Was haltet ihr von der FDP bzw. den freien Demokraten?

8 Antworten

Liberalismus war ursprünglich der Gedanke, dass sich alle Menschen frei, nach ihren persönlichen Vorstellungen entwickeln, ihr Leben gestalten können. Freiheit war insbesondere das Freisein von Beeinträchtigungen durch den Staat. Der Staat sollte nur insofern wirken, als er die Freiheit seiner Bürger schützte und absicherte. Er sollte Menschenrechte - das, was wir in unserer Verfassung die "Grundrechte" nennen - garantieren und für die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz sorgen.

Liberalismus war eine Idee des Bürgertums, das sich wirtschaftlich entfalten, seinen Besitzstand wahren und politische Mitsprache im Staate erhalten wollte. Jede Gängelung durch den Staat sollte ausgeschlossen sein. Gerade der wirtschaftliche Liberalismus führte aber dazu, dass eine riesige Anzahl armer Menschen zum Problem wurden, die nur ihre Arbeitskraft "verkaufen" konnten und für geringe Löhne schuften mussten, mit denen sie kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten (Stichwort: "Soziale Frage").

In der Bundesrepublik entschied man sich daher für das Konzept einer "sozialen Marktwirtschaft". Zwar mischte sich der Staat nicht direkt ins Wirtschaftsleben ein, aber er setzte gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa Arbeitnehmermitbestimmung (über die Gewerkschaften), und schuf ein arbeitnehmerfreundliches, von den Arbeitgebern mitzufinanzierendes Sozialsystem mit Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Ursprünglich wurde das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" auch von der FDP mitgetragen.

Diese Einstellung der FDP hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Die sozialen Errungenschaften der Bundesrepublik werden von der FDP und ihrer Anhängerschaft zunehmend als Last empfungen. Die soziale Absicherung wird als staatliche Gängelung ausgegeben und sog. "Eigenverantwortung" von den Menschen gefordert. Im Klartext bedeutet das: die Arbeitgeber wollen sich aus der paritätischen Finanzierung des Sozialsystems herausziehen und die Belastungen mehr und mehr allein den Arbeitnehmern aufbürden: im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist das bereits teilweise gelungen - nicht nur wesentliche und teure Leistungen (Brille, Zahnersatz, Hilfsmittel u. a. für Behinderte) wurden gestrichen, sondern auch den Arbeitnehmern höhere Beiträge aufgelastet -; die Renten wurden gekürzt; für viele Krankenleistungen, für eine ausreichende Pflege und Renten werden den Arbeitnehmern teure, von ihnen allein zu finanzierende Zusatzversicherungen empfohlen. Alle diese Sozialkürzungen und zusätzlichen Belastungen zum Nachteil der Arbeitnehmer entsprechen voll und ganz den Vorstellungen der FDP, denen die "Eigenverantwortung" der Arbeitnehmer noch nicht weit genug geht - immerhin steigen die Gewinne zahlreicher Arbeitgeber auf nie gekannte Höhen, die für ihre Gewinnsteigerungen mit weiteren Steuerentlastungen von der FDP belohnt werden sollen. Nach den Vorstellungen der FDP müssten auch die arbeitnehmerfreundlichen Gesetze überarbeitet werden, um den lästigen Kündigungsschutz immer weiter einzuschränken und schließlich abzuschaffen. Was die FDP übersieht: immer mehr Menschen verdienen nur noch wenig Geld, weil der Tendenz zu Dumpinglöhnen vom Staat - und den Gewerkschaften - nicht der nötige Widerstand entgegengesetzt wird. Ein steuernder Eingriff des Staates wäre mit der FDP nicht zu machen, die auch den (völlig unzureichenden) gesetzlichen Mindestlohn ablehnen. Wie die erwähnten Arbeitnehmer mit geringem Einkommen "Eigenverantwortung" betreiben könnten, darüber macht sich die FDP offenbar keine Gedanken und hat dazu auch keine politischen Konzepte.

Fazit: Die FDP hat sich vom Konzept der "sozialen Martwirtschaft" fast gänzlich abgewandt und nähert sich wieder den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, in dem das wohlhabende Bürgertum den verarmten Schichten keine Rechte auf staatliche Unterstützung zubilligen wollte, sondern allenfalls eine gnädige Mildtätigkeit aus christlicher Verantwortlichkeit. Aber das Christentum und seine Vorstellung von Mildtätigkeit aus Nächenstliebe spielt heute eine immer geringere Rolle und hat vorallem im heutigen, rein auf Pofit und Steuerersparnis ausgerichteten marktwirtschaftlichen Liberalismus keinen Platz mehr. Wer zu den Reichen, Wohlhabenden zählt, ist bei der FDP gut aufgehoben. Auf einen tragischen Umstand ist noch hinzuweisen: die Abwendung von der sozialen Marktwirtschaft und diese "Lawine" der Sozialkürzungen haben vorallem die Grünen und in erster Linie die SPD in Gang gesetzt und zu verantworten, die sich damit den Vorstellungen der FDP weit geöffnet haben. Die "Soziale Frage" wird in absehbarer Zeit wieder große Bedeutung haben.

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.

Ich halte generell auch wenig von der FDP, aufgrund ihrer Finanzpolitik. Wenn Du wissen möchtest, ob sie Dir einen Vorteil bringt, hätte ich ein zwei Vorschläge

Diese Expertise hat bewertet, wie sich die Steuerreformvorschläge der Parteien für die Bundestagswahl 2021 auf die individuellen Einkommen auswirken. Man sieht deutlich, dass die FDP die "Reichen" bevorzugt: Je reicher, desto mehr Steuererleichterung. Schau es Dir einfach mal an...

ZEW_Kurzexpertise2105.pdf

Auch das Manager-Magazin, was ja eigentliche auch marktliberal ist, hat kritische Punkte aufgezählt. Gerade der Staatshaushalt hätte ein riesiges Problem.

Bundestagswahl 2021: Steuerpläne von CDU, CSU, SPD, Die Grünen, FDP, Die Linke und AfD im Vergleich - manager magazin (manager-magazin.de)

Die Begründung für die Steuersenkungen ist die, dass dann die Reichen/Unternehmen mehr investieren. Dieser sogenannte "Trickle Down Effect" wird von marktliberalen Parteien seit Jahrzehnten gepriesen, hat sich aber nie eingestellt. Im Gegenteil: Die Schere zwischen Arm und Reich in diesen Ländern hat sich vergrößert. Z.B. unter Reagan oder Thatcher. Es ist also eher eine Legimitation, Steuern zu sparen, während die Ärmeren kaum profitieren.

Was ich auch äußerst problematisch finde, ist, dass die FDP das Thema Mindestlohn in ihrem Programm überhaupt nicht anspricht. Um ein Leben ohne Altersarmut zu führen, bräuchten in Deutschland derzeit weit über 10 Millionen Menschen einen deutlich besseren Lohn. Corona hat die Sache nicht verbessert. Für diese ganzen Menschen zahlt der Staat im Alter Geld aus, z.B. dass die Rentner eine Wohnung bezahlen können. Mit einem ordentlichen Mindestlohn könnte man den Staat entlasten, was die FDP ja eigentlich nach außen hin immer fordert. Aber das wäre eine Entlastung auf Kosten ihrer Wähler! Wolfgang Grupp, der Chef von TRIGEMA, hat schon vor Jahren gesagt, dass es eine Schande ist, dass man über einen Mindestlohn diskutieren muss, denn ein Vollzeitarbeiter sollte davon auch ordentlich leben können. Viele (nicht alle!!!) Unternehmen und eben auch die FDP sehen das aber anders.

Auch das Thema "Freier Markt", dass die FDP ja immer anführt, ist problematisch. Auch die FDP unterstützt Eingriffe des Staates in den Markt, aber in Form von Subventionen statt öffentlichen Verboten. Es werden in Deutschland z.B. Kohle, Diesel und Dienstwagen subventioniert und die FDP kritisiert das in ihrem aktuellen Wahlprogramm nicht. Während sie also Parteien, die weiter links zu verorten sind, als Verbotsparteien darstellen, die die "Freiheit" der Wirtschaft einschränken, machen sie das gleiche, aber eben implizit. (Die LINKE fordert z.B. die Abschaffung gewisser Subventionen)

Und wenn in Deutschland mal wieder ein Dorf für den ohnehin unrentablen Kohleabbau weichen muss, könnte man ja auch argumentieren, dass somit den dortigen Einwohnern verboten wird, da zu wohnen. Diese ganzen Eingriffe in den Markt, die die FDP fördert, werden aber eher unter den Teppich gekehrt, denn würde man sie öffentlich diskutieren, würde die FDP blöd dastehen. Denn Freiheit ist relativ und sie setzen sich eben deutlich für die Freiheit ihrer Wähler ein.

Nichts.

Der politische Liberalismus in Deutschland trat immer schon als Dualismus auf: hier Wirtschaftsliberalismus - dort Bürgerrechtsliberalismus.

Eine Zeitlang gelang es der FDP nicht nur, diesen Dualismus in ein sozialliberales Gesamtkonzept zu integrieren. 

Mittlerweile aber setzt sich der wirtschaftsliberale Flügel durch, betreibt ungeniert Klientelpolitik und Umverteilung von unten nach oben und engagiert sich nur noch marginalisiert für Bürgerrechte.

Der Abstieg der FDP parallel zum Verschwinden ihrer sozialen Kernwählerbasis in Gestalt des lokalen innerstädtischen Einzelhändlers hat die FDP aus den Parlamenten gespült. Das wird auch langfristig das zentrale strukturelle Problem bleiben. 

Einstweilen erlebt sie ein Zwischenhoch, das sich aus den Unzufriedenen der GroKo speist, denen die (zu recht) AfD zu schmuddelig ist, die aber wenig bis gar keine Vorstellungen davon haben, was die FDP inhaltlich vertritt.

Die Grundidee der Freiheit ist super. Das gefällt mir sehr gut. Allerdings sind sie zu sehr auf den Gedanken fixiert, dass Freiheit hauptsächlich die Freiheit ist möglichst viel Kohle zu scheffeln. Sie sind mir zu extrem kapitalistisch. Wenn ich die FDP wählen würde hätte ich das Gefühl meine Stimme gleich den Großkonzernen geben zu können.

Absolut nichts. Gilt als Partei die Klientelpolitik macht.

Ihre Klientel natürlich.