste herrlichste Menschheit“ im Auge hatte; den konkreten Menschen in seiner höchst realen Not, den hungernden, unwissenden, unterdrückten Menschen erreichte sie nicht. Humanität als bloßes Bildungsideal war damals, und auch später, für die über- wältigende Mehrheit keine wirkliche Hilfe; und selbst unter den Privilegierten, welche solch humanisti- scher Bildung teilhaftig wurden, war sie keine Garantie für menschliches Verhalten. Goethes Weimar, man weiß es, hat das KZ-Buchenwald, das gute hundert Jahre später in seiner unmittelbaren Nähe errichtet wurde, nicht verhindert. Das ist möglicherweise kein Einwand gegen Goethe, wohl aber ein Vorbehalt gegenüber seiner absoluten Autorität – gegenüber der Autorität jeder „großen Kultur“, auf deren „Grundriß immer wieder das Ungeheuerlichste möglich geworden ist, Menschenschändung jeder Art und jeden Ausmaßes“, um es nochmals mit Max Frisch zu sagen. [...]"