Was meinte Tillichs mit „Glaube ist das Ergriffensein von den was uns unbedingt angeht“?

3 Antworten

Grüß Dich butterbrot1505!

Die Frage ist sehr gut und sehr wichtig das zu klären! :-) Um die Frage zu beantworten muss aber weiter ausgeholt werden, sonst hast Du nichts davon. Daran kommen wir nicht vorbei, um es gut zu verstehen und um nicht verwirrt zu werden! Zuerst muss erklärt werden, was Religion eigentlich ist!

Was ist Religion überhaupt?

Es gibt keine allgemeingültige aber eine sehr nahekommende Definition von Religion, die ich am Besten finde. Und zwar ist das die von Gustav Mensching, die wohl am ehesten den Begriff erklärt und auch als klassisch anerkannt ist.

Religion ist erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen“.

Nicht mehr und nicht weniger!

Da wäre aber noch zu klären, was heilig bedeutet:

Wikipedia:

Heilig bezeichnet etwas Besonderes, Verehrungswürdiges und stammt wortge-schichtlich von Heil ab, was sich abgeschwächt noch in heil („ganz“) wiederfindet. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist heilig ein im Zusammenhang mit Religion gebrauchter Begriff mit der zugedachten Bedeutung „einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder Absoluten angehörig“.

Heilig muss aber nicht unbedingt ein Gott oder müssen irgendwelche Götter oder Geister oder einzelne Menschen sein, sondern kann (sollte!) das Leben selbst sein, mit all seiner Vielfalt! Danach wäre alles heilig, jeder Mensch (auch Du), jede Pflanze jedes Tier und die Materie.

Das was in Wikipedia als Heilig definiert wurde ist dann der Inhalt von Religion, - der Glaube! Das was Religionen genannt wird, sind eigentlich Glaubensarten.

Und dann gibt es noch den Begriff Spiritualität. Das wurde früher Frömmigkeit genannt, wird aber auch noch heute hin und wieder verwendet. Der Begriff sagt aus, das wenn jemand sein Leben nach seinem Glauben ins Handeln umsetzt und somit sein Leben danach ausrichtet, spirituell ist bzw. Spiritualität besitzt (kurze Anmerkung schon hier: Leben in der Tiefe). Das wird mit einer friedlichen und nicht aggressiven Lebenshaltung in Verbindung gebracht .

Nun zu Tillich:

Paul Tillich (Ev. Theologe,1886-1965) 

entwickelt einen Religionsbegriff, der den sinnlosen Gegensatz von Glaube und Wissen überwindet. Sein "weiter" Religionsbegriff verbindet Religion mit dem Sinn des Lebens. Die "Dimension der Tiefe" im Leben spielt bei ihm eine entscheidende Rolle.

Zitat:

"...Viele Menschen sind von etwas ergriffen, was sie unbedingt angeht; aber sie fühlen sich jeder konkreten Religion fern, gerade weil sie die Frage nach dem Sinn ihres Lebens ernst nehmen. Sie glauben, dass ihr tiefstes Anliegen in den vorhandenen Religionen nicht zum Ausdruck gebracht wird und so lehnen sie Religion ab 'aus Religion'.

Meine Anmerkung:

Religion beschäftigt sich mit dem Grund warum etwas ist und nicht nichts. Damit ist, wie oben von mir beschrieben, noch lange kein Gott (als Person) gemeint, der in irgendeiner Ausformung geglaubt wird. Es gibt aber Art und Weisen des Glaubens, die inhaltlich den Menschen dazu zwingen, in bestimmter Weise zu glauben, zu handeln und zu fühlen und daher mehr oder weniger starke autoritäre Züge besitzt.

Sie glauben, dass ihr tiefstes Anliegen in den vorhandenen Religionen nicht zum Ausdruck gebracht wird und so lehnen sie Religion ab 'aus Religion'.

D.h.: Religion ist mehr als die Glaubensarten inhaltlich vorschreiben. Die Religionen sind, wie bereits geschrieben, eigentlich Glaubensweisen. Und diese werden in zunehmenden Maße von Menschen aus Religion wegen ihrer vorherrschenden autoritären Wesensart abgelehnt. Religion soll seinem Wesen nach den Menschen befreien, sinngebende Aufgabe besitzen, wobei Philosophie auch im eweiterten Sinne Bestandteil von Religion sein kann (Stichwort Metaphysik https://de.wikipedia.org/wiki/Metaphysik) , denn die Sinnfrage, die jeder selbst unabhängig ergründen muss, ist nämlich damit essentiell, also unaufgebbar verbunden. Damit wird Religion ganz anders interpretiert als ständig allgemein so dahingesagt bzw. kolportiert wird.

Ergriffenheit ist ein religiöses Gefühl (in der Tiefe/Tillich) das von dem nicht mehr lebenden Schriftsteller Victor Hugo anhand von Musik folgendermaßen hervorragend beschrieben wurde.

Seine Aussage:

"Musik drückt das aus, worüber man nicht sprechen kann aber zu schweigen unmöglich ist".

Dieses Gefühl kennt eigentlich jeder.

Das betrifft alle Erscheinungen im Sein nicht nur die Musik, denen wir staunend und sprachlos gegenüberstehen, aber doch in irgendeiner Weise ausdrücken müssen. Dieser Drang ist zwar nicht unterdrückbar, wird aber recht oft nur rudimentär oder nur scheinbar wahrhaftig ausgelebt. Da wäre für viel noch Luft in die Tiefe. Da müsste es Anleitungen geben, die dies in freier Weise mit und in unserer Seele ermöglichen. Damit ist kein Glaubenszwang gemeint sondern Bildung und das ist mehr als nur Wissen anhäufen. Das hat auch etwas mit der Erlernung von Demut dem Leben gegenüber zu tun.

Der Ausdruck Demut kommt von althochdeutschdiomuoti (‚dienstwillig‘, also eigentlich ‚Gesinnung eines Dienenden‘). Der Demütige erkennt und akzeptiert aus freien Stücken !, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt. Im Sinne von befreiender Religion ist damit kein Gott gemeint, sondern das schöpferisches Prinzip im Sein, also ein ES kein DU.

Das ist bei Tillich mit Tiefe gemeint.

Weiterhin sagt Tillich:

"Diese Erfahrung lehrt uns, zu unterscheiden zwischen Religion als Leben in der Dimension der Tiefe und den konkreten Religionen, in deren Symbolen und Einrichtungen das religiöse Anliegen des Menschen Gestalt gewonnen hat. Wenn wir die Situation des heutigen Menschen verstehen wollen, müssen wir von dem Wesensbegriff der Religion ausgehen und nicht von einer spezifischen Religion, auch nicht dem Christentum."

Den Wesensbegriff habe ich ganz oben aufgeführt (aus Wikipedia zitiert).

Ich hoffe Du bist dem Wesen von Religion nach Tillich näher gekommen und was er mit der Tiefe meint und vielleicht auch etwas davon Dir gespürt.

Herzlichen Gruß

Rüdiger


Ich muss bei der Sache Schmunzeln :)

Sagen wir es so: Weißt du was Glaube ist, wenn du nicht Ergiffen von Etwas bist? Weißt du "was dich unbedingt angeht"? Bist du dir deiner Lebendigkeit bewusst und kannst du sie wahrhaftig spüren? Ich denke das wird mir Ergriffensein gemeint. Im bezug zum Glauben: Zu Glauben, dass dieses Gefühl der Existenz NIEMALS endet..Und das, ja das ist unglaublich ergreifend :)

Viele Ausdrucksweisen der Poesie versteht man eben nur mit dem Herzen. Und wenn man dann kein Dichter-Herz hat, die Gedanken und Gefühle des Schreibers nicht teilen kann, ja wie will man ihn da verstehen? Ein Leser kann einen Schreiber nie gänzlich verstehn, solanbge er nicht selber zu schreiben beginnt. Aber wodrüber?! ;)


vonGizycki  22.04.2018, 19:21

Deldri!

Sehr gut ausgedrückt!

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Butterbrot1505 
Beitragsersteller
 22.04.2018, 19:05

Vielen Dank, das hat mir schon sehr geholfen!

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Gerne sende ich Dir den Link für die Antwort:

http://www.dober.de/reli-rallye/tillich.html


Butterbrot1505 
Beitragsersteller
 22.04.2018, 19:04

Das hatte ich schon gelesen, allerdings nicht so wirklich verstanden, dennoch vielen Dank!

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