Warum spielt Moral in der Therapie keine Rolle?
Hallo Ihr Lieben :) !
Gleich vorab: Ich habe weder Psychologie studiert noch irgendwann im Leben persönliche Erfahrung im Bereich Therapie gesammelt; die folgende Frage ist also definitiv aus einer Laien-Perspektive heraus gestellt (wie man wohl schnell erkennen wird). Mein Wissen beschränkt sich auf Internetrecherche und das ein oder andere populäre Buch im Stile von Stefanie Stahl und Konsorten; bzw. Literatur im Bereich Meditation/Achtsamkeit.
In letzter Zeit treibt mich treibt mich eine subjektiv empfundene "Leerstelle" im Bereich der Psychologie und deren Behandlungsmethoden um, die ich als doch eklatant empfinde: Moralische Werte des Individuums. Ich meine das so: Sowohl die westliche Psychologie und die dortigen Therapieansätze als auch östliche Schulen bzw. daran angelehnte (Jon Kabat Zinn wäre so ein Name) legen viel Wert auf Selbstfürsorge, innere Freiheit, gute zosiale Bindungen usw. - aber dem moralischen Wertegerüst der Patientin oder des Patienten wird gar keine Beachtung geschenkt.
Dabei sind Menschen für Ihre Werte in allerhöchstem Maße bereikt, auch ganz bewusst und langfristig zu Leiden - oder zumindest manche.
Gandhi hätte Anwalt sein können, anstatt sich fast zu Tode zu hungern (was er sicher durchgezogen hätte). Und auch diverse Protestbewegungen der Gegenwart gehen ja immer mehr gegen und teils über Grenzen. Man mag davon halten was man will, aber eines ist sicher: Diese Leute würden bestimmt auch lieber ein erfülltes Leben mit Freunden, gutem Job und Familie führen. Und das wissen sie auch und sagen es regelmäßig in Interviews.
Warum kommt das in den gängigen Ansätzen nicht vor?
Bei den östlichen Ansätzen ist das ja sogar einigermaßen präsent. So wurde schon öfter angemerkt, dass glaube ich die Navy auch Meditation zur Vorbereitung nutzt. Das Konzept als solches ist also zunächst amoralisch. Aber die westliche Therapie, in der Glaubenssätze, Inner Team, Inneres Kind usw. im Vordergrund zu stehen scheinen (sage ich als Laie), nimmt davon auch in höchst brisanten politischen Zeiten keinerlei Kenntnis, wie mir scheint. Ein großes Versäumnis, denn damit - sollte ich Recht haben - katapultiert sie sich doch mehr und mehr selbst ins Aus.
Ich wüsste auch nicht, wie ein modifizierter Ansatz aussehen könnte. Klar ist, er müsste weniger auf direkter Steigerung der Lebensqualität beruhen, sondern mehr die innere Konsistenz der Patienten ins Zentrum rücken. Aber letztere ist ja ein Grundbedürfnis. Wir alle wollen innere Widersprüche um jeden Preis verhindern, sobald sie uns auffallen.
Daher die Frage:
Übersehe ich hier etwas? Dann würden mich Quellen interessieren. Das Teilgebiet der Moralpsychologie scheint mir etwas anders gelagert zu sein und mehr die Entstehung der Moral zu beleuchten, nicht so sehr die Auswirkungen.
Oder habe ich Recht? Wie konnte so etwas Wichtiges über ein Jahrhundert, in dem es politisch hoch herging, einfach so unter den Tisch fallen? Verstehe ich so gar nicht, und es stimmt mich auch sehr bedenklich...
Danke!
6 Antworten
Das ist mal eine wirklich gute Frage!
Psychotherapiesysteme gehen in der Regel davon aus, dass es Menschen dann gut geht, wenn sie in Übereinstimmung mit ihrem Inneren handeln und eine Psychotherapie versucht, diese Übereinstimmung herzustellen.
Das Menschenbild von Psychotherapeuten ist nun ein eher positives. Ganz explizit ist das in der Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers zu sehen, wo z.B. ein immanenter Drang des Menschen, zu wachsen, sich zu entwickeln postuliert wird.
Psychotherapeuten bemühen sich auch in den meisten Fällen, Patienten und ihre Handlungen gerade nicht zu beurteilen, sondern so anzunehmen wie sie sind. Diese Haltung geht wieder davon aus, dass Menschen "eigentlich" gut und soziale Wesen sind und Gutes für sich und andere wollen.
Von dieser Position aus braucht man keine Moral, sondern eine Hilfe "den wahren (guten) Kern" zu entdecken und danach handeln zu lernen.
Aktuell gibt es in der Psychotherapiewelt aber auch Tendenzen und Diskussionen, vom rein individualistischen Ansatz wegzukommen und z.B. das Thema Umwelt(erhaltung) mit in den Blick zu nehmen.
Danke Dir sehr; interessante Antwort :) ! Mich hat v.a. gewundert, dass der Aspekt "Gerechtigkeitsgefühl" (im erweiterten Sinne) mir so unterrepräsentiert erscheint. Klar, das Thema kommt bestimmt vor. Aber wenn man an die Motivation von Menschen wie Gandhi, Bewegungen wie FFF oder ähnlichen denkt, dann fehlt da gefühlt doch eine Ebene (sage ich mal wieder als Laie ;) ). Dabei habe ich sogar mal gehört, dieser Gerechtigkeitswunsch wäre schon bei affen nachgewiesen worden... Spannend!
Die Wertestruktur eines Menschen spielt nach meiner Erfahrung in vielen Lebenssituationen eine wesentliche Rolle, selbstverständlich auch in der Therapie. Ohne dass ich nun alle Therapieformen und Therapieinhalte kenne, bin ich davon überzeugt, dass die moralischen Einstellungen eines Menschen berücksichtigt werden, wenn sie für die Therapie relevant sind.
Die Psychoanalyse arbeitet zum grossem Teil an der Bewusstmachung des Verdrängten. Verdrängt wird vom Patientem oder der Patientin das was durch die herrschende Moral nicht gebilligt wird. Um das Verdrängte hervorzuholen und bewusst zu machen muss der Therapeut insofern in dem Zusammenhang die moralische Zensur der Gesellschaft abschalten.
Warum sollte sie. (?)
Seit wann hat Moral etwas mit Meditation zu tun ?
Was erhoffst Du dir von moralischen Glaubenssätzen in der Therapie ??
Moral ist ein gesellschaftliches Konstrukt, nur Eines von sehr vielen, die zu einem Krankheitsausbruch führen können. Ziel der Therapie ist, dysfunktionale Prägungen abzustreifen, das trifft insbesondere auf viele Moralvorstellungen zu.