Was versteht man unter dem Gedicht?
Hallo
ich brauche Hilfe. Was versteht man unter:
Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
zur Marseillaise, dem alten Sonnenuntergang.
Das Gedicht ist von Georg Heym Berlin 3
was bedeutet auch:
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.
4 Antworten
Das ist ein ganz schön deprimierender Text. - Naturalismus?
Der erste Vers beschreibt die Jahres- und Tageszeit: Ein Wintertag und Sonnenuntergang. Stell dir folgendes Bild vor: Wolkenverhangener, dunkler Himmel, am Horizont der Lichtstreifen der bereits untergegangen Sonne. Der dunkle Himmel über dem Horizont ist der "niedre Saum", die "goldne Stufe" ist der Lichtstreifen zwischen Horizont und dunklem Himmel.
Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
Sie = Die Toten des Armenfriedhofs.
Sitzen strickend = Die Körperhaltung eines Strickenden und eines Toten ist ähnlich. Zum anderen waren Nähen (und Stricken) eine wichtige und schlecht bezahlte Einnahmequelle für die Armen.
An der Wand entlang = Meine Vermutung wäre hier, dass die Leichen aus den Armengräbern an die Wand gelegt wurden (Zwecks Umbettung?).
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
Im ersten Vers werden die Schornsteine erwähnt. Damals wurden die Abgase rausgepustet wie sie waren. Der Ruß hat sich - besonders in einer Industriestadt wie Berlin - entspechend verteilt. Und sich als eine Art Mütze auf den Skeletten der Toten abgesetzt.
zur Marseillaise, dem alten [Sonnenuntergang] Sturmgesang.
Die Marseillaise: Das Lied der französichen Revolution. Hier setzt Heym dem bis hier sehr dunklem Text einen Hauch von trotziger, revolutionärer Hoffnung gegenüber.
Die Stadt ist Schwarz wie ein Moloch. Die Sonne spendet weder Wärme noch Licht ( die goldene Stufe= Sonne ) Sie ist nur vorhanden ( niederer Saum ). Die dritte und vierte Strophe gehören zusammen. Die Toten auf dem Friedhof schauen nicht, sondern sehen, die Apokalypse, schmeckt wie starker Wein ( unangenehm,) das Rote, bezieht sich auf den Kommunismus oder auf den bevorstehenden Krieg. Die Leichen ( nacktes Schläfenbein ) stricken ( denken nach ) über die franz. Revolution ( verbrannte Jakobinermützen und Marseillaise= Sturmgesang ) die die Apokalypse auch nicht verhindern konnte.
Es handelt sich hier um eine drastische Fantasie des lyrischen ich’s, die deutlich machen soll, dass man in dieser Welt erst nach dem Tod und damit ohne Hoffnung auf Besserung ein bisschen Revolution spielen kann.
Dass sie an der Wand sitzen und mit Ruß stricken, wie auch immer das gehen soll.
Ich interpretiere so, wie ich möchte. Es ist schließlich Interpretationssache.
Das kannst du gerne für dich machen - wenn du aber mit anderen über ein Gedicht reden willst, musst du dich schon um nachvollziehbare Überlegungen zum Gedicht bemühen ;-)
Auf dieser Seite findest du die Herleitung dieser Interpretation:
https://textaussage.de/georg-heym-berlin-iii