Wie viele Franzosen sprachen Französisch (Parisisch) zum beginn des Ersten Weltkriegs?
Meine Frage kommt daher, dass in Frankreich zur Zeit der Napoleonischen Revolution nach Henri Grégoire nur zirka 12% der Franzosen Französisch (Parisisch) sprachen. Ich hatte mal irgendwo aufgeschnappt, dass es 25 % waren, hab aber vergessen, wo, und leider habe ich bis auf diese Erhebung nichts Weiteres gefunden. Des Weiteren würde ich gern wissen, wie weit entfernt die Sprachen jeweils von einander sind. Dass Bretonen, Basken und Wallonen sich nicht verstanden haben, ist mir klar. Aber wie sieht es zum Beispiel mit Okzitanisch und Parisisch aus? Oder Picardisch?
In Österreich-Ungarn gab es zum Beispiel das Gesetz, dass es nur drei unterschiedliche Muttersprachler in einem Regiment geben darf, daher die Frage, inwieweit sich die Dialekte sich ähneln.
PS: Haben die unterschiedlichen Dialekte auch etwas mit der etwas langsameren Industrialisierung zu tun sowie dem sehr langsamen Bevölkerungswachstum im 19 und 20 Jhdt.?
Für Antworten wäre ich sehr dankbar, auch wenn es ein ziemliches Nischenthema ist!
3 Antworten
Prozentzahlen kenne ich leider nicht. Aber ich habe (auch im deutschen oder im schwedischen Sprachraum) ein Interesse an dialektalen Varianten oder abweichenden Sprachen.
Die deutsche Wikipedia zählt Picard ebenso wie Standardfranzösisch zu den langues d’oïl, Okzitanisch ist dagegen eine langue d’oc, daher auch der Name einer Landschaft "Languedoc").
Im Norden (also sagen wir mal Nord-Pas-de-Calais) trinkt man den Kaffee gerne schwarz, aber 'à la sucette' (mit einem Stück Zucker im Mund). Und es gibt die 'bistouille', café avec un peu de genièvre, also mit Genever, einem Wacholderschnaps. Was in Belgien eine 'friture' ist, gibt es dort natürlich auch, die 'baraque à frites'.
Die Vokale sind oft verschoben, statt j'étais und ils étaient sagt man dort j'étos und is étotte (Tendenz zum o). Die prägnantesten Konsonantenverschiebungen sind das k- in Wörtern wie catiau oder kien oder keval (château, chien, cheval) (eigentlich hat nur das Zentralfranzösische hier eine Konsonantenverschiebung gehabt, denn in der lateinischen Sprache war dort auch ein k- phonetisch gesehen) und das ganz typische sch- in Wörtern wie merci (dort 'merschi').
Südfranzösisch vermeidet die standardfranzösischen Nasale (also eher 'du peng du veng et du raiseng' statt 'du pain du vin et du raisin'), somit klingt es schon fast so wie Katalanisch (und auch ein wenig wie Italienisch). Die dortigen Leute sehen Okzitanisch (links) meist schon als eigene Sprache an.
La nuèit e la pluèja e lo gèl, La nuit et la pluie et le gel
Pas una estela dins lo cèl... Pas une étoile dans le ciel...
Quora tornarà l'alba? Quand tournera l'alba?
Encara canta pas l'aucèl... Encore chante pas l'oiseau...
Quora tornarà l'alba? Quand tournera l'alba?
Statt l'oiseau (der Vogel) sagt man also l'aucèl. Das lateinische Wort war mal 'aucellus' (kleiner Vogel im Gegensatz zu 'avis'). Und 'canta' hat wieder das lateinische k- (siehe oben) statt des zentralfranzösischen ch- in chante, siehe auch 'cantare' (italienisch). 'La pluèja' ähnelt dem italienischen 'la pioggia' (der Regen).
Man müsste das nun irgendwie quantifizieren (über 'similarité lexicale' oder 'l'intelligibilité mutuelle', aber ich habe da bisher leider keine Daten gefunden, nur rein qualitative Aussagen).
Zumindest früher gab es wohl ein Dialektkontinuum, Südwest-Okzitanisch ging ins Katalanische über, Südost-Okzitanisch (Provençal) ins Italienische. Übrigens ist auch Monegassisch eher mit dem Italienischen verwandt als mit dem Standardfranzösischen.
Und auch Korsisch (auf Korsika) ähnelt eher dem Italienischen.
Jedoch erfuhr Okzitanisch schon seit etwa 1300 einen Rückgang, im Laufe des 19.Jahrhunderts wurde auch privat immer weniger Okzitanisch gesprochen. Heute sprechen nur noch weniger als 30% der Südfranzosen diese Varianten (vielleicht inzwischen auch weniger als 20%).
Das ist ähnlich wie mit Plattdeutsch, früher war dies weit verbreitet, aber nach der Verbreitung des Standarddeutschen war nach Luthers Zeiten ein Rückgang zu verzeichnen. In Hameln spricht man heute ein fast perfektes Standarddeutsch, die Aufschriften auf den Häusern (spätes Mittelalter oder danach) sind aber plattdeutsch.
Seit dem Mittelalter sprechen alle Franzosen Französisch mit ihrem regionalen Akzent. Seit den Jules Ferry-Gesetzen 1881-1882 gibt es in Frankreich ein Schulpflicht. Alle Kinder lernen das Standard-Französisch und müssen es können. Regionalsprachen wurden sogar bekämpft.
Zu Beginn des I. Weltkrieges konnten alle französischen Soldaten das Standard-Französisch mit ihrem regionalen Akzent.
Da Frankreich eine Monarchie seit langen war, wurde die gleiche Sprache gesprochen. Zumindest am Hof des Königs!
Die beiden Sprachen "langue d'oc" und "langue d'oil" wurden ab 1634 durch die "akadémie française" vereinheitlicht und gepflegt, nachdem Richelieu zur Zeit von Louis XIII gründete.
https://de.wikipedia.org/wiki/Acad%C3%A9mie_fran%C3%A7aise
https://de.wikipedia.org/wiki/Langues_d%E2%80%99o%C3%AFl
https://de.wikipedia.org/wiki/Okzitanische_Sprache
Voltaire hat die Sprache der "akadémie française", dem er später auch gehörte, in den verschiedenen europäische Höfe gelehrt.
Aber die Bevölkerung der Hauptstadt, die nicht direkt mit dem Hof zu tun hatte, blieben vermutlich beim eigenen Dialekt!
Übrigens ist wallon französisch, du hast es mit flamand (flämisch) verwechselt!
hast du vielleicht irgendwelche Erhebungen oder Schätzungen aus der Zeit vor diesem Gesetzt ? Zum Beispiel wie es im Deutsch-Französischem Krieg aussah mit der Verständigung der Soldaten unter einander ? Meines Wissens nach ist Okzitanisch näher mit Katalan und Italienisch Verwand als das Standard Französisch.