Wieso decken sich meine Erfahrungen nicht mit dem Ergebnis des "Glücksreports"?
Laut diverser Studien (z.B. https://www.spiegel.de/wirtschaft/world-happiness-report-deutschland-im-gluecksreport-nicht-mehr-unter-den-20-gluecklichsten-laendern-a-429d1b27-621d-4fac-b65e-1773d821f2dd) zur Lebensfreude von Menschen verschiedener Länder sind regelmäßig die nordischen Länder Europas, wie Schweden, Finnland und Island die "glücklichsten der Welt".
Als ich in Finnland war, erlebte ich das irgendwie anders. Ich sah die Menschen selten lachen und als ich einem Finnen sagte, dass ich Helsinki doch sehr ruhig an einem Samstagabend finde, verglichen mit anderen Hauptstädten, sagte er mir "If you don't like it here, get the hell out of Helsinki". Lebensfreude und Glücklichsein sehen für mich irgendwie anders aus.
Außerdem sind doch Finnland und Norwegen regelmäßig bei den Selbstmordstatistiken ganz vorne mit dabei, was bisweilen auf die langen, dunklen Winter und die mangelnden Sozialkontakte aufgrund der dünnen Besiedelung zurückgeführt wird.
In Island, ebenfalls in den Top 3 der glücklichsten Länder, waren die Leute auch recht reserviert. Ich sah dort kaum lachende Gesichter und selbst die junge Reiseführerin wirkte eher kühl und unnahbar, anstatt herzlich und offen.
Da habe ich in Ländern in Südeuropa wie Portugal, Spanien oder auf Inseln wie Teneriffa, Madeira und Malta für mein Empfinden weit mehr Lebensfreude bei den Einheimischen gesehen.
Wie seht ihr das? Habt ihr auch ähnliche Erfahrungen gemacht?
Und wie kommen diese Ergebnisse von Lebensfreude-Studien zustande, wo die nordischen Länder immer gewinnen?
1 Antwort
Ich war in Island und in Finnland. Und - komischerweise - habe ich die Leute da anders erlebt. In Finnland wohnt ein Freund (seine Freundin ist aus Deutschland), den finde ich eigentlich sehr witzig und ausgeglichen.
Und ich fand Finnen auch nicht reserviert. Wir waren auf einem Konzert (das einzige Auto mit deutschem KFZ Kennzeichen, sonst nur finnische), das war richtig lustig (die Band "Eläkeläiset" war auch mal in Wacken, glaube ich). Alte und junge Menschen gleichermaßen.
Eine ältere Dame sprach uns in Lahti auf Englisch an - wir haben über Gänse und alles Mögliche geredet. Ein Mann war mit 2 Hunden unterwegs, er hat lange in Mitteleuropa (Belgien) gearbeitet, wollte danach aber wieder in seine Heimat mit den vielen Seen.
Finnen mögen schwarzen Humor. Wenn ein Menschenfresser in eine Sauna einbricht, und die Leute auffrisst, dann spuckt er nur den Schweden wieder aus, weil der ja nicht schmeckt. Selbst im (ehemaligen) Frauenknast in Hämeenlinna gibt es eine Sauna.
Finnen sind oft schwarzhumorig bis skurril (die Klamotten, die man auf dem Konzert sah, waren schon schräg). Trotzdem mag ich sie irgendwie.
Oder vielleicht gerade deswegen?
Klar, es gab auch Leute wie Matti Nykänen (Skispringer) und Olavi Virta (Sänger), die früh gestorben sind, was vor allem - ähnlich wie bei manchen Russen - am Alkohol lag. Und Russland grenzt an Finnland.
Und Isländer verstehen sich wie eine große Familie ("wenn Sie nach X fahren, grüßen Sie doch den Y von mir..."), man kennt sich untereinander, ist aber auch Fremden gegenüber freundlich.
Klar, im Winter kann es da kalt und dunkel werden. Da verstehe ich es schon, wenn man dann düstere Gedanken bekommt. Und wenn in Westisland ein Unwetter (aus Grönland kommend) aufzieht und die dunklen Wolken über den baumlosen, kahlen Felsgipfeln stehen, ist das schon bedrückend (aber auf mich hat es mitunter beeindruckend gewirkt, gruselig, aber auch irgendwie sehr eindrucksvoll).
Wir waren im Sommer dort, aber selbst ein Sommer-Unwetter ist da schon eine düstere Angelegenheit. Die Isländer sagen manchmal, dass bei Kälte und Dunkelheit die Toten aus den Gräbern kommen - und sei es auch nur, um sich am Herd zu wärmen. :)
Isländer sind hart, aber herzlich. Der berühmte Raufbold Egill Skallagrímsson war einerseits ein gefürchteter Wikinger (mit ihm legte man sich besser nicht an), aber er war auch ein Dichter. Und auf den isländischen Friedhöfen sieht man sowohl Gewichtheber (Symbol auf dem Grabstein: ein Muskelmann) als auch Schriftsteller (ríthöfundur). Und Isländer lesen - also in Büchern.
Island ist einerseits modern (überall Handyempfang, besser als hier), aber andererseits auch charmant altmodisch (die alten Geschichten, die alten Bücher, der Glaube an "Feen" usw.).
Ich bin ja auch kein Südeuropäer, mir liegt diese manchmal etwas kauzige aber dennoch freundliche Art der Nordeuropäer - sicher gibt es auch dort Ausnahmen.
Manche Schweden sind "deutscher" als manche Leute hierzulande. Die meisten sind dennoch recht locker.
Ja, das kommt immer drauf an, auf welcher Seite man stand. Wenn man in dem Kloster war, welches von Wikingern überfallen wurde, war es sicher ziemlich schlimm. Ging bestimmt ziemlich hart zu, damals. :)
Andererseits sind Wikinger auch viel rumgekommen (sogar in den Nahen Osten, die haben arabische Münzen angeschleppt).
Danke für diesen doch etwas anderen und tieferen Einblick, als ich ihn hatte. Hört sich dann doch recht nett an. Wahrscheinlich habe ich diese "harte aber herzliche" Art und das Familiäre als Verschlossenheit und Unnahbarkeit mißinterpretiert.
Witzig fand ich, dass auf den Faxe Dosen der wilde Wikinger (ich denke es war Erik der Rote) als "Entdecker" bezeichnet wird, während er andernorts eher als brandschatzender Mörder und wilder Krieger dargestellt wird.