Warum gehört, laut Nietzsche, ein verheirateter Philosoph in die Komödie.?

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Eine Komödie ist ein Theaterstück mit humoristischem Inhalt. Sie dient der Belustigung. Menschen und ihr Verhalten werden Gegenstand des Lachens.

Eine Aussage, ein verheirateter Philosoph gehöre in die Komödie, bedeutet, er mache sich lächerlich, sei eine Witzfigur.

Die Vorstellung ist, ein verheirateter Philosoph sei genötigt, sich stark um lästige Alltagsaufgaben zu kümmern, könne in Auseinandersetzungen darum geraten, gebe dabei keine großartige Figur ab und werde von hochfliegenden Gedanken abgehalten.

Sokrates wird von Nietzsche als großer Philosoph anerkannt und als Ausnahme hingestellt. Er habe sich anscheinend nur ironischerweise verheiratet, um den Satz (Ein verheirateter Philosoph gehört in die Komödie) zu beweisen. Abweichend von seiner eigenen Darstellung in „Menschliches, Allzumenschliches“ (Sokrates habe Xanthippe vor der Ehe nicht gut genug erkannt, sonst hätte er sie nicht gesucht, auch wenn sie für ihn insofern passend gewesen sei, als sie ihn durch ein ungemütliches Heim weiter in die ihm eigentümliche Aufgabe des Philosophierens in Gesprächen mit Leuten auf der Straße und anderswo getrieben habe) legt Nietzsche hier zugrunde, Sokrates habe seine Ehefrau Xanthippe gezielt nach gutem Erkennen ihrer Persönlichkeit ausgesucht. Angenommen wird, Sokrates habe eine übellaunige streitsüchtige, zänkische Ehefrau Xanthippe gewählt, bei der eine Zuwendung zum Philosophieren durch einen Anreiz, sich fort von ihr außer Haus aufzuhalten, verstärkt worden sei, was im Gegensatz zu einem Normalfall einer das Philosophieren störenden Bindung an Ehefrau, Haus und Kinder gestanden habe.

Der Zusammenhang bei dem Satz ist eine Behauptung Nietzsches, bei einem Philosophen sei gegenüber der Sinnlichkeit ein angespannt-gereizter Zustand und eine Feindseligkeit, ebenso eine Voreingenommenheit und Vorliebe für das asketische Ideal typisch. Dies beruhe auf einem Streben nach möglichst günstigen Bedingungen, unter denen die Kraft ganz herauslassen und sein Maximum im Machtgefühl erreicht werden könne. Alle Störungen und Hindernisse dabei würden perhorresziert (mit Abscheu zurückgewiesen/abgelehnt). Dazu gehöre die Ehe (Nietzsche hat 1876 nach wenigen Begegnungen Mathilde Trampedach einen von ihr nicht angenommenen schriftlichen Heiratsantrag geschickt und 1882 vielleicht zeitweilig Heiratsabsichten in Bezug auf Louise [Lou] von Salomé gehabt), die wie eine Fessel an die Enge des Hauses schmiede und Freiheit verbaue. Im asketischen Ideal gebe es dagegen viele Brücken zur Unabhängigkeit.

Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887). Dritte Abhandlung:Was bedeuten asketische Ideale? 7:

„Es besteht unbestreitbar, so lange es Philosophen auf Erden giebt und überall, wo es Philosophen gegeben hat (von Indien bis England, um die entgegengesetzten Pole der Begabung für Philosophie zu nehmen) eine eigentliche Philosophen-Gereiztheit und -Rancune gegen die Sinnlichkeit — Schopenhauer ist nur deren beredtester und, wenn man das Ohr dafür hat, auch hinreissendster und entzückendster Ausbruch —; es besteht insgleichen eine eigentliche Philosophen-Voreingenommenheit und -Herzlichkeit in Bezug auf das ganze asketische Ideal, darüber und dagegen soll man sich nichts vormachen. Beides gehört, wie gesagt, zum Typus; fehlt Beides an einem Philosophen, so ist er — dessen sei man sicher — immer nur ein „sogenannter“. Was bedeutet das? Denn man muss diesen Thatbestand erst interpretiren: an sich steht er da dumm in alle Ewigkeit, wie jedes „Ding an sich“. Jedes Thier, somit auch la bête philosophe, strebt instinktiv nach einem Optimum von günstigen Bedingungen, unter denen es seine Kraft ganz herauslassen kann und sein Maximum im Machtgefühl erreicht; jedes Thier perhorreszirt ebenso instinktiv und mit einer Feinheit der Witterung, die „höher ist als alle Vernunft“, alle Art Störenfriede und Hindernisse, die sich ihm über diesen Weg zum Optimum legen oder legen könnten (— es ist nicht sein Weg zum „Glück“, von dem ich rede, sondern sein Weg zur Macht, zur That, zum mächtigsten Thun, und in den meisten Fällen thatsächlich sein Weg zum Unglück). Dergestalt perhorreszirt der Philosoph die Ehe sammt dem, was zu ihr überreden möchte, — die Ehe als Hinderniss und Verhängniss auf seinem Wege zum Optimum. Welcher grosse Philosoph war bisher verheirathet? Heraklit, Plato, Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant, Schopenhauer — sie waren es nicht; mehr noch, man kann sie sich nicht einmal denken als verheirathet. Ein verheiratheter Philosoph gehört in die Komödie, das ist mein Satz: und jene Ausnahme Sokrates, der boshafte Sokrates hat sich, scheint es, ironice verheirathet, eigens um gerade diesen Satz zu demonstriren. Jeder Philosoph würde sprechen, wie einst Buddha sprach, als ihm die Geburt eines Sohnes gemeldet wurde: „Râhula ist mir geboren, eine Fessel ist mir geschmiedet“ (Râhula bedeutet hier „ein kleiner Dämon“); jedem „freien Geiste“ müsste eine nachdenkliche Stunde kommen, gesetzt, dass er vorher eine gedankenlose gehabt hat, wie sie einst demselben Buddha kam — „eng bedrängt, dachte er bei sich, ist das Leben im Hause, eine Stätte der Unreinheit; Freiheit ist im Verlassen des Hauses“: „dieweil er also dachte, verliess er das Haus“. Es sind im asketischen Ideale so viele Brücken zur Unabhängigkeit angezeigt, dass ein Philosoph nicht ohne ein innerliches Frohlocken und Händeklatschen die Geschichte aller jener Entschlossnen zu hören vermag, welche eines Tages Nein sagten zu aller Unfreiheit und in irgend eine Wüste giengen: gesetzt selbst, dass es bloss starke Esel waren und ganz und gar das Gegenstück eines starken Geistes. Was bedeutet demnach das asketische Ideal bei einem Philosophen? Meine Antwort ist — man wird es längst errathen haben: der Philosoph lächelt bei seinem Anblick einem Optimum der Bedingungen höchster und kühnster Geistigkeit zu, — er verneint nicht damit „das Dasein“, er bejaht darin vielmehr sein Dasein und nur sein Dasein, und dies vielleicht bis zu dem Grade, dass ihm der frevelhafte Wunsch nicht fern bleibt: pereat mundus, fiat philosophia, fiat philosophus, fiam!…“

Bei Nietzsche gibt es abwertende Bemerkungen zu einer Art der Ehe, die von großen Menge geführt werde. Gelobt und heilig genannt wird dagegen eine andere Art von Ehe, zwischen Menschen, die sich auf dem Weg befinden, Übermensch zu werden, und den Willen zu einem Kind haben, das schaffend wird und in der Entwicklung zum Übermenschen höher hinaufkommt.

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Erster Teil (1883). Die Reden Zarathustra's. Von Kind und Ehe:

„Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf?

Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich.

Oder redet aus deinem Wunsche das Tier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir?

Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.

Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.

Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!

Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad – einen Schaffenden sollst du schaffen.

Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht voreinander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens.

Dies sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen – ach, wie nenne ich das?

Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach, dies erbärmliche Behagen zu Zweien!“

„Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen: sprich, mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe?

Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. —

Gewöhnlich zieht die Ehe nach Nietzsches Auffassung Männer herab, nimmt Freiheit, bindet an Gewohnheiten und Regeln, bringt einen Druck zu Rücksichten auf eine Familie, auf Ernährung, Sicherung, Achtung seitens der Ehefrau und der Kinder.

Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Erster Band. Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede (1886). Siebentes Hauptstück.Weib und Kind.

394.

„Gewöhnliche Folgen der Ehe. — Jeder Umgang, der nicht hebt, zieht nieder, und umgekehrt; desshalb sinken gewöhnlich die Männer etwas, wenn sie Frauen nehmen, während die Frauen etwas gehoben werden. Allzu geistige Männer bedürfen eben so sehr der Ehe, als sie ihr wie einer widrigen Medicin widerstreben.“

426.

„Freigeist und Ehe. — Ob die Freigeister mit Frauen leben werden? Im Allgemeinen glaube ich, dass sie, gleich den wahrsagenden Vögeln des Alterthums, als die Wahrdenkenden, Wahrheit-Redenden der Gegenwart es vorziehen müssen, allein zu fliegen.“

427:

„Glück der Ehe. — Alles Gewohnte zieht ein immer fester werdendes Netz von Spinneweben um uns zusammen; und alsobald merken wir, dass die Fäden zu Stricken geworden sind und dass wir selber als Spinne in der Mitte sitzen, die sich hier gefangen hat und von ihrem eigenen Blute zehren muss. Desshalb hasst der Freigeist alle Gewöhnungen und Regeln, alles Dauernde und Definitive, desshalb reisst er, mit Schmerz, das Netz um sich immer wieder auseinander: wiewohl er in Folge dessen an zahlreichen kleinen und grossen Wunden leiden wird, — denn jene Fäden muss er von sich, von seinem Leibe, seiner Seele abreissen. Er muss dort lieben lernen, wo er bisher hasste, und umgekehrt. Ja es darf für ihn nichts Unmögliches sein, auf das selbe Feld Drachenzähne auszusäen, auf welches er vorher die Füllhörner seiner Güte ausströmen liess. — Daraus lässt sich abnehmen, ob er für das Glück der Ehe geschaffen ist.“

433.

„Xanthippe. — Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, — aber auch er hätte sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt hätte: so weit wäre auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen. Thatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigenthümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte: sie lehrte ihn, auf den Gassen und überall dort zu leben, wo man schwätzen und müssig sein konnte und bildete ihn damit zum grössten athenischen Gassen-Dialektiker aus: der sich zuletzt selber mit einer zudringlichen Bremse vergleichen musste, welche dem schönen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen.“

434.

„Für die Ferne blind. — Ebenso wie die Mütter eigentlich nur Sinn und Auge für die augen- und sinnfälligen Schmerzen ihrer Kinder haben, so vermögen die Gattinnen hoch strebender Männer es nicht über sich zu gewinnen, ihre Ehegenossen leidend, darbend und gar missachtet zu sehen, — während vielleicht alles diess nicht nur die Wahrzeichen einer richtigen Wahl ihrer Lebenshaltung, sondern schon die Bürgschaften dafür sind, dass ihre grossen Ziele irgendwann einmal erreicht werden müssen. Die Frauen intriguiren im Stillen immer gegen die höhere Seele ihrer Männer; sie wollen dieselbe um ihre Zukunft, zu Gunsten einer schmerzlosen, behaglichen Gegenwart, betrügen.“

435.

„Macht und Freiheit. — So hoch Frauen ihre Männer ehren, so ehren sie doch die von der Gesellschaft anerkannten Gewalten und Vorstellungen noch mehr: sie sind seit Jahrtausenden gewohnt, vor allem Herrschenden gebückt, die Hände auf die Brust gefaltet, einherzugehen und missbilligen alle Auflehnung gegen die öffentliche Macht. Desshalb hängen sie sich, ohne es auch nur zu beabsichtigen, vielmehr wie aus Instinct, als Hemmschuh in die Räder eines freigeisterischen unabhängigen Strebens und machen unter Umständen ihre Gatten auf’s Höchste ungeduldig, zumal wenn diese sich noch vorreden, dass Liebe es sei, was die Frauen im Grunde dabei antreibe. Die Mittel der Frauen missbilligen und grossmüthig die Motive dieser Mittel ehren, — das ist Männer-Art und oft genug Männer-Verzweiflung.“

436.

„Ceterum censeo. — Es ist zum Lachen, wenn eine Gesellschaft von Habenichtsen die Abschaffung des Erbrechts decretirt, und nicht minder zum Lachen ist es, wenn Kinderlose an der praktischen Gesetzgebung eines Landes arbeiten: — sie haben ja nicht genug Schwergewicht in ihrem Schiffe, um sicher in den Ocean der Zukunft hineinsegeln zu können. Aber ebenso ungereimt erscheint es, wenn Der, welcher die allgemeinste Erkenntniss und die Abschätzung des gesammten Daseins zu seiner Aufgabe erkoren hat, sich mit persönlichen Rücksichten auf eine Familie, auf Ernährung, Sicherung, Achtung von Weib und Kind, belastet und vor sein Teleskop jenen trüben Schleier aufspannt, durch welchen kaum einige Strahlen der fernen Gestirnwelt hindurchzudringen vermögen. So komme auch ich zu dem Satze, dass in den Angelegenheiten der höchsten philosophischen Art alle Verheiratheten verdächtig sind.“

der philosoph weiss, dass menschlicher verstand höheres erlaubt, als nur unterstützend zu fungieren in dem, was die übrigen lebenwesen leisten.