Was ist stoische Apathie?

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An den Stoikern, vor allem im Kontrast zu den Epikureern, kann man gut erkennen, wie wichtig es ist, bei philosophischen Schulen und Lehrmeinungen auf die metaphysische Basis zu achten. Metaphysische Grundannahme der Stoiker war der Glaube, dass ein Göttliches dem gesamten Sein (Welt, Universum) eine Grundordnung gibt. Aufgabe des Menschen ist es, sich da hinein zu fügen, diese Ordnung zu erkennen und freiwillig in Demut darin seinen Platz einzunehmen. Aus dieser Demut entspringt dann die sprichwörtliche stoische Gelassenheit. So gesehen glaubten die Stoiker bereits an Fama, Kismet und hatten bei ihrer Auffassung von der Welt wie vom Menschen einen stark deterministischen Zug.

Dagegen steht die Grundüberzeugung des Epikur, für den das Göttliche mit der Welt nichts zu tun hat, außer einer gewissen Vorbildfunktion. Das Sein ist ewige Materie (Parmenides) in fortwährender Bewegung (Heraklit, Leukipp, Demokrit). Bei Demokrit war das atomistische Seins- und Weltmodell wie bei den Stoikern stark deterministisch (Uhrwerk ohne Freiheit). Durch das Prinzip der zufälligen Abweichung gibt Epikur den Menschen die Freiheit zurück. Ziel des Menschen ist nicht, Glück zu suchen in Befolgung eines göttlichen Plans sondern Glück im Lebensverlauf selbst in freier Verantwortung zu finden.

Der Satz: Carpe Diem hat daher für beide Schulen eine vollkommen andere Bedeutung. Für die Stoa bedeutet er: Nutze den Tag, um den göttlichen Plan zu erfüllen. Für Epikur bedeutet er: Nutze den Tag, in freier Verantwortung das Glück deines Lebens zu schaffen.

Auch liest man immer wieder im Vergleich von Stoa und Epikureismus, dass beide gleichermaßen das Glück als höchstes Gut bewerteten. Das stimmt aber nicht. Für die Stoa ist Glück eingebettet in eine göttliche Ordnung und nur dann realisierbar, wenn man sich in diese göttliche Ordnung einfügt. Für die Stoa stammt die Bewertung „höchstes Gut“ nicht von Menschen sondern ist eine göttliche Qualifizierung. Für Epikur gibt es ein höchstes Gut in diesem Sinne nicht. Auch nicht im platonischen Sinne als Idee. Für Epikur gibt es in der Natur Leitmarkierungen wie Schmerz und Freude und ein naturgegebenes Streben entlang dieser „Warnbojen“ Schmerz zu meiden und Freude zu suchen. Lebensglück ist für Epikur – ähnlich wie später für Nietzsche oder den Existentialismus – eine „Gestaltungsaufgabe“ des aktuellen Lebens. Beurteilung ist erst im nachhinein möglich.

Man kann allerdings sagen, dass ein Großteil der Philosophie Epikurs darin besteht, die „Lebensfallen“ deutlich zu machen, die einem vom persönlichen Weg in ein erfülltes Leben abhalten können. Angst ist eine sehr wichtige Falle. Aber auch Wünsche und Verlockungen, weil sie die autarke Person einer Fremdbestimmung unterwerfen. Der epikureische Weise ist vor allem ein selbstbestimmter Mensch, der Freundschaft sucht mit anderen selbstbestimmten Menschen in der Absicht gegenseitiger Befruchtung nicht gegenseitigen Ausnehmens. Der Stoiker Seneca nimmt eine Mittelstellung ein. Er hat Epikur sehr geschätzt und bekennt sich zu einer aktiveren Selbstgestaltungsrolle des Menschen in einem "göttlichen Rahmen". Da für Epikur ein weises Leben auch ein "naturgemäßes" Leben war, liegt hier der Schlüssel zum Kompromiss.


PxxyP 
Beitragsersteller
 12.05.2012, 18:06

Ich danke für diese sehr hilfreiche und ausführliche Antwort. Ich werde diese Antwort als hilfreichste auszeichnen, weil sie genau das beinhaltet, was ich suchte. Sehr guter Überblick!

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Das Freisein von Affekten und Leidenschaften eines der obersten Ziele sittlicher Selbsterziehung.


PxxyP 
Beitragsersteller
 12.05.2012, 17:13

danke, ist mir echt hilfreich.

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